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Schermbeck

Die ersten Sonnenstrahlen, die über den Horizont hereinkamen, fielen durch die großen Fenster. Sie machten der Deckenbeleuchtung Konkurrenz. Aber sie waren noch nicht kräftig genug, um das künstliche Licht überflüssig zu machen. Im Schermbecker Schwimmbad schwamm Walter Grubendorff einsam seine Bahnen. Es war ungewöhnlich, dass so wenig Schwimmer heute Morgen im Bad waren. Vielleicht lag es daran, dass die Wassertemperatur nur 20 Grad warm war. Grubendorff hatte von irgend einer Reparaturmaßnahme gelesen. Ja, ja, das alte Bad war in die Tage gekommen. Die Instandsetzungsarbeiten häuften sich in letzter Zeit. Er wusste aus den Gemeinderatssitzungen, dass die Unterhaltung des Schwimmbades der Gemeinde mehrere hundert Tausend Euro im Jahr kostete. Es ist immer ein Verlustgeschäft, wenn man auf der Einnahmeseite aus sozialen Gründen keine hohen Eintrittsgebühren nehmen kann. So ist eine Kostendeckung unmöglich. Statt dessen spart man dann an den Ausgaben, in dem man Reparaturen so lange herauszögert, bis sie unvermeidbar waren. Dies wiederum senkte die Attraktivität der Einrichtung, was wiederum weniger Einnahmen zur Folge hatte. Eine Abwärtsspirale, wie man sie in Büchern zuhauf findet. Wenn man ihn fragen würde, dann würde er auf dieser sinnlosen Wiese, die zu dieser Sportstätte gehörte, einen Wellnesskomplex errichten. In diesen Baukörper könnte man ein Schwimmbad integrieren. Einerseits könnte man von der Wohnung direkt ins Wasser, andererseits hätte man eine interessante Sportstätte für die Gemeinde. Aber man fragte ihn ja nicht. Im Gemeinderat gab es keine politische Mehrheit für eine unternehmerische Lösung und Geld, um selbst so etwas durchzuziehen, dass hatte die Gemeinde nicht.

Grubendorff schaute auf die Wanduhr. Seine zwanzig Minuten waren vorbei. Er musste ins Büro. Während er sich abtrocknete, kam der Bademeister Pitter Podgorny auf ihn zu.

„Morgen Pitter, ein bisschen leer heute Morgen.“

Der Trainingsanzug des Bademeisters trug den Namen des Schwimmvereins Schermbeck auf der Brustseite. Auf dem Rücken, dies wusste Grubendorff, stand der Name seiner Firma. Er hatte den Aktiven durch eine Geldspende geholfen, sich eine einheitliche Kluft zu besorgen.

„Hallo Walter, du weist doch, der Heizkessel muss ausgetauscht werden und da ist die Wassertemperatur nicht sehr hoch. Das schreckt einige ab. Aber ich habe da ein Anliegen.“

„Ein Anliegen des Bademeisters oder des Zweiten Vorsitzenden des Schwimmvereins? Komm lass uns zur Umkleidekabine gehen, ich muss dringend in die Firma.“

Pitter Podgorny schlurfte hinter dem beleibten Sponsor her. Podgorny war ein drahtiger Typ. In seiner Jugend, das lag schon zwanzig Jahre zurück, da hatte er bei allen Schwimmdisziplinen geglänzt. Er wusste keinen Sportler im Kreis Wesel, der erfolgreicher war als er selbst. Nun war er schon seit fünfzehn Jahren als Bademeister hier in Schermbeck angestellt. Neben diesem Beruf hatte er sich im Schwimmverein des Ortes nützlich gemacht. Durch ihn war die Jugendabteilung explosionsartig angewachsen. Seine Wettkampferfahrungen konnte er so an den Nachwuchs weitergeben. Herzstück seiner ehrenamtlichen Tätigkeit war die Betreuung seiner Wasserballmannschaft. Obwohl der Grundstock an Schwimmern in Schermbeck nicht sehr groß war, hatte er eine Gruppe von jugendlichen Schwimmern zusammengebracht und aufgebaut, die nun erfolgreich im Kreis Wesel mitkämpften. Er war kaum größer als Grubendorff, hatte aber weniger Bauch, dafür einen athletischen Oberkörper, ein Vorteil, was die Beliebtheit in der Damenwelt betraf.

„An den Hauptsponsor unseres Vereins. Wir haben ja bald wieder das 24-Stunden-Schwimmen. Und da wollte ich dich fragen, ob die Firma Grubendorff ...“ Er blickte Grubendorff erwartungsvoll an.

Grubendorff nickte und legte Pitter seine rechte Hand auf die Schulter. „Aber sicher doch. Wie im letzten Jahr?“

„Dies wäre schön und ich weiß, du magst kein Aufsehen. Wir geben nichts darüber an die Presse.“

Grubendorff hat sich angezogen und war zu seinem Wagen gegangen. Gerade, als er seinen Rückwärtsgang eingelegt hatte, spielte seine Elektronik verrückt. Das Dauergeräusch des Bordcomputers warte vor einen sehr nahen Gegenstand. Als er in den Rückspiegel schaute, bemerkte er einen Wagen, der direkt hinter seinem Wagen zum Stehen gekommen war. So würde er nicht aus der Parklücke herauskommen. Wütend stieg er wieder aus seinem Wagen. Dem Verrückten würde er den Kopf waschen. Auch der andere war aus seinem Fahrzeug geklettert und kam auf ihn zugeeilt. Grubendorff erkannte seinen ehemaligen Bauleiter Heinz Baselitz. Das lange blonde Haar war noch fettiger als sonst. Teilweise verdeckte es sein Gesicht. Dieser schien in höchster Erregung zu sein, denn das Gesicht war dunkelrot. Baselitz war gute zwei Köpfe größer als sein Gegenüber.

„Du Schwein, jetzt erwisch ich dich endlich. Jetzt kannst du dich nicht mehr verstecken!“

Grubendorff hatte in der Tat seiner Sekretärin den Auftrag gegeben, dass er für Baselitz nicht zu sprechen sei. Er war es leid, von diesem wegen seiner Entlassung immer wieder angepöbelt zu werden. Das letzte Gespräch, bei dem der die Entlassung ausgesprochen hatte, war ihm zu gut noch in Erinnerung. Um ein Haar hätte ihn Baselitz angegriffen. Nur das Erscheinen seiner Sekretärin, die aufgrund des Lärms in sein Zimmer gestürmt war, hatte Schlimmeres verhindert. Die Parkplätze am Schwimmbad waren so angelegt, dass man den Wagen immer gegen Büsche oder Bäume parken musste. Nur der Rückwärtsgang brachte den Wagen aus dieser Parkzone. Der Bauunternehmer konnte sich leider nicht wieder in den Wagen setzen, um loszufahren. Die Konfrontation schien unvermeidlich. Also versuchte er den Ball flach zu halten.

„Was kann ich noch für Sie tun, Herr Baselitz?“

„Das fragen Sie noch? Sie haben mich doch herausgeworfen. Und jetzt sagt mir mein Anwalt, dass Sie sich weigern, die Abfindungsprämie zu zahlen.“ Die Hände des Gekündigten fuchtelten bedrohlich vor dem Gesicht seines ehemaligen Chefs.

„Hören Sie, Sie haben es meiner Frau zu verdanken, dass wir eine ordentliche Kündigung ausgesprochen haben. Sie bekommen die nächsten drei Monate bezahlt, ohne dass Sie arbeiten müssen. Ich finde dieses hochanständig von uns.“

„Hochanständig!“ Baselitz Stimme überschlug sich vor Erregung. „Eine Unverschämtheit ist das. Da krückt man sein ganzes Leben lang für Ihre Firma und dann ist die Entlassung der Dank dafür.

Nun begann auch Grubendorff ärgerlich zu werden. „Wie ich es ihnen bei der Kündigung schon gesagt habe, haben wir auf eine fristlose Kündigung verzichtet und uns im beiderseitigen Einvernehmen getrennt. Bedanken Sie sich bei meiner Frau dafür. Die kennt Sie, seit Sie als Lehrbub bei der Firma Grubendorff angefangen haben, die damals noch unter ihrem Vater >Mollecken< hieß. Ich war bestimmt nicht derjenige, der eine Veruntreuung so honorieren wollte.“

Die Adern an der Stirnseite des Gekündigten schwollen noch weiter an. Grubendorff hatte den Eindruck, dass sie gleich platzen müssten. Unverhofft begann Baselitz mit seinen Fäusten auf seinen Oberkörper einzuschlagen. Die speckigen Haare rutschten in das Gesicht des ehemaligen Angestellten. Jedes Wort wurde mit einem Schlag auf den Oberkörper von Grubendorff begleitet. Dabei pendelten die Haarsträhnen im Takt der Schläge vor dem Gesicht. Mit seinen breiten, muskelbepackten Schultern und den riesigen Händen war er seinem ehemaligen Chef sichtlich überlegen.

„“Hier ... haben ... Sie ... Ihr ... honorieren. ... Ich habe ... für die ... Firma ... meine Band...scheiben ... ruiniert. .. .Ich bin ... nie ... mals ... krank ... gewesen. ... Bei einem ... Betriebsunfall ... habe ich ... meinen Unterarm ... gebrochen. Seit ... dem ... habe ich ... bei ... jedem Griff Schmerzen ... in meiner Hand, ... bei ... jedem ... Griff.“ Er beendete die Schlagserie und fuchtelte nunmehr mit seinem linken Arm vor dem Kopf Grubendorffs auf und ab. „Schmerzen, wissen wie das ist, Schmerzen. Ich bringe Sie um, Sie Schwein!“

Baselitz begann den Bauunternehmer zu würgen und schüttelte dessen Oberkörper hin und her. Dieser schnappte nach Luft und glaubte nun, ersticken zu müssen. Es gelang ihm nicht, die monströsen Hände von seinem Hals zu entfernen. Das Bild vor seinen Augen verschwamm. Er begann nichts mehr wahrzunehmen. Auf einmal ließ der Druck an seinem Hals nach. Kraftlos sank er zu Boden Seine Lunge arbeitete hektisch. Langsam nahm seine Umgebung wieder Konturen an, wenn er auch die Person, die vor ihm kniete, nur schemenhaft wahrnahm.

„Hallo Herr Grubendorff. Wie fühlen Sie sich? Geht es? Soll ich einen Arzt holen? Oder die Polizei?“

Der Bauunternehmer atmete noch immer hastig. Langsam wurde der Blick seiner Augen wieder scharf. Er erkannte einen Mann mit einem wahrhaft grausigem Aussehen. Zuerst schaute er in ein runzliges aber gebräuntes Gesicht. Den Eindruck korrigierte er sofort, denn die Dunkelfärbung könnte auch durch Verschmutzung hervorgerufen worden sein. Die Haare hatten schon wochenlang kein Shampoo mehr gesehen und einen Kamm ebenso wenig. Er trug eine Reihe von Pullovern übereinander, die wahllos ausgewählt waren und dabei ebenso schmutzig waren, wie sein Besitzer. Trotz der Vielzahl von Pullovern hatte er einen Anorak darüber gezogen, der an einigen Stellen beschädigt war. Dunkles Futtermaterial kam an einigen Stellen zum Vorschein. Grubendorff vermutete, einen Obdachlosen, der seine ganzen Besitztümer am Leibe trug. Verschämt kratzte dieser seine Bartstoppeln.

„Soll ich die Polizei rufen?“

Grubendorff schüttelte den Kopf und schluckte mehrfach. „Keine Polizei. Bitte keine Polizei. Danke für Ihre Hilfe. Danke.“

Er schaute sich um. Der Wagen von Baselitz war nicht mehr da. Er atmete auf. Er griff in seine Hosentasche, entnahm ihr eine Reihe von Münzen, die er zum Föhnen immer bei sich trug, ergriff die Hand des Mannes, legte die Münzen in dessen Hand ab und drückte diese zu. Der Bauunternehmer setzte sich in seinen Wagen, wartete ein paar Minuten, bis er wieder genug Kräfte in den Beinen verspürte, um die Pedale zu bedienen. Er startete den Wagen und fuhr los. Am Parkplatz blieb ein Mensch zurück, der verständnislos mit seinem Kopf schüttelte. Er verstand nicht, was er gerade erlebt hatte. Er blickte in die Hand mit Kleingeld. „Fünf Euro hätte der mir ruhig geben können.“

Der Mann ohne Konturen

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