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Staatsforst Wesel

Die Situation hatte sich gänzlich geändert. Jetzt tollten die beiden Mädchen durch den Wald, versteckten sich hinter Bäumen, Warfen mit Blättern oder Stöcken um sich oder spielten Fangen. AnnaLena hatte die Regie bei diesen Spielen übernommen. Ihr Einfallsreichtum war gewaltiger als der ihrer Spielgefährtin. Ihr Kommandos >Jetzt machen wir dies.< oder >Jetzt machen wir das< wurde von Susi anstandslos akzeptiert. Ja, eigentlich begrüßte sie dieses Vorgehen. Herumtollen im Wald war etwas Neues für sie und Neues begeisterte Kinder immer.

Auf der Hinfahrt war genau das Umgekehrte der Fall gewesen. Susi führte das Wort. Andächtig hing AnnaLena an ihren Lippen. Was Susi so alles wusste. Mikael konnte nicht sagen, ob dies was Susi von sich gab, so alles stimmte. Aber sie hatte eine Gabe, Menschen zu beurteilen, was für eine Zehnjährige außergewöhnlich war. Dabei kam sie mit ihren Beobachten immer auf den Punkt. Für ein Kind in diesem Alter eine beachtliche Fähigkeit. Susi war ein gänzlich anderer Mensch als AnnaLena. Ihre Mutter wollte wohl, dass Susi auf ihr Äußerstes allergrößten Wert legte. Die rose Rüschenbluse, die schwarzen Leggins über der sie einen kurzen grauen Rock trug, die langen blonden Haare, die zu einer Vielzahl kleiner Zöpfe geknüpft waren, all das erschien Knoop wenig kindgerecht. Das Mädchen sah so nicht nur wie ein Mannequin aus, nein sie verhielt sich auch so. Mehr unbewusst als willentlich. Im Moment stach das Kindliche noch deutlich hervor, aber in einigen Jahren, da war sich Knoop sicher, würde sie den Männern den Kopf verdrehen, um dies zu erreichen, was sie wollte. Die Zusammenstellung der Garderobe ihrer Tochter war Christel zugefallen. Er kümmerte sich nur selten darum. Vielleicht auch, weil man ihn nie fragte. Er galt als Modemuffel und hatte dies ohne viel Gegenwehr akzeptiert. AnnaLena wurde von Christel mehr zweckmäßig gekleidet. Markenklamotten wurden selten gekauft, auch wenn AnnaLena so etwas einforderte.

Knoop erstaunte, wie seine Tochter an den Lippen ihrer Freundin hing und wie begeistert sie lauschte, was Susi so alles zu berichten wusste. Und Susi genoss es ihrerseits, so im Vordergrund zu stehen.

Mikael suchte gerade nach den Parallelen zwischen Susi und ihrer Mutter, die er beim Abholen zum ersten Male kennengelernt hatte, als die beiden Mädchen seine Nähe suchten.

„Papi, wir haben gerade >Befreiung der Prinzessin< gespielt. Was können wir noch spielen?“

Mikael überlegte. „Wir machen einen Wettkampf.“

„Oh, ja!“ kam es gleichzeitig aus den beiden Kehlen der Mädchen.

Mikael schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Wer von Euch das größte Blatt findet, der hat gewonnen. - Ab!“

Die beiden Mädchen sausten auseinander.

Als erstes war AnnaLena zurück. Sie hatte ein gewaltiges Eichenblatt in den Händen. Wortlos gingen sie nebeneinander her, um auf Susis Fang zu warten. Diese kam mit einem Blatt des Wallnussbaumes zurück. >Unentschieden< legte Mikael fest, als er beide Blätter übereinander legte. Das Eichenblatt war breiter, das der Wallnuss länger. Er forderte beide auf, ihren Fund genauer zu betrachten.

Es war AnnaLena, die zuerst mit einer Frage antwortete. „Die Form?“

Mikael schüttelte den Kopf.

„Die Farbe?“ Diesmal fragte Susi.

Der Kopf wurde wieder geschüttelt.

„Ich hab’s!“ AnnaLenas Stimme überschlug sich nahezu vor Eifer. „Die Striche auf der Rückseite.“

Mikael konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen. „Was bedeuten diese Linien?“

„Muster!“ „Verzierung!“ „Abstreifer?“ „Wegweiser!“ „Zeichen!“

Die Antworten kamen so schnell, dass Mikael beim besten Willen nicht sagen konnte, wer was beigetragen hatte. Er nahm seine Hand aus der Tasche presste diese zusammen und ließ die beiden auf seinen Handrücken schauen.

„Blutbahn!“ AnnaLena war die Erste, die den Tipp umsetzen konnte.

„Nun haben Bäume aber kein Blut.“

„Wasser zum Wachsen“, besserte AnnaLena ihren Vorschlag nach.

„Richtig! Hierdurch transportieren die Bäume ihre Nährstoffe von den Wurzeln bis in die Blätter.“

„Und wie machen die dies?, fragte Susi. Die Mädchenaugen hingen an seinen Lippen.

Als Mikael von der Aufnahme des Regenwassers erzählte, das Stoffe aus dem Boden aufgenommen hatte, da nahm der Glanz in den Augen seiner beiden Schüler ab und als er den Begriff des osmotischen Drucks erklären wollte, da hänselten sich die beiden Kinder lieber, als den Erklärungen des Erwachsenen zu lauschen.

„So“, beschied Mikael, nun suchen wir ein Blatt mit den meisten Zacken.“

Wieder stürmten die beiden Mädchen in unterschiedlichen Richtungen los. Diesmal war Susi die Erste, die mit einem Eichenblatt zurückkam. „Acht Zacken!“, verkündete sie triumphierend. Da kam AnnaLena hinter einem gewaltigen Buchenstamm hervor. Sie versteckte etwas hinter ihrem Rücken. Ihr grinsender Gesichtsausdruck verriet, sie hatte etwas Außergewöhnliches gefunden. Stolz präsentierte sie ein gewaltiges Farnblatt.

„Das habe ich auch gesehen, aber dies ist ja kein Blatt-, beschwerte sich Susi. Das ist ja nicht von einem Baum.“

„Nicht nur Bäume haben Blätter Susi. Da muss ich AnnaLena den Punkt geben.“ Er teilte das Farnblatt in zwei Teile und gab diese an jede zurück. „Fällt Euch etwas auf?“

Beide Kinder drehten sofort das Blatt herum. „Iiiiiiii“ kreischte Susi und ließ das Blatt fallen. „Läuse!“ Sie rieb ihre Hände an den Hosenbeinen ab.

„Läuse würden sich bewegen. Diese auch?“

Mit spitzen Fingern inspizierten die beiden ihr Blattteil. AnnaLena schüttelte ihren Kopf. Vorsichtig bückte sich Susi, um ihr Blatt aufzuheben, das sie wiederholt hingeworfen hatte. Skeptisch blickte sie auf die vielen kleinen Punkte, jederzeit bereit, das Blatt erneut fallen zu lassen, sollte sich einer dieser Punkte bewegen. So sehr sich Mikael auch bemühte, er konnte den beiden nicht auf die Sprünge helfen. Als er vom Samen sprach, da wollten die Mädchen es zuerst nicht glauben. Dann erinnerte sich AnnaLena an den Biologieunterricht, wo sie erfahren hatte, dass aus Samen neue Pflanzen entstanden.

„Machen die dies alle so?, wollte Susi wissen.

Mikael schüttelte seinen Kopf. „Nein, jede hat ihre eigene Methode.“

Der Mann ohne Konturen

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