Читать книгу Der Mann ohne Konturen - Volker Buchloh - Страница 24

Оглавление

Wesel Büderich

Hartung hatte in Erfahrung gebracht, dass auf dem Schützenfest in Büderich eine Kapelle spielen würde. Es war heutzutage schwer, eine Veranstaltung zu finden, auf der überhaupt noch eine Kapelle spielte. Er glaubte, dass die Diskotheken mit ihrer elektronischen Musikwiedergabe den Kapellen den Todesstoß versetzt hatten. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal überhaupt getanzt hatte, bei der eine Kapelle aufgespielte. Sicherlich er war ein Tanzmuffel, aber dies lag viel an den mangelnden Gelegenheiten. Aber die Frauenbekanntschaften, die er suchte, legten alle Wert auf Gespräche. Umarmungen gab es eigentlich nur im Bett und hier war der Rhythmus ein anderer als beim Tanzen. Aber Tilly hatte darauf bestanden. Ihre Bedingung war sogar, dass man vorher exquisit Speisen musste. Zudem kam dann noch ihr Honorar, wenn man es so bezeichnen wollte. Da Hartung an diesem Samstag sowieso nichts vorhatte und er den Gedanken, doch mal wieder tanzen zu können, als Abwechslung empfand, hatte er Tillys Wunsch zugestimmt. Seine Extraausgaben hatte sie damit begründet, dass ihre Informationen eine Sensation wären. Und wenn sie Tonius Hartung nicht lieben würde, dann müsste sie glatt das Doppelte an Bezahlung bekommen. Dieses machte Hartung neugierig, denn Therese hatte ihn bei ihren Hilfstätigkeiten nie hintergangen. Sicherlich, sie hatte das Verhältnis von Bezahlung und Vergnügen vorgegeben. Aber sie war immer auf dem Maß des Tragbaren geblieben. Und über die Höhe der Bezahlung machte sich Tonius keine Sorgen. Waren die Informationen von Tilly das wert, wie sie behauptete, dann müsste der Amerikaner dies eben bezahlen und den Aufschlag für ihn eben mit.

Der Samstagabend hatte im Königshof angefangen. Der Königshof in Wesel war ein Lokal bürgerlicher Qualität. Es war exquisit eingerichtet, so im mediterranen Stil, aber die Portionen waren gewaltig. Wer lecker und gepflegt speisen wollte, der kam hier her. Tilly bestellte sich ein Straußensteak mit >Pommes< und Salat. Sie war überglücklich. In Ihrem Leben hatte sie noch nie Fleisch vom Straußen auf dem Teller gehabt. Hartung selbst hatte ein Sojaschnitzel mit dicken Bohnen und Pellkartoffeln verlangt. Es waren ihm nach dem jüngsten Fleischskandal die Bilder der zahllosen eingesperrten Viecher immer noch in Erinnerung. Auch die Berichte, was man bei dieser Massentierhaltung so alles in die Kreaturen hineinspritzte, hatten ihn angeekelt und ihm den Genuss von Fleisch für lange Zeit verdorben. Aber er war kein militanter Veganer. Jeder sollte seiner Meinung nach essen, was der Körper an Gift verkraftete oder nicht. Jeder steckte in einer eigenen Verpackung, die zugleich sein persönliches Gefängnis war. Im Lautsprecher des Restaurants erklang dezent eine Instrumentalversion von Stranger in the Night.

Therese Schüllkamp hatte das Tafelgespräch wieder damit begonnen, Hartung zu berichten, was da so im Einwohnermeldeamt abging, wie sie sagte. Eigentlich waren dies die immer gleichen Querelen, wie sie bei abhängigbeschäftigten Arbeitsverhältnissen vorkamen. Das war der Grund gewesen, warum er seinen Job als Einzelhandelskaufmann an den Nagel gehängt hatte. Dafür war er seinem Kumpel Klaus auch heute noch dankbar. Eigentlich hatte die Firma Hartung und Wirsch geheißen. Klaus Wirsch war beim Wachpersonal seiner Firma anstellt gewesen. Der hatte eines Tages den Gedanken des Selbstständigmachens vorgeschlagen, weil er von seinen Vorgesetzten noch frustrierter war als Hartung von seinen. Ein Kaufmann und ein Ermittler, dass könne doch nur gut gehen. Das war Wirschs Standpunkt. Am Anfang hatte das neue Metier Hartung wirklich zu schaffen gemacht. Das lange Warten, der Einsatz zu unmöglichen Tageszeiten, die Tricks des Verkleidens, die Strategien der Verhörtechnik. Aber Wirsch hatte Hartung die Welt der Observation begreiflich machen können. Bald übernahm er unter Anleitung eigene Fälle und das Kaufmännische erledigte er nebenbei. So viel hatten sie ja auch am Anfang nicht zu tun.

Gedankenverloren berührte er die Blume, die als Tischdekoration in der Mitte des Tisches in einer Vase stand. Natur oder Imitation, fragte sich Hartung. Er berührte unmerklich eines der Blätter. Sie war tatsächlich echt. Heute konnte man schwerlich unterscheiden, was künstlich oder natürlich war.

Von Hartungs Seite hätte das Observationsgeschäft immer so weiter laufen können. Wäre da nicht Wirschs Frau gewesen. Die hatte sich überraschend scheiden lassen und um Wirsch für das Waschen der schmutzigen Wäsche zu bestrafen, zog sie mit ihrer Tochter nach Kaiserslautern. Allerdings sagte sie ihm dies nicht. Sie war auf einmal verschwunden. Wirsch, ein Fachmann für Recherchen, fand ihre neue Adresse schnell heraus. Um seine sechsjährige Tochter überhaupt sehen zu können, brach er seine Zelte in Duisburg ab und zog auch nach Kaiserslautern. Hartung war auf einmal auf sich alleine gestellt. Für ihn gab es auf einmal nur zwei Möglichkeiten, weil eine Rückkehr in seinen früheren Beruf undenkbar war. Entweder er suchte einen Neuanfang, oder er machte alleine weiter. Die Entscheidung war bei seinem Alter damit nicht schwer. Da sie beide ja nicht im Streit auseinander gingen, half Wirsch seinem alten Partner in der ersten Zeit, wenn Not am Mann war. Er führte mit ihm die Verhandlungen mit den Mandanten, übernahm kleinere Ermittlungen, oder half telefonisch mit Tipps. So hatte Hartung sich freigeschwommen. Seine jetzige Arbeit und seine Selbstständigkeit gefiel ihm so gut, undenkbar, dass er an den Schreibtisch eines Einzelhandelskaufmanns zurückkehrte.

„Tonius, du hörst mir ja gar nicht zu!“ Tilly Armstoß holte ihn aus seinem Tagtraum zurück.

„Entschuldige, ich musste gerade darüber nachdenken, wie du es geschafft hast, so Sensationelles herauszufinden. Nun komm und sag schon.“

„Das könnte dir Schlitzohr so passen. Wenn du das jetzt erfährst. Dann hast du dir gleich den Fuß verstaucht, oder du hast irgendeine andere Ausrede, um dich vor dem Tanzen zu drücken. Nichts da! Das Dessert kommt wie immer zum Schluss.“

Sie begaben sich zum Schützenfest nach Büderich. Das war die einzige Möglichkeit, so hatte Hartung in Erfahrung gebracht, wo noch eine Kapelle aufspielte. Therese Schüllkamp war begeistert. Solcherart Feste waren in Duisburg unbekannt. Schnell fand sie heraus, dass es eine Sektbar gab. Tonius musste sie nach jedem Tanz dorthin entführen. Denn am Tisch waren die Gesprächsmöglichkeiten beschränkt, wenn die Musik durch ihre Lautstärke nicht jede Unterhaltung so wie so verhinderte. An den langen Tischreihen war man sich fremd. Kaum einer bekam die Zähne auseinander. Vor allem Männer nicht, wenn deren Frauen daneben saßen. Ganz anders war es in der Sektbar. Hier waren die Männer viel offener, gelöster. Auch, weil die Anzahl der Frauen hier viel geringer war. Und Tillys Umgang mit dem männlichen Geschlecht fand schnell anklang. Jeder wollte sie zu einem Gläschen Sekt einladen. Die Männer, die hier mit ihr tanzen wollten, standen Schlange. Tilly war so in ihrem Element, dass ihr gar nicht auffiel, wie Hartung sich heimlich verdrückte. Er mochte solch einen Affenzirkus nicht. Nur neben Tilly zu stehen, um zu hören, welch einen Schwachsinn angetrunkene Männergehirne zu produzieren in der Lage waren, dies war nicht sein Ding. Vor dem Festzelt war es ruhiger. Hier gab es Essen und auch Bier. Die Männer, die hier herumstanden, litten unter dem Einfluss des genossenen Alkohols. Ihre Zungen waren schwer. Ihrem vom Alkohol paralysiertem Gehirn fiel nicht auf, dass Hartung entweder nichts sagte oder immer mit einem dreifachen Ja antwortete, ohne auf den Inhalt der Fragen genauer einzugehen. Erstaunlich war, dass ihn alle nach einiger Zeit als Freund bezeichneten, ohne ihn wirklich zu kennen. Sie legten ihm die Arme um seine Schultern und nuschelten ihm Unverständliches ins Ohr, so als dürfte keiner erfahren, was man sich hier Wichtiges zu sagen hatte. Aber Hartung war nicht zum Vergnügen hier, wie seine Gesprächspartner, sondern beruflich. Das was er trank, waren alles Spesen. Der Ami würde dieses bezahlen müssen.

Kurz bevor Tilly betrunken zu werden schien, eiste Tonius sie los. Hartung merkte das daran, dass ihm alle Neuerwerbungen mit Vornamen vorgestellt wurden. Er musste Kurzfassungen von Lebensgeschichten anhören und die Partei der Vornamensträger ergreifen. Diese neuen Bekannten von Tilly nötigten ihn ihrerseits zum Sekttrinken. Zum einen hatte Hartung mit diesen Leuten nichts am Hut, zum zweiten war er nicht zum Vergnügen hier. Auf sein Drängen hin, doch langsam aufzubrechen, erklärte sich Tilly immer wieder bereit mitzukommen. Nur noch ein kleiner Absacker. Ihre Trinkkumpane unterstützten sie in diesem Verhalten. Obwohl es weit nach Mitternacht war, erklärten diese, dass es zu früh zum Aufbrechen war. Nach dem fünften letzten Absacker protestierte sie, als Hartung sie kurzerhand unter die Arme nahm. Der hohe Alkoholgenuss senkte ihre Widerstandskraft und so folgte sie ihm schwankenden Fußes. Sein Grund des Aufbruchs lag weniger darin, Tilly den Spaß nicht zu gönnen. Er befürchtete vielmehr, Tilly könnte sich in einen Zustand trinken, bei dem sie nicht mehr in der Lage war, ihm ihre Neuigkeiten zu berichten. An einer Neuauflage des Treffens war er nicht interessiert. Er wollte die Informationen heute nacht haben.

Im Auto gönnte Hartung Tilly erst einmal Ruhe. Sollte sie doch während der Fahrt nüchterner werden. Auf der Heimfahrt erzählte Tilly ihm noch einmal alle die Geschichten der Verehrer, die er eigentlich schon kannte. Sie interessierten ihn aber immer noch nicht. Sie bemerkte überhaupt nicht, dass er auf ihre Fragen nicht einging. Therese Schüllkamp war mit dem Ablauf des heutigen Abends zufrieden. Tonius hatte ihr eine gelungene Kurzweil geboten und der Alkohol tat das Seine. Als der Detektiv den Stadtkern von Duisburg erreicht hatte, bemerkte er die beruhigende Komponente des Alkohols. Tilly fiel häufig in einen Sekundenschlaf. Ihr Kopf sank nach vorne und verblieb in dieser Stellung. Dann schrak sie auf einmal wieder hoch. Als sie vor dem Haus hielten, in dem Therese wohnte, stellte er den Motor ab. Seine Begleiterin bestand darauf, nach oben gebracht zu werden. Dies war das Falscheste, was er hätte tun können. Oben wäre sie sofort eingeschlafen. Er musste aber erfahren, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Morgen könnte ihr irgend etwas Neues einfallen, bevor sie mit dem Wissen herausrückte.

Therese Schüllkamp bemerkt nicht, wie hart Hartung sie ansprach und aufforderte, ihm nun die Information mitzuteilen. Eigentlich verspürte sie einen starken Drang ins Bett. Aber Hartung zeigte sich bei jedem ihrer Versuche den Wagen zu verlassen, uneinsichtig. Letztendlich gab sie auf. Lallend berichtete sie, dass ein Burger in Duisburg gemeldet war, seit Jahren aber dort nicht mehr dort wohnte.

„Und, hast du die neue Adresse“, drängte Hartung sie.

Tilly lächelte, aber der genossene Alkohol verzog ihren Mund zu einer Grimasse.

Hartung war verärgert. „Und dass der Burger weitergezogen ist, das verkaufst du mir als Sensation.“ Und lässt dich als Bonus sozusagen von mir den ganzen Abend aushalten, dachte er. Hartung war entrüstet über ein solches Verhalten.

Thereses Gesichtsmuskeln wurden langsam weicher und die Verzerrung ihrer Wangen wurden einem Lächeln immer ähnlicher. „Warte ab, damit hast du überhaupt nicht gerechnet.“

Was Therese Schüllkamp herausgefunden hatte war jeden Euro wert, den er heute in sie investiert hatte. Instinktiv beschoss er, diese Information noch länger für sich zu halten. Sie rechtfertigte die durch die mit der Verzögerung steigenden Kosten. Darin eingeschlossen war der Service des Ins-Bett-Bringens.

Der Mann ohne Konturen

Подняться наверх