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Schermbeck

Die Kaffeetafel war bereits gedeckt, als Walter Grubendorff das Esszimmer seiner Villa betrat. Feines, blasrosa Chinesisches Porzellan war auf einer mit aufwendigen Spitzen umrahmten Decke platziert. Ein dezentes Gesteck von echten Frühlingsblumen, wurde von zwei Kerzen beleuchtet. Die wuchtigen, schweren silbernen Kerzenständer standen im Kontrast zu dem Porzellan. Der Teetisch stand in der Nähe eines großen Fensters mit Butzenscheiben. In der Glasfront führte eine Terrassentüre auf eine großangelegte Veranda. Diese wurde von einem wuchtigen Erdwall begrenzt. Die darauf wachsenden Sträucher und Bäume zeigten durch ihre Größe , wie lange dieses Anwesen schon bestand. Das große Wohnzimmer war außer der Teeecke neben einer Anrichte mit einem kleinen Schrank eingerichtet. Das dunkle Holz des geschnitzten Mobiliars stand im Kontrast zu der hellgestrichenen Glasfasertapete.

Grubendorff war ein Mann von kleiner Statur, kaum größer als seine Gattin. Sein Bauch wurde von dem Gürtel seiner Hose wie ein Rettungsring umschlossen. Wenn er auf sein Übergewicht angesprochen wurde, dann erklärte er stets mit einem Lächeln: „Ich bin für mein Körpergewicht einfach zu klein gewachsen.“ Dann lachte er. In Wirklichkeit ärgerte er sich aber über die fehlende Körpergröße und seine überzähligen Pfunde. Er wusste, dass die Ursache dafür an der geringen Bewegung lag, Seine Beschäftigung hinderte ihn daran, einer Sportart nachzugehen. Nur das wöchentliche Schwimmen versagte er sich nicht. Er beugte sich zu seiner Frau Elisabeth, um ihr einen Kuss auf die linke Wange zu geben.

„Entschuldige Liss, ich musste noch ein Telefongespräch führen.“

Er schob die halbgeschlossene blaue Strickweste von der Hüfte über seinen Hintern, und zog den Stoff seiner hellen Hose über seine Knie, ehe er sich setzte. Elisabeth Grubendorff füllte eine Tasse aus Chinesischem Porzellan mit Tee, fügte einem Spritzer Zitronensaft dazu. Mit einer kleinen Zange ergriff sie einen Kandisklumpen aus einer kleinen Schale von Bleikristall und ließ den Kandis am Tassenrand in die Flüssigkeit versinken. Dann rührte sie das Getränk um, bevor sie die Tasse ihrem Ehemann reichte. Elisabeth Grubendorff trug ihre Jacke aus grünem Ikat-Gewebe. Der große Reverskragen ließ Platz für eine goldene Halskette, die aus einer Vielzahl von kleinen Elefanten bestand. Die petrolfarbige Bluse schloss den Ausschnitt, den die Jacke bot. Seine Frau legte gleichzeitig mit einer Kuchengabel etwas Konfiseriegebäck auf den Teller ihres Gatten. Nach einigen Minuten des Wartens ergriff Burger seinen Teelöffel und rührte den gelösten Kandis in den warmen Tee.

„Köstlich, meine Liebe.“

Mit dieser Bemerkung, wusste Elisabeth, war das Teegespräch eröffnet.

„Hast du den Notar erreicht?“

Walter Grubendorff wartete, bis er sein Mandelplätzchen zerkaut und heruntergeschluckt hatte.

„Hmm, köstlich. Ja, ich glaube, wenn Schulte-Barming recht hat, dann haben wir den Fisch so gut wie an der Angel. Die Gemeinde ziert sich noch, uns die Fläche zu verkaufen. Aber ich glaube nicht, dass die Konkurrenz, die >Schermbecker Boden< ein günstigeres Angebot abgeben werden, als wir. Unser Konzept ist einfach besser. Die setzen auf die Vermarktung an einzelne Bauherren, die sich dann selbst einen Bauunternehmer besorgen müssen. Wir dagegen machen alles in Eigenleistung und verkaufen die Häuser alle schlüsselfertig. Schlüsselfertiges Bauen, dies ist das Konzept der Zeit. Die Leute wollen ein Haus beziehen, und sich nicht mit den einzelnen Handwerkern herumärgern. Das bieten wir denen und verdienen durch Großaufträge durch Sammelbestellungen. Dadurch, dass wir die Häuser so anbieten, liegen wir kostenmäßig vorn. Wir werden also im Angebot günstiger sein, als die >Schermbecker Boden<. Aber du weißt ja, die Schwierigkeiten stecken immer im Detail. Es sind noch eine Reihe von Haftungsfragen zu klären. Ich glaube, wir können das neue Baugebiet erwerben. Wenn wir das Bauprojekt unter Dach und Fach haben, dann werden wir bei einem Umsatz von 80 Millionen einen Gewinn von 7 Millionen machen.“

Elisabeth Grubendorff nickte zustimmend. Die Wasserwelle ihrer Frisur unterstützte ihre vornehme Erscheinung: „Und die Finanzierung steht?“ Ihre Finger ruhten an der Tischkante. Ihr Gesicht war ausdruckslos, nur ihre Augen waren interessiert.

Bevor Grubendorff antwortete, nahm er einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. „Ich glaube schon. Du weißt ja, wir werden die Häuser vorfinanzieren müssen, um sie dann auf dem Markt zu verkaufen. Hier in Schermbeck herrscht eine rege Nachfrage nach Bauland. Seit langer Zeit ist die Nachfrage größer als das Angebot. Die Zeitströmung schaufelt das Geld in unsere Richtung.“

„Schließt du nun die Versicherung ab?“

Walter Grubendorff verzog seine Oberlippe. Sein rechter Zeigefinger fuhr dem dezenten Streifen seiner Weste nach. Er griff nach einem Haselnussplazet, biss ein Stück davon ab, trank seine Tasse leer und hielt sie seiner Frau zum Nachfüllen hin: „Die Prämien sind unverschämt hoch. Wir müssen noch mit unseren Banken verhandeln, ob diese einen Teil des Risikos übernehmen und damit die Prämie senken. Schließlich verdienen die ja auch prächtig, bei dem Zinssatz.“

Schweigend wurde die Teestunde fortgesetzt. Aber es lag in der Luft, dass noch nicht alles gesagt worden war, was gesagt werden musste.

„Den Gewinn könnten wir durchaus gebrauchen, So gut liefen in letzter Zeit die Geschäfte nicht“, brach Elisabeth Grubendorff die Stille.

Während Walter ein Marzipangebäck auf der Zunge zergehen ließ, nickte er langsam zustimmend. Das dichte, langsam grauwerdende dunkle Haar rutschte in seine Stirn, wurde aber von der rechten Hand sofort vertrieben. Die aus Messing gefertigte Wanduhr schlug die halbe Stunde an. Walter griff an die Tischplatte und wollte seinen Stuhl zurücksetzten, als seine Gattin erneut die Stille durchbrach.

„Es ist ein Glück für mich und die Firma, dass es dich gibt. Theo, Gott habe ihn selig, hatte nicht so ein glückliches Händchen gehabt, so wie du. Deine Kapitalspritze und dein Können haben das Schlimmste damals abgewendet.“ Sie streichelte zärtlich seine Hand und sah in liebevoll an.

Walter räusperte sich leicht. Ihm war dieses Thema peinlich. Wie zur Entschuldigung erwiderte er: „Theo war ein Techniker, ich bin ein Kaufmann. Es wäre am besten, man wäre beides.“

„Aber wir haben ja zwei gute Bauleiter. Heinz Baselitz kennt den Betrieb von der Pike aus und Jürgen Tannfelder hat das Fach studiert. Sie gehen dir zur Hand.“ Elisabeths Stimme klang beruhigend. „Sie kennen die Grubendorff GmbH aus dem Effeff.“

„Dies ist der Punkt, über den ich mit die eigentlich nicht sprechen wollte. Aber ich denke, es muss sein. Ich glaube Baselitz betrügt unsere Firma.“

„Was!“ Elisabeths Gesicht zeigte helles Entsetzen. „Dies ist doch undenkbar.“

Grubendorff drehte den Teelöffel hin und her. „Wir haben ihm doch vor 18 Monaten eine Abmahnung geschickt. Damals konnte er glaubhaft machen, was wir nicht widerlegen konnten, dass jemand von den Arbeitern die Belege verlegt hatte. Seit dem ist er dafür selber verantwortlich. Nun hat der Revisor Thomas Weidenfeld einen Vergleich zwischen den Materialeinkäufen und den eingebauten und in Rechnung gestellten Mengen vorgenommen. Die Differenz ist gewaltig. Sogar die Arbeiter munkeln, er renoviere mit unserem Material das Haus seiner Eltern. Ich werde ihn morgen mit unserem Rechtsanwalt und Herrn Weidenfeld in mein Büro bestellen. Kann er mir die Unstimmigkeiten nicht erklären, dann müssen wir ihn fristlos kündigen.“

Frau Grubendorff bedeckte mit ihren Händen ihren Mund. „Wenn du recht hast, dann sollten wir es machen. Schade. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er bei uns angefangen hat. Er war ein sehr aufgeweckter Kerl. Bei Theo hat er immer den besten Eindruck hinterlassen. Deshalb hat die Firma ja auch seinen Meisterkurs bezahlt. Und durch seine Erfolge für die Firma hat Theo ihn schließlich zum Bauleiter ernannt, obwohl er nicht wie Tannfelder ein Ingenieurdiplom erworben hatte.“

Walter zuckte mit den Schultern. Du weißt doch, wie es beim Bauen ist. Die eigenen Wünsche steigen mit der zur Auswahl stehenden Einrichtung. Das kostet Geld. Entweder man spart, dann heißt das Baustopp, oder man senkt die anderen Baukosten. Und die schnellste Möglichkeit der Kostensenkung ist der Diebstahl von Baumaterial.“

Der Mann ohne Konturen

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