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Duisburg Hochfeld

Der Mann am Informationsstand am Eingang des Krankenhauses hatte ihm gesagt, wo er das Zimmer finden würde. Der weißhaarige Mann wechselte die Flasche Orangensaft in die andere Hand. Suchend fuhren seine Augen über die Hinweisschilder, bis er den Hinweis „Orthopädie“ fand. Er wählte statt der Treppe den Aufzug, der ihn in die zweite Etage brachte. Warum müssen die Krankenhäuser immer so verwinkelte Flure haben? Er passierte die Schwesternstation, stellte fest, dass sich hier keiner befand. An der überbreiten Türe mit der Nummer 23 stockte er kurz, bevor er dann laut und vernehmlich klopfte. Ohne zu warten, ob er zum Betreten des Krankenzimmers aufgeordert wurde, öffnete er die Türe. Es war ein Zweibettzimmer, welches er betrat. Peter Sakalewski lag im Bett, das direkt am Fenster lag. Auf der hüfthohen Fensterbank lagen eine Reihe von Magazinen und Zeitschriften. In einer großen Vase blühte ein Gesteck von Freesien und Nelken.

Sakalewski erhob seien Oberkörper, als er seinen Besucher erkannte, sank dann aber mit einem schmerzverzerrten Gesicht wieder in die Kissen. Van Gelderen grüßte den Mann im zweiten Bett, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Sakalewski trug einen Trainingsanzug, der aus rot-schwarz-gelben Feldern zusammengenäht war. Sakalewski war frisiert, als ob er zur Arbeit musste. Nur ein Tagebart stand im Widerspruch zu diesem Eindruck. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Die blasse Haut verriet, dass es ihm nicht gut ging. Ein Stant auf dem Handrücken war ein offensichtliches Merkmal für eine Tropfbehandlung. Sakalewski musste von Schmerzen geplagt werden. Neben dem Bett stand ein Ständer, an dem im Moment aber keine Infusionsflasche hing. Im Moment ging es ihm wohl schmerzlich gesehen besser.

„Hallo Peter! Was hast du denn angestellt?“

„Ach, höre auf zu spotten Heribert. Mir ist vor lauter Schmerzen nicht zum Spaßen zumute.

Ohne auf die Bemerkung Sakalewskis weiter einzugehen, überreichte er ihm das Präsent. „Ich habe dir da was mitgebracht und Genesungswünsche soll ich dir von aller Kollegen bestellen. Dann wirst du schneller wieder gesund sein?“

Sakalewski bedankte sich, schenkte der Flasche Orangensaft aber kaum Beachtung. „Ich wollte nur den Kasten Wasser in den Keller tragen und aus war’s. Keinen Millimeter konnte ich mich bewegen, keinen Millimeter. Nach einer Viertelstunde habe ich mich vorsichtig auf eine Treppenstufe gesetzt und tief durchgeatmet, bis der Schweiß von meinem Körper verdunstet war. Seit dem kann ich kaum laufen und ich habe nur noch Rückenschmerzen. Jeder Gang zur Toilette ist wie ein Aufbruch in ein weit entferntes Besitztum. Und all dies unter Begleitung von Schmerzen. Gönne ich meinem schlimmsten Feind nicht.“ Nun musste van Gelderen sich langatmig anhören, wie es ist, solche Schmerzen zu haben, wie man den Verstand zu verlieren droht. Die Hilflosigkeit, sich nicht mehr fortbewegen zu können. Wie er sich unter Schmerzen die Treppe hinauf gequält hatte, Wie er auf dem Flurboden liegend, auf den Notarzt hatte warten müssen. Seine Fahrt hierher ins Krankenhaus. Die Untersuchung unter dem CT. Die Spritze mit Cortison direkt in die Bandscheibe und die Maßnahmen, zu denen man ihn hier im Krankenhaus zwang.

Van Gelderen täuscht Interesse vor. Er wusste, dass man sich von Krankheiten frei reden muss und wartete so, bis Sacky mit seinen Schilderungen geendet hatte: „Und? Wollen die dich operieren?“

Sakalewski kratzte sein Haupthaar: „Ich glaube es nicht. Die Ärzte meinen, es mit konventionellen Methoden hinzukriegen. Aber bislang ist es ohne Schmerzmittel nicht auszuhalten.“ Er wollte, um sich zu van Gelderen hinzuwenden, etwas auf die Seite legen, brach aber mit einem leichten Stöhnen diesen Versuch ab. Einige Minuten herrschte Schweigen. „Und wie geht’s bei Euch so?“

„Du weißt ja, wir haben immer was zu tun. Im Moment ist Vieles Kleinkram. Das schaffen unsere Leute schon noch. Im Augenblick haben wir noch die Sache mit der Wasserleiche. Den Fall leite ich. Die Spuren führen aber wahrscheinlich nach Holland. Aber wenn noch so eine gewichtige Angelegenheit hinzukommt, dann wirst du uns fehlen.“

Peter Sakalewski fühlte sich geschmeichelt. „Chef, das wirst du doch schaffen. Ich falle doch nur für ein paar Wochen aus und wenn ich keine Schmerzen mehr habe, dann kann ich euch ja am Schreibtisch Arbeit abnehmen.“

Heribert van Gelderen hantierte mit seinen Armen: „Dies werden wir schön bleiben lassen. Dann verrutscht deine Bandscheibe erneut, dann muss du operiert werden. Na prima und dann fällst du bestimmt für ein halbes Jahr flach. Dann darf ich mir einen Ersatz für meinen Stellvertreter suchen. Und personell sind wir nicht gerade gut aufgestellt.“

Sakalewski lächelte matt: „Du kannst ja den Berghoff nehmen“, schlug er vor.

„Herr Hauptkommissar Berghoff! In drei, vier Jahren vielleicht“, wiegelte van Gelderen ab. „Der ist noch zu grün hinter den Ohren, ist doch erst seit drei Jahren bei uns.“

„Und die Krautscheit?“ Sakalewski lächelte herausfordernd.

„Peter, du weißt, wie ich über Frauen im Beruf denke. Ich kann eben diese Emanzen nicht ab. Immer fühlen sie sich benachteiligt, beschweren sich jede fünf Minuten über einen Witz, den man gemacht hat wegen Frauenfeindlichkeit und halten sich bei der Frauenbeauftragten länger auf, als sie für den Fall Zeit verwenden.“

Sakalewski lächelte süffisant: „Bleibt nur noch Knoop.“ Er rekelte sich, verzog dann sein Gesicht und blieb bewegungslos liegen. Seine Stimme klang so, als wüsste er die Antwort bereits.

„Unser beider Freund Knoop. Immer abwegige Meinung. Immer kontra, wenn es ihm um etwas geht. Kann nie sein Maul kalten. Will immer mit dem Kopf durch die Wand. Willst du noch mehr hören?“

Sakalewski schüttelte den Kopf. „Bei mir ist er doch genau so. Aber er hat so ...“

In diesem Augenblick betraten eine Frau, mit zwei Mädchen an der Hand, das Krankenzimmer. Heribert van Gelderen begrüßte Frau Sakalewski fuhr den beiden Kindern sanft über die Haare und entschuldigte sein Gehen. Im Beisein der Familie wollte er über dienstliche Angelegenheiten nicht sprechen. Als er von außen die Türe schloss, sah er, wie Frau Sakalewski sich über ihren Mann beugte, um ihm einen Kuss zu geben.

Der Mann ohne Konturen

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