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Herausforderungen für Parteien Repräsentativität

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Die moderne Demokratie ist eine repräsentative Demokratie und die Parteien sind wichtige Institutionen der Repräsentation. Das kann Unterschiedliches bedeuten:

• Die Vertretung bestimmter persönlicher oder sozialer Interessen von Personen oder Gruppen, wie das z. B. ethnische oder Regionalparteien, Arbeiter- oder Unternehmerparteien kennzeichnet.

• Die Vertretung und das Einstehen für bestimmte Meinungen, Konzepte oder Ideologien bzw. Grundüberzeugungen, was z. B. auf wirtschaftsliberale, marxistische oder religiöse Parteien zutrifft.

• Die Vertretung bestimmter Gruppeninteressen durch Delegierte oder Treuhänder der Wähler, die, wie insbesondere Wahlkreisvertreter, die Interessen ihrer Wählerschaft repräsentieren. Auch wenn die Wähler nicht zu allen Themen eine konkrete Meinung äußern, vertrauen sie darauf, dass ihr Abgeordneter bei allen Entscheidungen die Interessen seines Wahlkreises im Auge hat.

»Die Bürger in modernen Demokratien werden durch und von Parteien vertreten« (Sartori 1976, 24). Dieser Satz eines bekannten Parteienforschers war Mitte der 1970er-Jahre noch weitgehend unstrittig und er gilt insofern auch heute noch, als die Bürger vor allem Kandidaten von Parteien als ihre Repräsentanten in Parlamenten und Regierungen wählen. Doch während die Parteien in der Regel alle jene Funktionen erfüllen, die, vereinfacht ausgedrückt, dem »output« zugeschrieben werden (wie z. B. die Wahlkampforganisation und Regierungsbildung), ist spätestens seit den 1990er-Jahren vielerorts das Vertrauen in die Repräsentationsfähigkeit der politischen Parteien erschüttert. In vielen Demokratien wird deshalb ein Problem der Repräsentativität konstatiert. Gemeint ist damit, dass die Parteien die Fähigkeit eingebüßt haben zu erkennen, was den Bürgern wichtig ist, und ihre Interessen im politischen Raum nicht mehr angemessen vertreten. Als Indikatoren dieses Repräsentationsproblems gelten das anhaltend hohe Misstrauen, das den Parteien in vielen Ländern entgegenschlägt, die Zunahme der Gründung neuer Parteien, aber auch der Mitgliederverlust der etablierten Parteien.

Tab. 2a: Das Vertrauen in politische Parteien am Beispiel ausgewählter Länder (Europäische Union: Umfrage vom Winter 2020/2021; Quelle: Eurobarometer 2021):


LandVertrauen in Parteien (% der Befragten)Misstrauen gegenüber Parteien (% der Befragten)

Tab. 2b: Länder in Lateinamerika und Afrika (Quelle: Latinobarómetro 2018; Afrobarometer; R5:2011/2013 & R7 2016/2018):


LandVertrauen in Parteien (% der Befragten)Misstrauen gegen Parteien (% der Befragten)

Wenn wir nach den Ursachen und Erscheinungsformen für den Verlust an Repräsentativität fragen, stoßen wir auf verschiedene Faktoren. Besonders gravierend ist es, dass die Anbindung vieler Parteien an bestimmte soziale Schichten erschüttert, teilweise gar nicht mehr vorhanden ist oder noch nie existierte. Die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen in vielen Gesellschaften weltweit, die auch andere Institutionen betrifft und auch bei Gewerkschaften einen Mitgliederschwund provozierte, hat auch die soziale Basis der Parteien geschwächt, die aus solchen gesellschaftlichen Clustern oder Schichten hervorgegangen sind und eng mit ihnen verbunden waren. Dadurch entstand ein Problem der Repräsentativität, das sich im Verlust von Wähleranteilen vormals wichtiger Parteien manifestierte. Am Niedergang der sozialdemokratischen oder sozialistischen Parteien ist das deutlich zu erkennen, deren ehemalige maßgebliche Wählerschicht – die traditionellen Industriearbeiter – nach den Transformationen der modernen Industriegesellschaft heute nicht mehr existiert.

Abgeschliffen haben sich auch die früheren ideologischen Gegensätze, die zur Zeit des Kalten Krieges und des Ost-West-Konflikts in allen Teilen der Welt präsent waren. Die Wähler sind ideologisch viel weniger festgelegt als in früheren Jahrzehnten. Folglich fällt es den Parteien schwerer, Wähler aus ideologischen Gründen zu halten oder an sich zu binden. Viele Parteien selbst sind keiner bestimmten Idee oder Ideologie mehr verpflichtet. Heute können vor allem noch die religiösen und neuerdings auch wieder die nationalistischen Parteien mit ihren ideologischen Positionierungen Wähler binden. Die ideologische Indifferenz begünstigt eine hohe Volatilität der Wähler, die nicht mehr auf eine Partei festgelegt sind, sondern flexibel unterschiedliche Parteien wählen. Umfragen ergeben immer wieder, dass viele Wähler ihre Stimmabgabe erst im letzten Moment entscheiden, denn sie fühlen sich keiner Partei besonders nahe. Diese Auflösung der alten soziologischen und ideologischen Bindungen zwischen den Parteien und ihren Wählern ist nicht so einfach zu reparieren.

Zwar behalten viele Wählerschichten ihre traditionellen Einstellungen und Überzeugungen bei, doch ist damit immer weniger auch die Wahl einer bestimmten Partei verbunden. So wählen Arbeiter beispielsweise nicht mehr automatisch sozialdemokratische oder sozialistische Parteien. Das fördert die zunehmenden Schwankungen im Wahlverhalten und macht es den Parteien immer schwerer zu wissen, wer ihre Wähler sind. Entsprechend schwieriger wird folglich u. a. nicht nur die Wahlkampfplanung, sondern die politische Ansprache insgesamt. Die Parteien wissen nicht mehr, wofür ihre Wähler stehen und was sie ihnen als politisches Angebot vortragen sollen.

Die gelockerte Bindung der Wähler an einzelne Parteien begünstigt neue Parteien, die zumindest vorübergehend Wahlerfolge erzielen (Deschouwer 2017). Manche der neuen Parteien können sich anscheinend fest etablieren, wie sich am Beispiel der grünen Parteien in vielen Ländern Europas, aber auch der rechts- oder linkspopulistischen Parteien in Europa und Lateinamerika zeigt. So erreichten die erfolgreichsten grünen Parteien beispielsweise bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 mit 24,1 % (DIE GRÜNEN, Deutschland), mit 18,9 % (déi gréng, Luxemburg), mit 16,3 % (The Greens, Großbritannien) und 16,0 % (Vihreät – De Gröna, Finnland) in ihren jeweiligen Ländern beachtliche Werte. Linkspopulistische Parteien in Europa sind beispielsweise Movimento 5 Stelle in Italien, Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland. In Lateinamerika sind MORENA in Mexiko, Partido Socialista Unido de Venezuela, das Movimiento al Socialismo in Bolivien und Alianza País in Ecuador zu nennen. Beispiele für national-konservative, rechte Parteien sind die Front National aus Frankreich, die Lega aus Italien und die Alternative für Deutschland. Viele neuen Parteien gewinnen mit einem »Anti-Establishment-Diskurs« Aufmerksamkeit und zumindest vorrübergehend Unterstützung, selbst wenn sie sich nicht »populistisch« präsentieren.

Eine Folge solcher Entwicklungen ist eine in vielen Ländern klar erkennbare Tendenz, dass sich ein großer Teil der Wähler von den Regierungsparteien abwendet und Parteien der Opposition bzw. neu gegründete Parteien wählt. Dabei spielt es anscheinend häufig nur eine untergeordnete Rolle, welche politische Richtung eine Regierung auf dem Links-Rechts-Spektrum vertritt. Viele Wähler fühlen sich von der augenblicklichen Regierung nicht repräsentiert und wählen deshalb eine Alternative. Zugleich gehen viele Menschen überhaupt nicht mehr zur Wahl. Ein genereller Rückgang der Wahlbeteiligung weltweit lässt sich zwar nicht nachweisen, in einzelnen Regionen wie Europa und Nordamerika gab es jedoch lange Zeit tendenziell eine niedrigere Wahlbeteiligung. Die Polarisierung vor den US-Wahlen 2020 hat dort zu einer wieder deutlich höheren Wahlbeteiligung geführt. Viele Bürger meinen, es mache keinen Unterschied, wem sie ihre Stimme geben und verweigern deshalb die Wahlteilnahme. Andere aber, die lange nicht oder noch nie zur Wahl gegangen sind, lassen sich erstmals von extremistischen Parteien mobilisieren. Wo die Wahlbeteiligung niedrig ist, schränkt das die Repräsentativität der Parteien und eines Parlaments ein. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob 70 oder 80 % der Bürger an einer Wahl teilgenommen haben oder nur 50 % und weniger. Ein Teil der Bürger ist in einem solchen Parlament nicht wirklich repräsentiert, auch wenn es für die Gesamtheit der Bevölkerung entscheidet. Die geringe Wahlbeteiligung kann Anzeichen einer Entfremdung zwischen Politik und Bürgern sein, aus der problematische Konsequenzen erwachsen können, vor allem, wenn systemkritische Parteien diese Unzufriedenheit für sich zu nutzen versuchen.

Das Repräsentationsproblem der Parteien wird auch dadurch gefördert, dass sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche alternative Kanäle öffneten, welche die Bürger direkt mit den politischen Entscheidungsprozessen in Verbindung bringen. Für die Artikulation ihrer Interessen und Anliegen im politischen Raum brauchen sie den »Umweg« über die Parteien nun viel weniger. Vor allem die neuen Kommunikationsmittel und die sozialen Medien bieten heute zahlreiche und vielfältige Artikulationswege. Wenn ein Bürger mit seinem Abgeordneten oder sogar dem Regierungschef über eine dieser Plattformen direkt kommunizieren kann, braucht er keine Partei als Vermittler.

Neben den Auswirkungen der sozialen Medien wird in jüngster Zeit die Entwicklung der Parteien und Parteiensysteme auch stark von soziokulturellen Aspekten beeinflusst. Dabei stehen sich zwei Pole unversöhnlich gegenüber: Ein liberaler Pol betont Toleranz, Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung, kollektive Freiheit, multikulturelle Gesellschaften, Emanzipation, Pazifismus, Minderheitenrechte, Umweltschutz und kulturelle wie auch politische Inklusion. Die Bewegungen Black Lives Matter oder Me Too hatten neben dem Klimaschutz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie eine große politische Bedeutung erlangt, die auch viele Parteien erfasste. Der andere, eher konservative Pol betont dagegen Nationalismus, innere und äußere Sicherheit, kulturelle Mehrheitsidentitäten, Konformität mit traditionellen Lebensstilen oder eine restriktive Verbrechensbekämpfung. Auch die Konflikte zwischen »Integration vs. Abgrenzung«, »Kosmopolitismus vs. Kommunitarismus« oder »Pluralismus vs. Populismus« lassen sich auf dieser Konfliktachse abbilden. Der Zulauf zu populistischen Parteien ist durch die Polarisierung zweifellos begünstigt worden, was sowohl für linke als auch rechte populistische Parteien gilt. Gemeinsam ist beiden die Kritik an der Globalisierung. Während Linkspopulisten die soziale Ungleichheit infolge des verschärften Wettbewerbs zwischen Ökonomien betonen, fürchten Rechtspopulisten die Folgen für die nationale und kulturelle Identität aufgrund der durch die Globalisierung beförderten Migration. Für demokratische Parteien und Parteiensysteme sind beide Pole ein Problem, weil sie dem gesellschaftlichen und politischen Pluralismus skeptisch gegenüberstehen, wenn sie ihn nicht ganz ablehnen. Die sogenannte »cancel culture« ist ein solcher Angriff auf den gesellschaftlichen und politischen Pluralismus; ihren Anhängern ist oft nicht bewusst, dass sie damit auch die Grundpfeiler der Demokratie infrage stellen.

Die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nationaler Politik auf supranationale Einheiten schränkt die Repräsentationsfähigkeit der Parteien zusätzlich ein. Dieser Zuständigkeitstransfer wird zwar in der Europäischen Union besonders offensichtlich, findet jedoch im Zeitalter der Globalisierung und der globalen Interdependenz praktisch überall statt. Bei Themen wie dem Kampf gegen den Klimawandel oder den Terrorismus, der Verteidigung vor äußeren Bedrohungen, einschließlich Pandemien wie dem Coronavirus, dem Management von Migrationsströmen und nicht zuletzt auch der Kontrolle globaler Konzerne sind die engen Grenzen nationaler Politik offensichtlich. Das berührt auch die Fähigkeit der Parteien, alternative Lösungsvorschläge zu präsentieren und durchzusetzen. Ihre Entscheidungskompetenz ist weiterhin hauptsächlich auf ihre Nationalstaaten konzentriert. Gemeinschaftliche Entscheidungen mehrerer Staaten sind nur nach langwierigen und komplizierten Abstimmungen zwischen Parteien und Regierungen anderer Länder möglich. Supranationale Parteien gibt es nur wenige und sie sind bislang unbedeutend (z. B. Volt in Europa). Auch die sogenannten europäischen Parteien innerhalb der EU sind letztlich Vereinigungen nationaler Parteien. Heute drehen sich nationale Wahlen oft um Politikfelder, bei denen der nationale Entscheidungsspielraum manchmal sehr begrenzt ist. Politiker bewerben sich um Ämter, doch die wirkliche Entscheidungsmacht für viele Themen erlangen sie damit nicht. Das wissen auch die Wähler.

Ein Problem für die Repräsentationsfähigkeit der Parteien ist es schließlich auch, wenn politische Entscheidungen mit »Sachzwängen« begründet und kontroverse Debatten mit diesem Argument abgewürgt werden. In Europa war dies anlässlich der sogenannten Eurokrise in den Jahren 2010/11 unverkennbar, als in verschiedenen Ländern der Europäischen Union weitgehende finanzpolitische Entscheidungen ohne ausführliche Debatten in den Parteien und Parlamenten getroffen wurden. Der angebliche »Sachzwang«, eine vermeintliche Alternativlosigkeit, aber lähmt die Parteien und die zwischenparteiliche Debatte, fördert die »Entpolitisierung« des Regierungshandelns und trägt damit zusätzlich zur Auflösung der Bindungen zwischen den Parteien und ihren Wählern bei. Parteien und Regierungen verteidigen und legitimeren ihre Entscheidungen mit einer angeblich »Notwendigkeit« oder »Unvermeidbarkeit« – manchmal sogar unter Missachtung ihrer eigenen Parteiprogramme. Widerspruch wird dadurch erstickt und delegitimiert. Doch die Konzentration auf die Regierungsarbeit unterminiert die Kapazität, die Meinung der Wähler zu repräsentieren. Während der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 war weltweit zu beobachten, dass die meisten Regierungen mit ihren Entscheidungen vor allem den Ratschlägen der medizinischen Fachleute folgten, kontroverse politische Debatten aber eher ausgesetzt wurden und die Parlamente nur in eingeschränktem Modus tagten. Das hat die Exekutiven gestärkt, aber gleichzeitig den eingeschränkten Spielraum der Parteien zur Formulierung alternativer Politikvorschläge demonstriert.

Ein weiterer Indikator für die geschwächte Repräsentationsfähigkeit vieler Parteien ist, dass sie manche Themen, die den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen und um die neue Konflikte entstehen, zu spät wahrnehmen. Das gilt beispielsweise für die Umweltpolitik in den 1980er-Jahren oder heute den Klimawandel, die Digitalisierung und die neuen Lebenseinstellungen bis hin zu Essensgewohnheiten, die plötzlich zu politischen Konfliktthemen und zum Teil auch zu Identitätsfragen hochstilisiert werden. Zu erwähnen ist hier auch, dass sich in vielen Ländern die Erwartungshaltung der Bürger gegenüber staatlichen Dienstleistungen ändert. Viele Parteien tun sich schwer, diesen Wandel zu erkennen, geschweige denn, dass sie darauf bereits reagieren.

Nutznießer einer solchen Repräsentationsschwäche sind Parteien, die gegen eine Regierung mobilisieren und nicht zuletzt neue Parteien, die infolge der Enttäuschung über die »Altparteien« gegründet werden. Solche Organisationen wurden selbst von Showstars und Kabarettisten gegründet, die u. a. in der Ukraine, in Slowenien, in Guatemala, in Italien und auch in Deutschland erfolgreich an Wahlen teilgenommen haben. Aufgrund der Frustration mit den traditionellen politischen Gruppierungen können solche neuen Formationen relativ schnell Wahlerfolge erzielen. Allerdings ist ihre Halbwertszeit häufig begrenzt, zumindest was ihre Präsenz in einem nationalen Parlament angeht. Besonders fatal ist für die jungen Parteien eine Regierungsbeteiligung. Sie müssen vielfach schnell erleben, dass sich der Vorwurf mangelnder Repräsentativität, den sie gegen die »Altparteien« erhoben und der ihr Wachstum förderte, nun gegen sie selbst richtet, weil auch sie in einer Regierung nur einen Bruchteil ihres Programms und ihrer Versprechen durchsetzen können. Am Beispiel des Movimento 5 Stelle in Italien lässt sich dieser Auf- und Niedergang einer neuen Partei gut beobachten. Das Erstarken neuer Parteien ist daher eher ein Indikator für die Schwächen eines demokratischen Systems als eine Alternative.

Viele Parteien versuchen, diesen Tendenzen durch eine Personalisierung zu entgehen. In Wahlkämpfen verheimlichen sie ihren Parteinamen und das Parteilogo und stellen stattdessen Persönlichkeiten in den Mittelpunkt ihrer Kampagnen. Zwar besitzen Kandidaten seit jeher eine große Bedeutung für die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Parteien, doch die neue Unübersichtlichkeit angesichts der Vielzahl von Parteien weckt anscheinend bei vielen Menschen das Bedürfnis nach einem Anhaltspunkt für Orientierung und Vertrauen. Das kann eine Person aus Fleisch und Blut viel besser vermitteln als ein nüchterner Parteiapparat. Doch die Personalisierung verschärft letztlich nur den Anti-Parteien-Effekt (Poguntke/Webb 2005; Rahat/Kenig 2015). Wenn sich schon die Kandidaten und Repräsentanten nicht mehr zu ihrer Partei bekennen, verschleiert das, wofür die Parteien stehen. Die Bürger und Wähler wissen nicht, ob und wie ihre eigenen Anliegen und Interessen von ihnen repräsentiert werden.

Alle diese Entwicklungen führen zu einer abnehmenden Bindung und Identifizierung mit Parteien, einem Vertrauens- und Mitgliederverlust, einer geringeren Wahlbeteiligung sowie nicht zuletzt zum Auftrieb von neuen und Anti-Establishment-Parteien unterschiedlicher Art. Vor allem aber sind solche Entwicklungen ein klarer Hinweis auf die nachlassende Fähigkeit der Parteien, Repräsentanten gesellschaftlicher Interessen zu sein. Auch dort, wo sie früher eine gewisse Monopolstellung bei der Vertretung sozialer Gruppen einnahmen, existieren heute Konkurrenten in Form von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder direkten Kommunikationskanälen, über die soziale Gruppen oder einzelne Bürger ihre Anliegen selbständig artikulieren. Ein wesentliches Instrument, um diesem Dilemma entgegenzuwirken, besteht darin, dass die Parteien ihre eigene Organisation stärken und darauf ausrichten, nicht nur Wahlen zu gewinnen, sondern auch kontinuierlich den Kontakt mit den Bürgern zu halten und zu vertiefen.

Parteien gestalten Demokratie

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