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Unterscheidungsmerkmal Organisationsform von Parteien

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Die Organisationsform ist seit Beginn der Parteienforschung das wichtigste Kriterium, Parteien nach Typen zu klassifizieren. Dabei wurde zunächst unterschieden zwischen den schwach organisierten Honoratiorenparteien, die auf der temporären Mitarbeit lokaler Respektspersonen basierten, sowie den dauerhaft organisierten, auf die Beteiligung breiter Massen ausgerichteten Massenparteien (Duverger 1959). Nachdem zunächst die linken Parteien als Massenparteien Wahlerfolge erzielten, wandelten sich allmählich auch frühere Honoratiorenparteien in Richtung dieses Parteityps, indem sie ihre Organisation ausbauten und ihre Mitgliedschaft erhöhten.

Massenparteien gab und gibt es nicht nur in demokratischen Ländern, wo die Mitgliedschaft auf freier Entscheidung beruht, sondern auch in autoritären und in totalitären Staaten, wo die Staatspartei die Bürger zur Parteimitgliedschaft zwingt und die Masse ihrer Mitglieder nicht nur mobilisiert, sondern gleichzeitig auch kontrolliert. Die Peronisten in Argentinien oder der Partido de la Revolución Institucionalizada (PRI) in Mexiko waren in der Vergangenheit Massenparteien in Lateinamerika mit einer autoritären Regierungspraxis; heute haben sie sich den demokratischen Prozessen ihrer Länder angepasst und können auch weiterhin als Massenparteien gelten (obwohl sich die Peronisten wiederholt in verschiedene »Teil-Parteien« gespalten haben, die bei Wahlen häufig wieder gemeinsam antreten). Die Kommunistischen Parteien in China und Vietnam sind Massenparteien in autoritären Systemen. In Malaysia kann man die United Malays National Organisation (UMNO) als Massenpartei bezeichnen, die als ethnische Partei die Bevölkerungsmehrheit der ethnischen Malaien vertritt und seit der Unabhängigkeit des Landes 1951 bis 2018 ununterbrochen die Regierung führte. In Indien war und ist der Indian National Congress (INC) eine Massenpartei, die aus einer von Mohandas (Mahatma) Gandhi geführten Massenbewegung zugunsten der Unabhängigkeit hervorgegangen ist und nach der Unabhängigkeit des Landes 1947 mit wenigen Unterbrechungen bis 2014 die Regierung des Landes führte. Auch die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), die seither der Regierung Indiens vorsteht, ist eine Massenpartei. Beide Parteien sind ein Beispiel dafür, dass auch heute noch Massenparteien in einer Demokratie existieren können. In Afrika können der African National Congress (ANC) in der Republik Südafrika, die New Patriotic Party (NPP) und der National Democratic Congress (NDC) in Ghana oder (zumindest bis zum Putsch von 2020) der Rassemblement pour le Mali (RPM) zu den Massenparteien gezählt werden.

In Europa gab es bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern Massenparteien, darunter beispielsweise die Sozialisten und Sozialdemokraten in England, Frankreich, Schweden, Italien und Deutschland, sowie die Christdemokraten in Deutschland und Italien oder auch die Gaullisten in Frankreich. Wichtig war damals für solche Parteien, dass es in den Gesellschaften große Teile der Bevölkerung gab, die den gleichen sozialen Status und auch gleiche politische Präferenzen teilten. Das gilt insbesondere für die traditionelle Industriearbeiterschaft, die in Gewerkschaften organisiert war. Doch im Zuge der sozialen Differenzierung wurde die Bindung zu einzelnen Parteien lockerer und die Parteien verloren Mitglieder aus bestimmten Milieus. Sie konzentrierten sich nun stärker auf den Ausbau ihrer zentralen Organisation als Voraussetzung für die erfolgreiche Teilnahme an Wahlen. Zudem verlor die vormals scharfe ideologische Abgrenzung an Gewicht, weil die vormaligen Massenparteien nun ein breites Wählerspektrum zu erreichen suchten. Sie werden meistens als »Catch-all-Parteien« oder auch »professionelle Wählerparteien« klassifiziert (Kirchheimer 1965). In Deutschland hat sich der Begriff »Volksparteien« durchgesetzt, der in manchen englisch- und spanischsprachigen Ländern als »people’s party« oder »partido popular« übersetzt wird. Sehr bekannt ist die »Europäische Volkspartei« (EVP), die Organisation der christdemokratischen und konservativen Parteien im Europäischen Parlament.

Solche Wählerparteien oder »Catch-all-Parteien« bemühen sich zwar auch um eine möglichst große Mitgliedschaft, doch spielt bei ihnen als Unterscheidungsmerkmal eine viel größere Rolle, dass sie Wähler (und auch Mitglieder) aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, Generationen und mit einer gewissen weltanschaulichen Breite ansprechen und integrieren wollen und dass sie auch bei ihren Programmen und politischen Vorschlägen bewusst eine Ausbalancierung unterschiedlicher Positionen anstreben. Indem sie schon innerhalb ihrer eigenen Organisation und mit ihren Partei- und Wahlprogrammen politische Kontroversen entschärfen und ausgleichen, zudem auch Repräsentanten verschiedener Schichten an der Parteiführung beteiligen und zu Kandidaten nominieren, können sie breitere Wählerschichten ansprechen als solche Parteien, die sich soziologisch oder thematisch enger definieren (z. B. »Arbeiter«- oder »Unternehmer«-Parteien). Sie leisten dadurch bereits innerparteilich einen wichtigen Beitrag zur Funktion der Aggregation und Artikulation gesellschaftlicher Interessen. Doch auch für sie wird es heute schwieriger, größere Wählerschichten anzusprechen, weil die soziale Differenzierung und Heterogenität weiter zugenommen hat und gerade in den letzten Jahren politische Einstellungen unversöhnlicher vertreten werden, was es den Wählerparteien erschwert, innerhalb der eigenen Organisation unterschiedliche Positionen miteinander zu versöhnen. Dadurch werden auch ihre Wahlprogramme einseitiger – was wiederum einen bestimmten Teil der Wähler davon abhält, für die vormals starken Massen- und heutigen Wählerparteien zu stimmen. Am Niedergang der Sozialdemokratischen Parteien ist das deutlich zu beobachten.

Die Klientelparteien besitzen in der Regel eine schwache Organisation und werden von einer kleinen Parteiführung beherrscht. Sie sind auf eine eng definierte Klientel konzentriert, für deren Versorgung sie auf legale, oft aber auch auf weniger legale Mittel zurückgreift, sofern sie einen Zugriff auf staatliche Ressourcen erlangen. In Ländern wie Georgien, Moldawien und der Ukraine entsprechen jeweils etliche Parteien diesem Typ – was auch eine Ursache für die Schwierigkeiten der Konsolidierung von Demokratie dort ist (Gherghina/Volintiru 2020).

Parteien in den USA repräsentieren einen eigenen Typ (Katz 2020, 222 f.) und sind nicht mit denen anderer Länder vergleichbar. Sie sind durch eine nur schwache zentrale Organisation charakterisiert, auf individuelle Kandidaten fokussiert, verfügen einerseits nicht über formal registrierte Mitglieder und erlauben andererseits einer Höchstzahl von ad hoc registrierten Anhängern die Entscheidung über ihre Kandidaten für Parlamentsposten und das Amt des Staatspräsidenten. Sie sind überdies so stark gesetzlich reguliert wie keine andere Partei in einer freiheitlichen Demokratie. Wegen ihres schwachen Organisationsgrades sind diese Parteien nicht nur sehr anfällig für »das große Geld«, von dem die Finanzierung der teuren Wahlkämpfe abhängt, sondern auch der Gefahr ausgesetzt, dass sie von Persönlichkeiten »erobert« werden, die vorher keinerlei Verbindung zu ihnen oder der Politik überhaupt hatten. Donald Trump ist dafür das beste Beispiel. Nachdem er jahrelang behauptet hatte, der Demokratischen Partei nahezustehen, setzte er sich 2016 als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei durch, zu der er bis zu seiner Nominierung keine formale Beziehung unterhielt. Die wichtigste Organisationseinheit der US-Parteien sind ihre Vereinigungen in den Bundesstaaten, welche die nationale Parteizentrale kontrollieren und den nationalen Vorsitzenden wählen. Die nationalen Konvente sind keine »Parteitage«, die über politische Programme entscheiden, sondern dienen dazu, den Präsidentschaftskandidaten auszurufen, der zuvor in den einzelnen Bundesstaaten gewählt wird. Die Erfahrungen der USA haben nur einen äußerst eingeschränkten Wert als nachahmenswertes Rollenmodell für die Organisation anderer Parteien in der Welt. Das gilt nicht für die Wahlkampfführung, die von vielen Parteien weltweit immer mit Aufmerksamkeit verfolgt wird, weil in den US-Wahlkämpfen häufig erstmals Kampagnenformen angewandt werden, die auch andernorts Nachahmung finden. Die sozialen Medien wurden beispielsweise erstmals massiv in den Wahlkämpfen von Barak Obama eingesetzt. Dies setzte sich schnell weltweit durch.

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