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Unterscheidungsmerkmal ideologisch-politisches Profil von Parteien

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Das politisch-ideologische Selbstverständnis ist, vor allem in Europa, für viele Parteien weiterhin das wichtigste Kennzeichen, um ihre eigene Identität zu markieren und um sich von anderen Parteien abzuheben. Grundlage dieser Profilierung sind die weltanschaulichen Strömungen Europas im 19. Jahrhundert, welche die Entstehung von kommunistischen, sozialistischen und sozialdemokratischen, christdemokratischen, liberalen und konservativen Parteien inspirierten. In vielen Ländern Europas sind solche Parteien weiterhin stark, wobei es allerdings innerhalb einzelner Parteienfamilien schon immer auch Fragmentierungen gegeben hat, sodass in manchen Ländern unterschiedliche Parteien der gleichen »Familie« angehören. Im Europäischen Parlament bilden sich die Fraktionen auf der Grundlage der »Parteienfamilien« und üben über diese Form der Zusammenarbeit gemeinsam einen großen Einfluss auf die Politik der Europäischen Union aus. Parteien, die nicht zu einer dieser Parteienfamilien gehören, haben einen eher geringen Einfluss. Innerhalb der Parteienfamilien existiert eine große Vielfalt, die den Zusammenhalt der Familien erschweren. So haben die Sozialdemokraten aus Rumänien beispielsweise mit ihren zahlreichen Korruptionsfällen wenig gemeinsam mit ihren »Schwesterparteien« aus Schweden oder Deutschland. Die Europäische Volkspartei dagegen rang lange mit ihrer Haltung gegenüber der Partei FIDESZ aus Ungarn, deren Vorsitzenden Victor Orbán manche EVP-Führer als Autokraten bezeichnen, weil er in seinem Land die Kontrolle der Regierung de facto ausgesetzt hat und über Verfassungsänderungen und Gesetze die Unabhängigkeit der Justiz einschränkte, regierungskritische Medien aufkaufen ließ und den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen einschränkt. Nachdem ihre Mitgliedschaft seit März 2019 suspendiert war, ist die Partei Anfang 2021 endgültig aus der EVP ausgetreten.

Außerhalb Europas spielt das politisch-ideologische Selbstverständnis ebenfalls eine wichtige Rolle für die Profilierung von Parteien. In Ländern Lateinamerikas gab es einige Jahrzehnte lang ähnliche Parteienfamilien wie in Europa, die sich mittlerweile aber vielerorts entweder aufgelöst haben oder irrelevant geworden sind. In Asien gibt es einige liberale und vor allem kommunistische Parteien, die – zumindest in ihrer Gründungsphase – den weltanschaulichen Strömungen Europas verbunden waren. Doch die meisten Parteien dieses Kontinents lassen sich ebenso wie die in Afrika kaum den traditionellen ideologischen Strömungen zuordnen. Zudem drücken nicht wenige Parteien in ihrem Namen eine gewisse Reverenz gegenüber einer Ideologie aus, ohne diese tatsächlich zu vertreten. Der Name ist in solchen Fällen reines Marketing, um Wähler mit bestimmten ideologischen Präferenzen anzusprechen.


Abb. 3: Parteienfamilien im Europäischen Parlament.

Zum Beispiel gibt es in allen Kontinenten »Sozialdemokratische Parteien«, die aber keineswegs alle eine dezidiert arbeitnehmerfreundliche Einstellung oder enge Beziehungen zu den Gewerkschaften pflegen; manche vertreten sogar ausgesprochen wirtschaftsliberale Positionen. Gleichzeitig gibt es die Tendenz bei liberalen Parteien, wie etwa der des französischen Präsidenten Macron, sich vom traditionellen Liberalismus zu distanzieren und ein eher »progressives« Profil zu reklamieren (ohne genau zu erläutern, was das bedeutet). Beliebt sind auch Namen wie »Demokratische Volkspartei« oder »Progressive Demokratische Partei«. Damit wird eine politisch-ideologische Position mit einer engen Verbindung zu den Werten der Demokratie suggeriert. Im Einzelfall muss man jedoch genau prüfen, wie ernsthaft solche Parteien tatsächlich für die Prinzipien der Demokratie eintreten.

Wichtig geworden sind heute wieder die nationalistischen bzw. die national-populistischen Parteien, nicht nur in vielen Ländern Europas, sondern auch in Lateinamerika (López-Alves/Johnson 2019) und in Asien. Sie beziehen sich zum Teil sehr deutlich auf die Ideologie des Nationalismus. Daneben sind, wiederum vor allem in Europa, die ökologischen und grünen Parteien eine junge Parteienfamilie, die sich gemäß ihres politisch-ideologischen Selbstverständnisses identifizieren und von anderen Parteien unterscheiden lassen. Die religiösen Parteien haben vor allem in einigen islamischen Ländern wie in Indonesien und Malaysia an Bedeutung gewonnen. Auch in Indien ist der Hinduismus für die Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) ein zentrales Unterscheidungsmerkmal von anderen Parteien. In der Türkei betont die Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) ihr religiöses Profil, ohne dass man sie als religiöse Partei klassifizieren könnte.

Die Unterscheidung zwischen »linken« und »rechten« Parteien war früher, vor allem in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, gebräuchlicher als heute, hat aber keineswegs an Bedeutung verloren. Mit diesen Begriffen werden ideologische Grundpositionen angesprochen. »Links« steht für eine politische Einstellung, die soziale Gleichheit und soziale Rechte, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und die stärkere Kontrolle oder gar das Verbot von Privatbesitz und privatem Unternehmertum betont und gerne Begriffe wie »Fortschritt«, »Progressivität« und »Internationalismus« benutzt, ohne diese genauer zu definieren. Seit dem 18. Jahrhundert beschreiben sozialistische, kommunistische, anarchistische und auch sozialdemokratische Parteien damit ihre Position im politischen Spektrum. Auch »progressive« Zivilrechts-, Frauen-, Anti-Kriegs- oder Umweltbewegungen definieren sich mit diesem Begriff. Im politischen Sprachgebrauch vieler Länder ist er ungemein präsent und wird zur Kennzeichnung eines breiten Spektrums von Parteien verwendet, das von der Democratic Party der USA bis zur noch immer stalinistischen Kommunistischen Partei Portugals (PCP) reicht. Mit der Bezeichnung »rechts« wird häufig die Vorstellung von Autorität, Hierarchie, Ordnung, Pflicht, Tradition, und Nationalismus, aber auch einer marktliberalen Wirtschaftspolitik verbunden. Nationalistische und faschistische Parteien gelten in der Regel als Vertreter der extremen Rechten. Doch die Etiketten »rechts« und links« haben nur einen begrenzten Wert zur Kennzeichnung von Parteien, auch wenn sie in der politischen Auseinandersetzung gerne benutzt werden, um den politischen Gegner zu markieren, teilweise auch zu diffamieren.

Ideologisch weniger festgelegt sind dagegen die sogenannten Ein-Themen- oder Nischen-Parteien, die sich vor allem im Hinblick auf bestimmte programmatische Positionen identifizieren lassen, aber kein politisches »Vollprogramm« vertreten, sondern monothematisch bleiben. Das Spektrum reicht von Tierschutz- über religiös-fundamentalistische und Autofahrer- bis zu den Piraten-Parteien, die sich auf die Netzpolitik konzentrieren. Die grünen Parteien vertraten in ihrer Gründungsphase ebenfalls vor allem ökologische und pazifistische Themen, haben mittlerweile aber ihre Programme deutlich ergänzt, was eine wesentliche Voraussetzung dafür war, ihre Wählerschaft zu erweitern Insgesamt bestätigt das, dass Parteien vor allem dann größeren Erfolg haben, wenn sie sich programmatisch breit aufstellen.

Der Bezug zu einer bestimmten Ideologie spielt heute für viele Wähler noch immer eine wichtige Rolle, selbst wenn sie viel weniger ideologisch festgelegt sind. Bei Wahlen zeigt sich immer wieder, dass die Schlagkraft und der Erfolg von Parteien eng mit ihren spezifischen ideellen Grundüberzeugungen zusammenhängen, die damit ihre Identität markieren, was ihnen hilft, Wähler zu mobilisieren. Wenn heute die religiös motivierten und konservativen Wähler in den USA überwiegend die Republikanische Partei wählen, hat das politisch-ideologische Gründe, weil diese Partei in den letzten Jahrzehnten ein klares ideologisches Profil entwickelte (das sich in Teilen deutlich davon unterscheidet, was diese Partei während des 19. und einem Großteil des 20. Jahrhunderts kennzeichnete). Allerdings stößt die ideologische Profilierung dort an Grenzen, wo die Wähler nicht nur Ideologie, sondern auch konkrete Lösungskompetenz für politische Sachfragen erwarten. Deshalb erzielen beispielsweise religiöse Parteien nicht in allen Ländern, in denen das religiöse Bekenntnis für viele Menschen eine große Bedeutung besitzt, überragende Wahlergebnisse, wie sich in Indonesien und Malaysia zeigt. Das Bekenntnis zum Islam ist dort für viele Menschen wichtig, doch bei einer Wahl lassen sie sich auch von anderen Kriterien leiten. Wo aber eine Partei den Eindruck erwecken kann, das politisch-ideologische Bekenntnis mit der Kompetenz zur Lösung politischer Sachprobleme zu verbinden, wie im Fall der BJP in Indien oder der AKP in der Türkei, ist die politisch-ideologische Positionierung ein klares Unterscheidungsmerkmal im politischen Wettbewerb.

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