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1 Demokratie und Parteien im 21. Jahrhundert
ОглавлениеDemokratie ist heute, am Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, die häufigste Form politischer Ordnung. Nahezu überall auf der Erde hat sich diese Regierungsform etabliert. Allerdings stehen weltweit viele Demokratien vor neuen Herausforderungen. Seit einigen Jahren beklagen zahlreiche Analysen, dass die »dritte Welle der Demokratie«, die Mitte der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts einsetzte und in allen Erdteilen zu zahlreichen Regimewechseln führte (Huntington 1991), mittlerweile gebrochen ist und wir nach einer »demokratischen Rezession« nun vielerorts die Erosion und den Verfall von Demokratie erleben (z. B. Diamond/Plattner 2015; Diamond 2019; Graf/Meier 2018; Runciman 2018). Das zeigt sich in etlichen jungen Demokratien an den Einschränkungen der Gewaltenteilung und der Kontrolle von Regierungen, der Beschneidung bürgerlicher Freiheiten wie der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, den Übergriffen auf die Justiz und nicht zuletzt an der Gängelung unabhängiger Medien und der Organisationen der Zivilgesellschaft. Neuere Erhebungen belegen solche Tendenzen und verweisen auf die Schwierigkeiten bei der Entwicklung und Konsolidierung von Demokratie weltweit (IDEA 2019; EIU 2020; V-DEM 2020). Je nach Bewertungsmaßstab gelten noch knapp die Hälfte bis drei Fünftel der Länder dieser Erde als Demokratien. Selbst vermeintlich fortgeschrittene Demokratien in Afrika und Lateinamerika haben demnach in den letzten Jahren Rückschläge erlebt, die den demokratischen Charakter der Regierungssysteme bedrohen oder ganz infrage stellen. Positiv hervorzuheben sind allerdings in vielen Ländern auch einige starke pro-demokratische Bewegungen aus der Zivilgesellschaft und die Demokratisierungsfortschritte in Staaten wie Armenien, Gambia, Sri Lanka, Tunesien oder im Sudan.
Die vorsichtig optimistische Sicht wird durch einige wichtige Ereignisse gestützt: In Belarus haben im Jahr 2020 über Wochen tausende Menschen – angeführt von furchtlosen Frauen – gegen die Fälschung der Präsidentschaftswahlen und gegen die Fortsetzung der autoritären Regierung in diesem Land protestiert. Ebenso couragiert haben in Thailand Schüler und Studenten für mehr Transparenz und die Rückkehr zu einer demokratischen Ordnung demonstriert. Ein Jahr davor waren die Kommunalwahlen in Hongkong ein starkes Signal für die anhaltende Attraktivität der Demokratie, auch wenn das Territorium seine Selbstbestimmung mittlerweile weitgehend eingebüßt hat. In Russland hatten sich die Menschen vor den Kommunalwahlen 2019 für eine offenere und transparentere, um nicht zu sagen »demokratischere« Wahl eingesetzt. Trotz der Verhaftung und Einschüchterung von Oppositionskandidaten haben viele Pro-Kreml-Kandidaten Verluste erlitten. Einige neuere Entwicklungen in mehreren Ländern des Nahen Ostens und des südlichen Mittelmeerraums deuten zudem darauf hin, dass die mittel- und langfristigen Auswirkungen des sogenannten »Arabischen Frühlings« im Jahr 2011 nicht unterschätzt werden sollten. Obwohl die Erwartungen an einen raschen und nachhaltigen politischen Wandel in den meisten Ländern dieser Region enttäuscht wurden, zeigen Umfragen, dass junge Menschen aus diesen Ländern eine andere Form der Gesellschaft anstreben, die offen ist für globale Werte, eine tolerante Kultur, unabhängige Nachrichtenquellen und in denen rückwärtsgerichtete Religionskonzepte nicht mehr dominieren. Insgesamt deutet sich auch hier der Wunsch nach demokratisch organisierten Gesellschaftsordnungen an (ASDA’A BCW 2019). Diese wenigen Beispiele zeigen: Die Attraktivität der Demokratie ist ungebrochen.