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Klassifizierung von Parteiensystemen

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• Einparteiensystem:

Nur eine Partei dominiert den politischen Wettbewerb, demokratische Freiheiten sind unterdrückt. In Vietnam, Nordkorea oder Kuba sind neben der Kommunistischen Partei keine weiteren Parteien zugelassen. Auch die Volksrepublik China ist de facto ein Einparteiensystem, weil die Kommunistische Partei eindeutig dominiert; zwar sind acht weitere Parteien registriert, doch es herrscht kein echter und offener Parteienwettbewerb.

• Zweiparteiensystem:

Zwei Parteien dominieren den politischen Wettbewerb. Andere erhalten nur einen geringen Stimmenanteil und spielen für die Regierungsbildung keine Rolle. Zweiparteiensysteme gibt es vor allem in Ländern mit Mehrheitswahlsystemen und präsidentiellen Regierungssystemen wie den USA, Uruguay, Ghana und der Mongolei.

• Mehrparteiensystem

Mehr als zwei Parteien nehmen Einfluss auf den politischen Wettbewerb.

Es gibt verschiedene Formen von Mehrparteiensystemen:

– Dominierte Mehrparteiensysteme: Eine große Partei beherrscht den politischen Wettbewerb und stellt eine Alleinregierung, ohne dass die Mehrzahl der anderen Parteien eine wirkliche Alternative bilden können. In vielen Fällen, wie beispielsweise in Russland, Belarus, Kasachstan, Angola, Mosambik, Simbabwe, Singapur und Kambodscha stützen solche Parteiensysteme ein autoritäres oder semiautoritäres politisches System. Die dominierende Partei neigt dazu, den politischen Wettbewerb so zu gestalten (oder zu manipulieren), dass die anderen Parteien keine wirkliche Chance haben, sie durch Wahlen abzulösen. Auch in Südafrika, der Türkei und Ungarn gibt es die Tendenz, dass die dominierende Partei ihre Stellung missbraucht. In Japan spielt die LDP eine dominierende Rolle, respektiert aber die demokratischen Spielregeln und hatte von 2009 bis 2011 die Regierungsführung verloren.

– Mehrparteiensysteme mit moderater Fragmentierung: zwar nehmen zahlreiche Parteien an Wahlen teil und auch Parteien mit extremistischen Positionen sind im Parlament vertreten, doch für die Regierungsbildung durch Koalitionen kommen nur drei bis acht Parteien infrage, deren programmatische oder ideologische Orientierung nicht sehr stark auseinanderliegt. Länder mit solchen Parteiensystemen sind Estland, die Niederlande, Schweden, Dänemark, Österreich oder auch Deutschland.

– Fragmentierte Mehrparteiensysteme: zahlreiche kleinere Parteien bestehen nebeneinander; es existieren scharfe ideologische Konflikte, welche die Mehrheits- und Koalitionsbildung erschweren. Chile, Costa Rica oder Indonesien haben solche Parteiensysteme; in Belgien, Polen, der Ukraine und Israel sind die ideologischen Konflikte stark ausgeprägt, weshalb man hier auch von polarisierten und fragmentierten Mehrparteiensystemen sprechen kann.

– Atomisierte Mehrparteiensysteme: Es existieren zahlreiche (Klein-)Parteien, die von Clans, gesellschaftlichen, ethnischen oder regionalen Gruppen gebildet werden. Ihre Festlegung auf spezifische Gruppeninteressen, die denen anderer Gruppen häufig diametral entgegenstehen, behindert die Kooperations- und Koalitionsbereitschaft sowie die Mehrheitsbildung nachhaltig. Zu beobachten ist das beispielsweise in Bosnien und Herzegowina sowie in Haiti und Malawi.

Ob es in einem Land ein Zwei- oder Mehrparteiensystem gibt, hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab: dem gesellschaftlichen und politischen Pluralismus, den politischen Traditionen, der Entwicklung der Institutionen, der politischen Kultur, den sozioökonomischen Verhältnissen, der Bedeutung von Regionen, den konfessionellen Gegebenheiten etc. Nicht zuletzt hat auch das Wahlrecht einen großen, keinesfalls aber entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung des Parteiensystems. Ein Mehrheitswahlsystem fördert zwar eher die Entwicklung eines Zweiparteiensystems (oder eines Systems mit wenigen dominierenden Parteien), während ein Verhältniswahlsystem eher ein Vielparteiensystem begünstigt. Allerdings existiert kein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem Wahlsystem und der Ausformung des Parteiensystems ( Kap. 9 »Wahlen und Wahlsysteme«).

Die Fragmentierung der Parteiensysteme ist vor allem eine Folge der Repräsentationsschwäche von Parteien in einem Parlament, deren Auswirkungen oben aufgezählt wurden. Gleichzeitig verschärft die Zersplitterung der Parteiensysteme und Parlamente ihre Repräsentationsfähigkeit zusätzlich, weil kaum eine Partei mehr einen größeren Anteil von Wählern vertritt.

Die Gesamtzahl der Parteien, die in einem Land Parlamentsmandate gewinnt, ist von großer Bedeutung. Es bestehen große Unterschiede zwischen Ländern mit zwei, drei oder vier relevanten Parteien und Ländern mit mehr Parteien, die politischen Einfluss ausüben. Je größer die Zahl der Parteien, desto komplexer sind ihre Beziehungen untereinander. Dabei kommt es auch gar nicht so sehr auf die relative Größe der einzelnen Parteien an. Wo viele Parteien ein wichtiges Wort mitzureden haben und keine Partei dominiert, haben viele Akteure einen großen Einfluss. Besonders schwierig ist es dort, wo neben der Vielzahl auch ein hohes Maß an Polarisierung besteht und sich der Parteienwettbewerb nicht um das politische Zentrum dreht, sondern von extremistischen Positionen bestimmt wird.

Am Beispiel Spaniens lassen sich diese Dynamik eines Parteiensystems und die damit verbundenen problematischen Konsequenzen gut verdeutlichen. Bis 2015 hatte das Land ein Zweiparteiensystem, in dem der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und der Partido Popular (PP) dominierten und sich seit der Demokratisierung ab 1978 an der Regierung abwechselten. Seit 2015 existiert


Abb. 4: Fragmentierung des Parteiensystems in Spanien.

diese Dominanz nicht mehr. PSOE und PP erhalten gegenwärtig jeweils nur noch rund ein knappes Drittel (oder weniger) der Stimmen. Neben dem Erstarken regionaler nationalistischer Parteien haben sich auf nationaler Ebene eine links- und rechtspopulistische Partei – Unidas Podemos und Vox – etabliert. Die Zersplitterung hat dazu geführt, dass seit 2015 keine stabile Regierung gebildet und mehrere Jahre lang kein Staatshaushalt verabschiedet werden konnte. 2019 fanden innerhalb eines halben Jahres zwei nationale Parlamentswahlen statt, doch auch nach der zweiten Wahl kam es nur zur Bildung einer Minderheitskoalitionsregierung mit prekärer Stabilität. Die Veränderung des Parteiensystems erfordert eine andere Art des politischen Umgangs. Statt der Konfrontation, die zu Zeiten des Zweiparteiensystems üblich war, aber das System nicht erschütterte, ist jetzt eine neue Form der Kooperation zwischen verschiedenen politischen Parteien notwendig, zu der sie bis Ende 2020 jedoch noch nicht in der Lage waren.

Das spanische Beispiel zeigt auch, dass die Lebensdauer und frühere Relevanz einer Partei keineswegs ein Garant für die Stabilität des Parteiensystems sind. Im Hinblick auf Lateinamerika war dieser Zusammenhang zwar vor einigen Jahren behauptet worden (Mainwaring/Scully 1995, 32), doch auch dort haben die einstmals scheinbar stabilen Parteiensysteme in Venezuela, Mexiko und Chile inzwischen deutliche Veränderungen erlebt. In anderen Ländern wie Peru, Ecuador oder Brasilien sind die Parteiensysteme weiterhin volatil – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Stabilität ihrer Demokratien. Dabei sind in Lateinamerika, aber auch in anderen Regionen, zwei Tendenzen zu erkennen, die einen deutlichen Einfluss auf die Parteiensysteme ausüben: einerseits eine zunehmende Polarisierung, die je nach Land von rechts- oder linkspopulistischen, aber auch von ethno-nationalistischen und religiös-fundamentalistischen Parteien vorangetrieben wird. Wo solche Parteien einen relativ hohen Stimmenanteil erreichen, erschweren sie die Bildung stabiler Regierungen und die Regierungsfähigkeit. Die zweite Tendenz ist die bereits angesprochene Personalisierung des politischen Wettbewerbs auf Kosten der Parteien. Politische Führer, die ihren Aufstieg oder ihre Prominenz nicht einer Partei zu verdanken haben, scheren sich nicht um deren Interessen. Nicht selten gründen sie ihre eigene Partei als eine Art persönlichen Wahlverein. Sofern sie in Regierungsämter gelangen, nehmen sie auf Parteiinteressen keine Rücksicht. Und weil sie die Verfahren der politisch-parlamentarischen Prozesse nicht kennen, haben sie kein Verständnis dafür und versuchen sich über diese hinwegzusetzen, worunter das Ansehen der Demokratie entsprechend leidet.

Die Auswirkungen einzelner Parteiensysteme werden in dem folgenden Schaubild dargestellt.

Tab. 3: Vor- und Nachteile von Parteiensystemen (Quelle: Caramani 2020, 240):


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