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Regierungsbildung

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Weltweit sind es die Parteien, die bei Wahlen ihre Kandidaten präsentieren, das politische Personal rekrutieren und über die wichtigsten Ämter in Regierungen und Parlamenten entscheiden. In diesem Bereich gibt es für sie keine Konkurrenz. Manche Parteien werden einzig und allein zu diesem Zweck gegründet. Selbst Personen, die wenig Interesse an politischen Sachthemen haben, sich nicht um einen Austausch mit Wählern bemühen und nach einer Karriere als Filmschauspieler, Sänger, Sportler, Komiker oder auch Unternehmer in die Politik gehen, schließen sich einer Partei an (oder gründen eine eigene), um ihren politischen Ambitionen nachzugehen. In den Demokratien gibt es bisher und wohl auch auf absehbare Zeit keine Alternativen, um die Parteien bei der Rekrutierung politischer Führer oder der Organisation von Regierungen zu ersetzen. Allerdings sind auch im Hinblick auf diese »institutionellen«, »prozessualen« oder »output«-Funktionen einige Entwicklungen zu beobachten, die für die Parteien selbst und für die demokratischen Ordnungen Probleme und Gefahren mit sich bringen.

Generell gilt, dass Parteien, um ihren institutionellen oder »output«-Funktionen gerecht zu werden, Autonomie und Kohärenz als Schlüsselelemente ihrer institutionellen Integrität demonstrieren sollten (Bartolini/Mair 2001, 340). Dazu gehört, dass sie sich eine politische Legitimität erwerben, indem sie eigenständige politische Positionen formulieren und vertreten. Sie sollten sich dabei weder dem Rat von Experten, Beratern oder Kommissionen ausliefern, noch ihre Verantwortung für Entscheidungen auf Volksabstimmungen oder andere Formen der Anbiederung an organisierte Gruppeninteressen oder auch die Justiz verlagern. »Quereinsteiger« können allerdings durchaus eine Bereicherung für Parteien sein und zusätzliches Wissen und frische Erfahrungen mitbringen, aber auch einen Zugang zu gesellschaftlichen Gruppen eröffnen, die sie bisher nicht erreichten. Heute existieren in vielen Ländern Vereinigungen, die sich auf bestimmte Themen fokussieren wie Anti-Rassismus, Klimaschutz, eine bestimmte sexuelle Identifikation oder die »nur« zu einer international wachsenden Gemeinschaft von Online-Spielern (gamer) gehören. Solche Gruppen haben oft mehr oder weniger explizite Erwartungen an die Politik. Wenn Parteien Vertreter solcher Gruppierungen aufnehmen – sofern ihre Anliegen mit dem Parteiprogramm vereinbar sind – und ihnen vielleicht sogar einen Platz auf Wahllisten geben, repräsentieren sie damit auch neue Themen, mit denen sie bisher nicht identifiziert wurden. Allerdings ist der Mehrwert solcher »Quereinsteiger« begrenzt, wenn diese mit einem politischen Engagement nur ihre eigene celbrity aufpolieren wollen. Der Glanz von Film- oder Sportstars erleuchtet die Parteien nur kurz, wie man an vielen Beispielen in den Philippinen, Indonesien oder auch Brasilien beobachten kann. Und auch erfolgreiche Unternehmer oder Manager verfügen keineswegs notwendigerweise über die Eigenschaften und Fähigkeiten, die in der Politik notwendig sind, weil hinsichtlich des Führungsstils und der Kommunikationsfähigkeit deutliche Unterschiede zwischen Parteien und Wirtschaftsunternehmen existieren. Politiker müssen ihre Entscheidungen permanent erläutern und begründen. Ihre Gefolgschaft will überzeugt werden. Ein Unternehmer kann seine Entscheidungen an der Spitze der Hierarchie einfach durchsetzen. Wenn er in die Politik wechselt, muss er seinen Stil ändern.

Selbst, wenn Parteien Autonomie und Kohärenz demonstrieren, erschweren ihnen heute vielerorts politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Wahrnehmung ihrer »output«-Funktionen. Dabei sind als Erstes die Schwierigkeiten der Regierungsbildung infolge der Erosion der Parteiensysteme zu nennen. Das betrifft die parlamentarischen Systeme in Europa und einigen anderen Regionen, berührt aber auch die Regierungsfähigkeit von Ländern mit Präsidialsystemen, weil auch dort die Regierung von parlamentarischen Mehrheiten abhängt. In parlamentarischen Systemen mit einem Verhältniswahlrecht war schon in der Vergangenheit eine Alleinregierungen einer Partei eher selten. Üblich waren Koalitionen von zwei oder drei anderen Parteien, mit denen es politische und programmatische Schnittmengen gab. Doch derartige Koalitionen haben vielerorts heute keine parlamentarische Mehrheit mehr. Notwendig ist ihre Ausweitung um weitere Parteien. Doch erweist es sich als schwierig, die unterschiedlichen politischen und ideologischen Einstellungen unter einem gemeinsamen Regierungsprogramm zu vereinen. Je geringer ihr Wähleranteil ist, umso starrsinniger verteidigen manche Parteien ihre politischen Positionen, die in der Zusammenarbeit mit anderen nicht konsensfähig sind. Das führt zu großen Problemen der Regierungsfähigkeit. In vielen europäischen Ländern dauert es seit einigen Jahren lange, ehe Regierungsbündnisse geschmiedet sind. Ihr Zusammenhalt ist häufig schwach und nicht selten brechen sie auch bald wieder auseinander. Im Jahr 2010/11 gab es in Belgien 535 Tage lang – fast eineinhalb Jahre – keine reguläre Regierung. In Deutschland ist 2017 zunächst der Versuch einer neuen Form der Koalitionsbildung gescheitert, ehe nach monatelangen Verhandlungen von einem knappen halben Jahr die neue Regierung zustande kam. In Schweden brauchte man 2018/19 vier Monate für eine Regierungsbildung, in Italien kam es 2018 zu einer Koalition der extremen Linken mit der extremen Rechten, die nach einem guten Jahr zerbrach. In Spanien bedurfte es 2019 zweier Wahlen, ehe Ministerpräsident Pedro Sánchez Anfang 2020 mit Unterstützung von zehn Parteien gewählt wurde, aber doch nur eine Minderheitskoalitionsregierung bilden konnte, deren Dauerhaftigkeit über eine Legislaturperiode nicht gesichert ist. In Israel waren 2019/20 drei Wahlen notwendig, ehe eine Regierung mit einem prekären Zusammenhalt gebildet werden konnte.

Die Probleme der Regierungsbildung setzen sich beim Regieren fort. Selbst wenn sich die Koalitionspartner auf gemeinsame Maßnahmen geeinigt haben, ist es oft schwierig oder zumindest langwierig, gemeinsame Vorhaben in konkrete Gesetze zu formen und zu implementieren. Wo eine Regierung keine gesicherte Mehrheit hat, ist dies nahezu unmöglich. In Großbritannien brauchte man fast ein Jahr und eine Neuwahl, ehe das Unterhaus das Brexit-Gesetz verabschiedete. Selbst in den USA, wo der Präsident weitgehende exekutive Vollmachten besitzt, wurde nach den Zwischenwahlen von 2018 die Gesetzgebung faktisch bis auf die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen vom November 2020 verschoben, weil es angesichts der unterschiedlichen Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus in vielen Fragen keinen Konsens gab. In Brasilien, das lange Zeit als Modell für den in etlichen Ländern Lateinamerikas praktizierten »Präsidentialismus der Koalition« galt, bei dem die Präsidenten ähnlich wie in parlamentarischen Systemen dauerhafte Mehrheiten mit einigen Parteien im Parlament vereinbaren, war Präsident Bolsonaro weder willens noch in der Lage, eine solche Koalition zu schmieden. Ähnliche Prozesse sind in Chile und Peru zu beobachten.

Diese Entwicklungen machen politische Prozesse und Entscheidungen unvorhersehbar, zufällig oder gar willkürlich. Entscheidungen über wichtige Politikbereiche oder Reformen werden nicht getroffen oder endlos verzögert. Die Folge davon ist eine weitere Erosion des Ansehens der Parteien in dem Feld, wo sie noch quasi exklusive Kompetenz besitzen: der Regierungsführung. Populistische Heilsbringer nutzen solche Schwächen der Regierungen für ihre verführerischen Botschaften.

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