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Klientelismus und Patrimonialismus, Korruption und Misswirtschaft
ОглавлениеKlientelismus und Patrimonialismus werden in der Parteienforschung nicht zu den »klassischen« Funktionen der politischen Parteien gezählt. Dennoch üben viele Parteien dort, wo sie Zugriff auf staatliche Ämter und Pfründen haben, irgendeine Form von Klientelismus oder Patrimonialismus aus. Deshalb werden die Begriffe und die damit verbundene politische Praxis hier kurz behandelt. Politiker sollten wissen, wo die Grenzen eines im demokratischen Rahmen vertretbaren Klientelismus und Patrimonialismus liegen und wo Misswirtschaft und Korruption beginnen. Denn beides ist mit diesen Konzepten eng verbunden.
Klientelismus beschreibt eine Beziehung zwischen einem Patron und einem Klienten, bei der es um den Austausch von materiellen oder auch immateriellen Ressourcen geht (Muno 2016). Schon in der Antike gab es diese Beziehungsform, bei der ein »patronus« eine Gruppe von Personen, seine »clientela«, in der Öffentlichkeit vertrat. Sowohl der Patron als auch die Klienten vererbten ihren Status, woraus lang andauernde, über Generationen existierende Netzwerke entstanden. Patrimonialismus oder auch Neopatrimonialismus sind zwei Begriffe, die heute häufig verwendet werden, um solche sozialen Beziehungen zu beschreiben. Sie können im Wesentlichen synonym zum Begriff des Klientelismus verwandt werden. In manchen Regionen gibt es noch weitere Begriffe, die ebenfalls ein solches Beziehungsverhältnis beschreiben: in Lateinamerika sind es die Begriffe des »Caudillismo« und »Caciquismo« (letzterer vor allem in Mexiko), in den Philippinen wird von »Bossism« gesprochen, in anderen Ländern Asiens, beispielsweise Myanmar, ist der Begriff des »Cronysm« bekannt und im Senegal ist vom »Marabout« die Rede. Bei all dem geht es um den Austausch von materiellen und immateriellen Gütern zwischen einer Person oder einer Gruppe von Personen, die Zugriff auf diese Güter und ihre Verteilung hat, und einer anderen Person oder Gruppe, die diese Güter empfängt – und dafür eine Gegenleistung erbringt. Bei den Gütern kann es sich um Geld, Waren oder Dienstleistungen, Jobs oder Schutz handeln, also alles, was in irgendeiner Form einem Bedarf des Klienten entgegenkommt. Der Klient seinerseits ist zu einer Gegenleistung verpflichtet, bei der es sich um eine Arbeits- oder sonstige Dienstleistung, oder auch um politische Unterstützung handeln kann. Klientelismus muss nicht notwendigerweise politisch sein, denn auch Unternehmer, Gewerkschaften und andere Gruppen verhalten sich manchmal als »Patron«.
Im Bereich der Politik ist der Klientelismus vielerorts präsent. Hier geht es um die Verteilung öffentlicher Ressourcen – Ämter, Zuwendungen, Investitionen, Jobs etc. – durch Personen und Institutionen, die in einer Demokratie durch freie Wahlen in ihre Ämter gekommen sind. Sie setzen ihre Macht häufig nicht nur dazu ein, um die Klientel ihres unmittelbaren Umfelds zu fördern bzw. zu befördern, von der sie Gefolgschaft verlangen, sondern nicht selten verteilen sie auch öffentliche Ressourcen in großem Umfang, um dadurch dauerhaft Anhänger zu gewinnen. Vor allem wenn es um den Austausch von öffentlichen Gütern für politische Unterstützung geht, wird für diese Form der Klientelbeziehung der Begriff »Patronage« verwendet.
Viele Parteien praktizieren Klientelismus und dabei sind die Grenzen zwischen einer rein programmatischen und einer nicht-programmatischen, d. h. klientelistischen Beziehung mitunter schwer zu ziehen. Bei einer rein programmatischen Beziehung erwarten die Wähler keine speziellen Vergünstigungen und vor allem bestehen hier keine ausgeprägten Gefolgschafts- oder gar Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Patron und Klient. Die Bürger können von einer Partei nicht »bestraft« werden, wenn sie ihr ihre Gunst entziehen. In einem klientelistischen oder auch patrimonialen oder neopatrimonialen Verhältnis dagegen ist das Gefolgschafts- und Abhängigkeitsverhältnis offensichtlich. In Ländern wie Argentinien und Mexiko beispielsweise haben die langjährig dominierenden Parteien der Peronisten (= Partido Justicialista, PJ) bzw. der Partido de la Revolución Institucionalizada (PRI) Formen des Klientelismus entwickelt, die am Rande der Legalität dafür sorgen, dass etwa Bewohner bestimmter Stadtviertel nur dann gewisse Sozialleistungen erhalten, oder bei der Vergabe von Jobs zum Zuge kommen, wenn sie die entsprechende Partei unterstützen. Aus vielen Ländern sind solche und ähnliche Formen des Klientelismus bekannt. Problematisch, ja kriminell wird der Klientelismus, wenn er dazu eingesetzt wird, um die Spielregeln einer Demokratie zu verletzten oder zu umgehen. Der Stimmenkauf oder andere Formen der Gewährung oder Zurückhaltung öffentlicher Dienstleistungen, die den Empfängern nach Recht und Gesetz zustehen, aber nur gegen politische Gefolgschaft gewährt werden, sind illegal.
Nach einer international vergleichenden Studie weisen wohlhabende OECD-Länder ein niedriges Niveau von Klientelismus auf (Muno 2016, 656 f.). Dazu gehören insbesondere die nordeuropäischen Länder und Kanada. In Staaten wie Italien, Griechenland, Israel, Japan, Korea und den USA ist der Klientelismus in einem unteren bis mittleren Bereich einzustufen. In den postkommunistischen Staaten Zentraleuropas ist der Klientelismus ebenfalls relativ niedrig einzuschätzen, deutlich dagegen tritt er in Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Mazedonien und auch der Mongolei in Erscheinung. In Lateinamerika ist der Klientelismus demnach in Chile, Uruguay und Costa Rica vergleichsweise gering, dagegen in Argentinien, Panama und Paraguay hoch. In Afrika ist der Klientelismus stark verbreitet und im öffentlichen Leben präsent. Das Gleiche gilt auch für die meisten Länder Asiens und des Mittleren Ostens. Die Ausbreitung und Intensität des Klientelismus ist weltweit – ähnlich wie jene der Korruption. Dies weist auf einen engen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen hin, auch wenn sie mitnichten identisch sind. Doch ebenso wie die Korruption ist auch der Klientelismus dort am stärksten verbreitet, wo die formalen Institutionen eines Staates ihre Funktionen nur ungenügend erfüllen.
Für die Demokratie hat der Klientelismus gravierende Auswirkungen, denn er berührt die Einstellung der Bürger zum politischen System ebenso wie die Kapazität der Regierungen. Öffentliche Güter und Leistungen werden nicht nach Recht und Gesetz, transparenten und nachvollziehbaren Entscheidungen und Verfahren vergeben, sondern gemäß partikularer Interessen einzelner Personen oder Gruppierungen, nicht zuletzt einzelner Parteien. Das führt nicht nur zu Ineffizienz, sondern untergräbt die Grundlagen einer Demokratie dadurch, dass informelle Verfahren und Institutionen das staatliche Entscheidungsmonopol unterwandern, dass die Regeln des Rechtsstaates gebrochen und die Gewaltenteilung zumindest teilweise aufgehoben wird und dass demokratische Prozesse und Verfahren, nicht zuletzt Wahlen, manipuliert und konterkariert werden. Parteien, welche Klientelismus ausüben, verteidigen sich zwar manchmal damit, dass sie auf diesem Wege bestimmten Gruppen zu staatlichen Sozialleistungen verhelfen, doch häufig werden dadurch andere Gruppen von diesen Leistungen ausgeschlossen. Der Gedanke der Universalität staatlichen Handelns, wonach für alle Bürger die gleichen Rechte und Ansprüche gelten sollen, wird infrage gestellt. Der Klientelismus der Parteien aber dient immer dem Machterhalt im politischen Wettbewerb, der dadurch verzerrt wird. Die Gefahr, dass der Klientelismus zum Zweck des Machterhalts auch vor kriminellen Methoden nicht zurückschreckt, wenn eine formal-legalistische Praxis ihre Wirkung einbüßt, ist durch viele Beispiele belegt.
Wo Klientelismus und Patrimonialismus wichtige Elemente des politischen Prozesses sind, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass ein politisches System auch durch Korruption und Misswirtschaft mitgeprägt wird und dass Parteien daran einen entscheidenden Anteil haben, auch wenn nicht unbedingt alle Parteien eines Landes involviert sein müssen (Koelble 2017; Kubbe 2017).
Korruption ist der Missbrauch von Macht zum privaten Vorteil. Politische Korruption bzw. die Korruption von Politikern schränken nicht nur die Leistungsfähigkeit einer Regierung erheblich ein (Mungiu-Pippidi/Johnston 2017), sondern nähren auch Vertrauenskrisen, die das gesamte politische System erschüttern können, sofern es keine Gegenmacht in Form einer unabhängigen und durchsetzungsfähigen Justiz oder einer lebendigen Zivilgesellschaft gibt, die sich korrupten Politikern und Parteien entgegenstellen.
In vielen Ländern ist das aber schwierig bis nahezu unmöglich. Das betrifft vor allem solche Länder mit einem ausgeprägten Partikularismus, d. h., wo traditionell Individuen oder kleinere Gruppen einen praktisch unbeschränkten Zugriff auf die staatliche Macht (und Ressourcen) haben und deshalb ihre persönlichen Interessen gegenüber denen des Staates durchsetzen. Wirksame Antikorruptionsmechanismen sind in solchen Ländern kaum zu implementieren, weil die Machthaber selbst gar kein Interesse daran haben (Mungiu-Pippidi 2006). In Rumänien, der Ukraine und Moldawien, den Philippinen und vielen weiteren Ländern mit weit verbreiteter Korruption ist das immer wieder zu beobachten.
In partikularistisch geprägten Gesellschaften herrscht eine Kultur des Privilegs und die Ungleichbehandlung ist eine akzeptierte gesellschaftliche Norm. Deshalb kämpfen dort viele Individuen, und nicht zuletzt auch angehende Politiker, um die Zugehörigkeit zur privilegierten Gruppe anstatt um die Durchsetzung universaler Spielregeln. Unparteilichkeit und Fairness existieren nicht. Bestechung ist in solchen Fällen ein Mittel zur Umgehung von Ungleichheit. Für Menschen mit niedrigerem sozialen Status oder ohne Zugang zu bestimmten Institutionen und staatlichen Leistungen ist Bestechung oft die einzige Möglichkeit für eine gewisse Gleichbehandlung. Dabei geht es keineswegs immer um hohe Beträge. Doch selbst geringfügige »Sonderzahlungen« für staatliche Leistungen sind ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung der Bürger und damit die Verletzung einer grundlegenden Norm von Demokratie. Wo Politiker und Parteien an diesem System mitverdienen, erweisen sie der demokratischen Ordnung ihres Landes einen Bärendienst. Nur wenn es gelingt, solche patrimonialen Einstellungen und Verfahren zu überwinden, kann auch die Korruption allmählich reduziert und ausgemerzt werden. Ein Problem dabei ist, dass die Parteien diesen Reformprozess anführen müssen. Wo sie selbst Teil des patrimonialen Systems sind oder danach streben, werden sie keine ernsthaften Maßnahmen zur Eindämmung der Korruption durchsetzen. Für ihr eigenes Ansehen und die Demokratie ihrer Länder ist das fatal.
Selbst dort, wo es keine systematische Korruption und Misswirtschaft gibt, besteht die Gefahr, dass Parteien, die politische Privilegien genießen und wichtige Ämter besetzen, ihre Legitimität verlieren, sofern sie nicht beweisen, dass sie auch zu einer Repräsentativität gesellschaftlicher Interessen in der Lage sind. Gute, kompetente Regierungsführung ist zwar ein starkes Argument zugunsten einer Partei. Doch das genügt in vielen Fällen auf Dauer nicht. Wo die Parteien den Kontakt zu den Bürgern verloren (oder nie gesucht) haben und ihre Fähigkeit zur Integration und Artikulation gesellschaftlicher Interessen verkümmert, werden sie auch bei Wahlen keine Erfolge erzielen.