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2. Das erste unbewegte Bewegende

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Die ausführlichste Darstellung dieser seiner „Theologie“ gibt Aristoteles im zwölften Buch der Metaphysik. Er geht von einer Gesamtdeutung der Wirklichkeit aus, wie er sie im Ganzen seines Werkes entwickelt hat. Alles Seiende ist demgemäß dadurch charakterisiert, daß es sich unterwegs von der Möglichkeit zur Wirklichkeit befindet, und das heißt: daß es in Bewegung ist; „es schlägt alles aus dem der Möglichkeit nach Seienden in das der Wirklichkeit nach Seiende um“ (M 1069 b 15f.). Bewegung wird dabei in einem weiten Sinne verstanden, der jede Weise der Änderung einschließt: zu ihr gehören z.B. „das einfache Werden und Vergehen, … Wachsen und Abnehmen, … Anderswerden, … Ortsbewegung“ (M 1069 b 10ff.).

Unter den mannigfachen Weisen von Bewegung nun hat eine den Vorrang: die Ortsbewegung; unter den Ortsbewegungen wiederum ist die vorzüglichste die Kreisbewegung (M 1072 b 8f.). Sie ist dadurch ausgezeichnet, daß sie „zusammenhängend“ ist (M 1071 b 11); sie läuft in sich zurück und hat demgemäß kein Ziel, bei dem anlangend sie zuende käme. Daher ist sie eine ewige Bewegung; „denn ewig und ohne Stillstand ist der im Kreis (laufende) Körper“. Alle Kreisbewegung nun, wie sie etwa den Planeten zukommt (M 1073 a 31f.), hat ihre Ursache in der ewigen Bewegung des Fixsternhimmels; „der erste Himmel“ ist „ewig“, „ein in unaufhörlicher Bewegung immer Bewegtes“ (M 1072 a 21ff.). Und zwar ist diese ursprüngliche Bewegung notwendigerweise ewig; denn von der Bewegung überhaupt – und demgemäß auch von der „Zeit“, die „entweder dasselbe“ wie jene, „oder etwas an der Bewegung ist“ (M 1071 b 9f.) – gilt: „es ist unmöglich, daß die Bewegung entsteht oder vergeht“ (M 1071 b 6f.); „sie war immer und wird immer sein“; in Bewegung zu sein „gehört dem Seienden als etwas Unsterbliches und Unaufhörliches zu“ (Ph 251 b 13f.). Ist aber die Bewegung im Ganzen ewig, dann muß die ursprüngliche Bewegung, die des Fixsternhimmels, in vorzüglicher Weise ewig sein; denn sie ist es, von der her – in einer von Aristoteles freilich nicht völlig geklärten Weise – alle andere Bewegung entspringt (Ph 259 a 13).

Doch diese Bewegung des Fixsternhimmels kann nicht die allererste Ursache jeglicher Bewegung sein. Denn der Fixsternhimmel ist „bewegend und bewegt zugleich“ (M 1072 a 24). Ist er aber bewegt, dann muß es eine Ursache seiner Bewegung geben; denn „das Bewegte wird mit Notwendigkeit von etwas bewegt“ (M 1073 a 26). „Es gibt also auch etwas, das (ihn) bewegt“ (M 1072 a 23f.). So muß man denn noch hinter die Bewegung des Fixsternhimmels auf etwas anderes zurückgehen, das nun aber, im Gegensatz zu diesem, ein wirklich ursprünglich Bewegendes, und das heißt: ein selber Unbewegtes ist; es ist „notwendig, daß ein Bewegendes sei, das als Erstes nicht von einem anderen“ bewegt wird (Ph 256 a 15f.), sondern „an sich selber unbewegt“ ist (M 1072 b 7).

Als Grund für diese Notwendigkeit führt Aristoteles an, es sei „unmöglich, daß das Bewegende und selbst von einem andern Bewegte ins Unendliche gehe; denn vom Unendlichen gibt es kein Erstes“ (Ph 256 a 17ff.). Ein weiterer Grund liegt darin, daß das Erste das Vollkommenste sein muß; das Vollkommenste aber, wenn es sich wandelte, könnte sich nur „zum Schlechteren hin“ wandeln (M 1074 b 26f.).

Es muß somit als erster Ursprung etwas angenommen werden, „das, ohne bewegt zu werden, bewegt“ (M 1072 a 25), ein „erstes unbewegtes Bewegendes“ (πϱῶτον ϰινοῦν ἀϰίνητον) (M 1073 a 27). Und zwar muß es ein Einziges sein; denn „auf Eines hin ist alles geordnet“ (M 1075 a 18f.); „die ewige Bewegung (des Fixsternhimmels) wird von einem Ewigen bewegt, und zwar die Eine von dem Einen“. Und so, indem es, selber unbewegt, die „erste ewige und eine Bewegung“ des Fixsternhimmels verursacht (M 1073 a 25ff.), ist das unbewegte Bewegende „für das andere Ursprung der Bewegung“ (Ph 259 a 13), ist es das, was „als Erstes von allem alles bewegt“ (M 1070 b 34f.).

Eine Schwierigkeit entsteht jedoch daraus, daß erst einmal geklärt werden muß, wie es denn möglich sein soll, daß ein Unbewegtes anderes in Bewegung bringt. Aristoteles löst das Problem so, daß er eine Analogie heranzieht: „das Erstrebte und das Eingesehene“. Derartiges „bewegt, ohne sich selber zu bewegen“ (M 1072 a 26f.); es bewegt durch sein bloßes faktisches oder mögliches Dasein das darauf sich richtende Streben und – noch ursprünglicher – das Einsehen. Das gilt analogisch auch von dem ersten unbewegten Bewegenden; es bewegt „in der Weise eines Geliebten“ (M 1072 b 3).

Als wesensmäßig Unbewegtes ist das schlechthin Ursprüngliche allem Wandel enthoben. Wandel nun setzt voraus, daß das Sichwandelnde in der Möglichkeit steht, ein anderes zu werden. Das erste unbewegte Bewegende aber ist sich selbst immer gleich und muß daher ohne alle Möglichkeit gedacht werden. Zum Wesen der Möglichkeit nun gehört ein Nicht; was etwas der Möglichkeit nach ist, ist es noch nicht in Wirklichkeit. Von dem ersten unbewegten Bewegenden ist demnach, zusammen mit aller Möglichkeit, auch jegliches Nicht ausgeschlossen. Das aber besagt: es ist reine Wirklichkeit. Aristoteles betont daher aufs eindringlichste: es ist „in Wirklichkeit seiend“, „aus Notwendigkeit seiend“ (M 1072 b 8ff.), „ein ewiges und unbewegtes Sein“ (M 1073 a 4), „das vollkommenste Sein“ (M 1074 b 20).

Dieses erste unbewegte Bewegende, das rein Wirkliche, wird von Aristoteles als „der Gott“ bezeichnet (M 1072 b 25); so wird es zum Grundbegriff seiner Philosophischen Theologie. Es ist „der Ursprung und das Erste des Seienden“ (M 1073 a 23f.), und eben darin zeigt sich seine Göttlichkeit; denn „jegliches Göttliche ist das Erste und Höchste“ (C 279 a 32f.). Aber dieser Gott ist nicht ein totes Seiendes; sein Sein ist vielmehr Leben im höchsten Sinne, „das vollkommenste und ewige Leben“ (M 1072 b 28). „Wir sagen also, der Gott sei ein ewiges, höchst vollkommenes Lebewesen, so daß Leben und zusammenhängende und ewige Dauer 4 dem Gott zukommen; dies nämlich ist der Gott“ (M 1072 b 28ff.).

Auf dieses Göttliche hin ist alle sonstige Wirklichkeit orientiert. Es ist der „Ursprung“, an dem „der Himmel und die Natur hängen“ (M 1072 b 14); „die göttliche Kraft“ „hält dieses All zusammen“ (P 1326 a 32). Aber nicht in der Weise, daß sie dieses von außen umfaßte. Der Gott ist, als das letztlich Erstrebte, in allem Wirklichen anwesend; „denn alles hat von Natur ein Göttliches“ (E 1153 b 32), wie denn auch etwa die Zeugung als der Versuch der Lebewesen gedeutet wird, Dauer zu gewinnen, damit sie „ am Göttlichen, soweit sie können, teilhaben“ (A 415 a 29f.). Eben dies Teilhaben am Göttlichen, sich nämlich, „soviel er vermag, unsterblich zu machen“ (E 1177 b 33), ist daher auch für den Menschen die höchste Daseinsaufgabe.

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