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2. Stoa

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Im Gegensatz dazu liegt in der stoischen Philosophie, bei allen Unterschieden der verschiedenen Denker und der einzelnen Perioden, das vorzügliche Interesse, neben der Ethik, auf dem Gebiet der Philosophischen Theologie.4 Schon Chrysippos betont, „die Reden über die göttlichen Dinge würden angemessen als Vollendungen bezeichnet“; denn „das Göttliche ist von allem das Mächtigste“ (II 1008f.). Dementsprechend wird von den Stoikern, wie Sextus Empiricus berichtet, die Philosophie als „Sich Verstehen auf göttliche und menschliche Angelegenheiten“ bestimmt (II 36).

In diesem Zusammenhang wird der alte griechische Gedanke der Anwesenheit des Göttlichen in der Wirklichkeit von den Stoikern mit großer Intensität erneuert. Bereits der Gründer der stoischen Schule, Zenon, soll gesagt haben, Gott sei durch die Materie „hindurchgegangen wie der Honig durch die Waben“ (I 155), wie denn auch von den alten Stoikern betont wird, der Gott sei es, der „das ganze Sein in sich aufzehrt und wieder aus sich gebiert“ (II 526). Die Späteren wiederholen diesen Gedanken immer wieder; noch Marcus Aurelius schreibt: „es ist ein Gott durch alles hindurch“ (M VII 9). Diese Anwesenheit Gottes in der Wirklichkeit wird so stark betont, daß Gott und Welt sogar identifiziert werden. Auch hier geben schon Zenon und Chrysippos die entscheidende Bestimmung, indem ’ie „die ganze Welt und den Himmel“ als „das Sein Gottes“ bezeichnen (II 1022). überhaupt wird von den Stoikern berichtet: „sie nennen die ganze Welt mit ihren Teilen Gott“ (II 528). Und auch dieser Gedanke zieht sich durch die gesamte Geschichte der Stoa hindurch; noch Seneca behauptet, man täusche sich nicht, wenn man Gott „als die Welt bezeichne“ (SN II 45, 3).

Die Weise, wie das Göttliche in der Wirklichkeit anwesend ist, wird von den Stoikern in einer weiten Spanne von Formulierungen ausgedrückt, ohne daß die einzelnen Begriffe für einen Denker oder für eine Periode ausschließlich charakteristisch wären. In diesem Sinne nennt Kleanthes in seinem Hymnus Zeus den „vielnamigen“ (I 537).

Soll betont werden, daß alles Wirkliche im Göttlichen seine Herkunft hat, dann wird der Weltgott als „Ursprung von allem“ (I 153), als „Weltbildner“, „gleichsam als Vater von allem“ (II 1021), bezeichnet. Aber dies nicht in dem Sinne, daß er von dem, dessen Ursprung er ist, getrennt wäre; er ist vielmehr „eine von dem Durchwalteten ungetrennte Natur“ (II 1042). Insofern nennen die Stoiker den Gott auch die „Weltseele“ (I 532).

Das gleiche Moment des Durchwaltens der Welt ist gemeint, wenn die als göttlich verstandene Natur als das „schaffende Feuer“ bezeichnet wird (II 774): das „von überall her umströmende …, alles umringende und umschlungen haltende“ (I 530), das „alles erhält, nährt, mehrt, unterhält und mit Empfindung begabt“ (I 504). Nichts anderes besagt es, wenn „der Gott“ als das „durch alles hindurchgedrungene und alles in sich umfassende Pneuma“ verstanden wird (II 1051), in einem Ausdruck, der zwischen „ Hauch“ und „Lebensodem“ schwingt. Beides, Feuer und Pneuma, meint dasselbe; dieses ist „ein feuerartiger und gleichsam schaffender Hauch“ (II 774).

Feuer und Pneuma werden auch als „geistig“ (νοεϱόν) bezeichnet. Die Stoiker bestimmen „das Sein Gottes“ als „geistiges und feuerartiges Pneuma“ (II 1009), und sie reden von einem „geistigen Feuer“ (II 1050). Auch der Gott selber kann daher als „geistig“ (II 1021) oder überhaupt als „Geist“ (νοῦϛ) verstanden werden (I 102), ohne daß der Sache nach ein Unterschied gegenüber jenen aus dem stofflichen Bereich gewonnenen Ausdrücken hervorträte; denn dieser „Geist“ ist für die Stoiker ein „feuerartiger Weltgeist“ (I 157), und er kann deshalb auch ausdrücklich als „geistiger Körper“ (II 313) bezeichnet werden.

Im gleichen Sinne wird der Gott als „vernünftig“ (λογιϰόϛ) (II 1021) oder auch überhaupt als „Vernunft“ (λόγοϛ) (I 160) bezeichnet. Damit ist nicht etwa eine reine Geistigkeit Gottes behauptet; Origenes betont in seinem kritischen Bericht über die stoische Lehre ausdrücklich, der „Logos des Gottes“ sei „nichts anderes als das körperliche Pneuma“ (II 1051). Man muß also diesen vernünftigen Gott, ebenso wie den als Feuer und Pneuma bezeichneten, vom Gedanken der Anwesenheit des Göttlichen in der Welt her verstehen: als den „durch alles Sein hindurchgedrungenen Logos“ (M V 32), als den „samenartigen Logos der Welt“ (I 102).

Schließlich kommt der Weltbezug des Göttlichen zu deutlichstem Ausdruck, wenn dieses als „Geschick“ (εἱμαϱμένη bzw. „fatum“) (I 102) oder als „Vorsehung“ (πϱόνοια bzw. „providentia“) (I 153 und 172) bezeichnet wird. So ist für Chrysippos das Geschick ausdrücklich der „Logos der Welt“ (II 913).

In diesen verschiedenen und doch miteinander einstimmigen Weisen im Wirklichen anwesend, ist das Göttliche, wie insbesondere die römischen Stoiker betonen, vorzüglich im Menschen da. Epiktet sagt, „die Seelen“ seien „mit dem Gott verbunden gleich wie dessen Teile und Stücke“ (E I 14, 6); wir lebten in einer „ Verwandtschaft mit den Göttern“ (E I 9, 11). Im gleichen Sinne sind für Seneca die Menschen „Genossen und Glieder Gottes“ (S 92, 50). Das drückt sich insbesondere in der stoischen Lehre vom „Daimon“ aus. Dieser wohnt im „ Inneren“ des Menschen (M II 17), und zwar als „eines jeden Geist und Vernunft“ (M V 27). Zugleich ist der Daimon „verwandt … mit dem, was den ganzen Kosmos durchwaltet“ (II 460): der „Gott im Innern“ (E I 14, 14), der „Gott … in dir“ (S 41 ‚ 1). So kann Marcus Aurelius schließlich überhaupt den „Geist“ des Menschen, der von Gott „hergeflossen“ ist, als „Gott“ bezeichnen (M XII 26).

Das hat gewichtige Konsequenzen für die Philosophische Theologie. Denn wenn Gott im Innern des Menschen anwesend ist, und zwar gerade in dessen Vernunft, dann muß die Überzeugung vom Dasein Gottes zur natürlichen Ausstattung des menschlichen Geistes gehören. Seneca behauptet daher: „Allen ist die Annahme von Göttern eingepflanzt“ (S 117, 6), und Cicero berichtet als Lehre der Stoiker, daß „allen eingeboren und in den Geist gleichsam eingegraben sei, es gebe Götter“ 5. Daher auch kann es bei den Stoikern zu einer natürlichen Theologie im ausgesprochenen Sinne kommen. Von Panaitios wird berichtet, er habe drei Weisen des Redens von den Göttern unterschieden: die mythische, die staatliche und die natürliche (γένοϛ φυσιϰόν).6 Das nimmt später, ersichtlich unter stoischem Einfuß, Varro auf; er bezeichnet die natürliche Theologie ausdrücklich als diejenige, „um die es den Philosophen geht“7. Der von Varro formulierte Gedanke wirkt sodann bis in die Neuzeit hinein weiter. Die Ausbildung eines Systems der natürlichen Theologie, wie sie im 17. Jahrhundert unternommen wird, geht letztlich auf stoische Einflüsse zurüc.8

In diesem Zusammenhang wird bei den Stoikern auch – nach Ansätzen bei Platon und Aristoteles – das Problem eines Beweises des Daseins Gottes von Bedeutung. Sie gelangen dazu einerseits von der Anwesenheit Gottes im Innern des Menschen her, andererseits aber – und vorzüglich – von der Betrachtung der Welt aus; in ihrer Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit verweist diese auf die Wirksamkeit eines Gottes.

1 Zitiert wird nach: Epicurea, hrsg. von H. Usener, Leipzig 1887. Die Ziffern im Text geben die Seitenzahlen dieser Ausgabe an. – Die Obersetzungen stammen vom Verfasser.

2 Cicero, De natura deorum I 20, 54.

3 Lucretius, De rerum natura I 64f.

4 Die älteren Stoiker werden zitiert nach: Stoicorum veterum fragmenta, hrsg. von ]. v. Arnim, 2 Bände, Leipzig/Berlin 1921 und 1923. Die römischen Zahlen im Text geben die Bandnummern, die arabischen die Fragmentnummern an. – Die „Diatribai“ Epiktets werden mit der Chiffre E, die „Epistolae morales“ Senecas mit der Chiffre S, dessen „Naturales quaestiones“ mit der Chiffre SN, „In semet ipsum“ von Marcus Aurelius mit der Chiffre M bezeichnet.

5 Cicero, De natura deorum II 4, 12.

6 Vgl. Kar! Reinhardt, Poseidonios, München 1921, S. 408f.

7 Augustinus, De civitate Dei VI 5.

8 Vgl. Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften, Band II, Leipzig/Berlin 1923, S. 253ff.

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