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3. Das Göttliche als Vernunft

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Die eigentümliche Lebendigkeit des unbewegten Bewegenden wird von Aristoteles als Vernehmen (νοεῖν bzw. νόησιϛ) oder als Vernunft (νοῦϛ) bestimmt.5 Aristoteles gibt dafür keine ausdrückliche Begründung aus der Sache heraus. Er weist lediglich darauf hin, daß schon beim Menschen die Vernunft „entweder selbst ein Göttliches ist oder von dem, was in uns ist, das Göttlichste“ (E 1177 a 15f.), ja, daß sie überhaupt „von dem, was erscheint, das Göttlichste“ ist (M 1074 b 15f.). Das entspricht seiner grundlegenden Überzeugung, daß „das Schauen“, die ϑεωϱία, „das Vollkommenste“ ist (M 1072 b 24). Eben darum muß auch „die Tätigkeit des Gottes“, als des Vollkommensten, „die theoretische“ sein (E 1178 b 21f.); denn auch bei ihm gilt, daß das Vernehmen „das Vollkommenste“ ist (M 1074 b 33).

„Das über die Vernunft Gesagte enthält jedoch gewisse Schwierigkeiten“ (M 1074 b 15). Denn was wird in diesem göttlichen Vernehmen vernommen? Aristoteles antwortet: Das Vernommene dieser Vernunft muß „das Göttlichste und Vornehmste“ sein (M 1074 b 22ff.); denn „das Vernehmen an sich selber bezieht sich auf das an sich selber Vollkommenste“ (M 1072 b 18f.). Es gibt aber nichts, das vollkommener, göttlicher und vornehmer wäre als die göttliche Vernunft selbst. Also kann, was sie vernimmt, nur sie selber sein; denn vernähme sie etwas anderes, dann wäre dieses „vornehmer als die Vernunft“ (M 1074 b 30), und diese „wäre nicht das vollkommenste Sein“ (M 1074 b 20). Das göttliche Vernehmen also „vernimmt sich selbst, wenn anders es das Mächtigste ist, und das Vernehmen ist Vernehmen des Vernehmens (νόησιϛ νοήσεωϛ) (M 1074 b 33ff.). Das ist der höchste Punkt, den die Philosophie des Aristoteles erreicht.

Der Gottesgedanke des Aristoteles wird für die weitere Geschichte der Philosophischen Theologie höchst bedeutsam. Wenn Gott als lebendige Vernunft begriffen wird, von der her alles seine Wirklichkeit erhält, dann meint die christliche Deutung Gottes als des schöpferischen Geistes, auf weiten Strecken sich darin wiederfinden zu können. Wenn Aristoteles ferner versucht, ausgehend von der Seinsverfassung der Wirklichkeit, das Dasein des Gottes als eines ersten unbewegten Bewegenden aufzuweisen, so scheint eben dies im christlichen Denken weithin die Grundlage für einen Gottesbeweis bilden zu können. Dabei wird dann freilich das eigentümlich griechische Element, in dem die Überlegungen des Aristoteles leben, und das etwa für den Gedanken einer Persönlichkeit Gottes keinen Raum gibt, vernachlässigt. Wie es gleichwohl möglich wird, an Aristoteles anzuknüpfen, und welche Konsequenzen dies für die Philosophische Theologie im christlichen Zeitalter hat, wird sich bei der Auseinandersetzung mit den scholastischen Gottesbeweisen zeigen.6

1 Aristoteles Metaphysik XII, hrsg. von H.-G. Gadamer, Frankfurt/Main 1948, S. 3.

2 Aristoteles, Fragmenta selecta, hrsg. von W. D. Ross, Oxford 1955, Fr. 16.

3 Die Werke des Aristoteles werden, wie üblich, nach der Seitenzählung der Ausgabe von Immanuel Bekker (Neudruck Darmstadt 1960) zitiert. Dabei werden folgende Siglen verwendet: A = De anima; C = De coelo; E = Ethica Nicomachea; G = De generatione animalium; J = De interpretatione; M = Metaphysica; P = Politica; Ph = Physica; R = Rhetorica. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

4 Aἰών bedeutet zunächst die Lebensdauer. Inbezug auf das unbewegte Bewegende, das „die unendliche Zeit hindurch bewegt“ (M 1073 a 7), nimmt der Ausdruck die Bedeutung von ewiger Dauer und überhaupt von Ewigkeit an. „Die Grenze, die die Zeit eines jeden Lebewesens umgreif …, wird eines jeden αἰών genannt. Dem gleichen Begriff gemäß ist auch die Grenze des ganzen Himmels und die Grenze, die die ganze Zeit und die Unendlichkeit umgreif, αἰών.“ In diesem Zusammenhang leitet Aristoteles das Wort von ἀεὶ εἶναι, „Immersein“ ab (C 179 a 23f.).

5 Der Ausdruck „Vernehmen“ wird hier nicht als sinnliche Wahrnehmung, sondern als Vernunfttätigkeit verstanden. Das Wort νοῦς wird mit Vernunft übersetzt. Die Bedeutung des griechischen Wortes ist aber weiter als die des deutschen und zudem an den jeweiligen Stellen um Nuancen verschieden. In der weiteren Entwicklung der griechischen philosophischen Sprache nimmt der Ausdruck offenbar immer mehr die Bedeutung des deutschen Begriffes „Geist“ an, weshalb es in dem Paragraphen über den Neuplatonismus so übersetzt werden wird.

6 Vgl. §§ 23 und 27.

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