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§ 17. Clemens Alexandrinus 1. Philosophie, Glaube und Gnosis

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Während bei den Gnostikern die – mythologisch bestimmte – philosophisch-theologische Spekulation im Mittelpunkt steht und die Verknüpfung mit christlichen Elementen nur am Rande geschieht, nehmen andere Denker zwar Elemente jener Spekulation auf, modifizieren sie aber in einer Weise, daß sie sich enger mit der christlichen Grunderfahrung verbinden kann. Das geschieht nicht ohne Einfuß des neuplatonischen Denkens. In dieser Synthese kommt es zu dem ersten bedeutenden Versuch einer genuin christlichen Philosophischen Theologie. Bahnbrechend sind hier insbesondere die großen alexandrinischen Theologen: Clemens und Origenes.

Clemens1 knüpft in einem positiven Sinne an die philosophische Tradition an; er ist überzeugt, daß die Griechen „einiges von der wahren Philosophie ausgesprochen“ haben (I 94, 1). Dies war nach seiner Auffassung dadurch möglich, daß überhaupt der „Mensch vorzüglich zur Erkenntnis Gottes geschaffen ist“ (VI 65, 6). Darum „war allezeit eine natürliche Abspiegelung des einen Gottes, des Allherrschers, bei allen richtig Denkenden“ (V87, 2). Eben dies wird durch Philosophen wie Pythagoras, Platon und Aristoteles bestätigt (vgl. V 88). Die Philosophie ist somit für Clemens „ein Werk göttlicher Vorsehung“ (I 18 ‚ 4), „ein göttliches, den Griechen gegebenes Geschenk“ (I 20, 1). Sie kann nicht, wie einige Zeitgenossen behaupten, „ aus Zufall“ oder gar „vom Teufel her“, oder ·durch „gewisse niedrigere Mächte“ hervorgebracht sein (I 80, 5); denn sie schafft „tugendhafte Menschen“ und kann also nicht „ ein Werk der Schlechtigkeit“ sein (VI 159, 6).

Allerdings: die griechische Philosophie ist in sich selber unzureichend, um der vollen Wahrheit ansichtig zu werden. Mag sie auch in einigen ihrer Denker „den einen wahrhaft einzigen Gott“ erkannt haben (P VI 71, 1) ‚ so spricht sie davon doch nur „im Allgemeinen“, nicht aber „auf Genauigkeit hin und in einzelnen Stücken“ (VI 123, 2). Hinzu kommt, daß die Philosophen am „Götzendienst“ festhalten (VI 44, 4). Schließlich haben sie die Wahrheit „zerstückelt“, wobei jeder seine besondere philosophische Ansicht „für die ganze Wahrheit ausgibt“ (I 57, 1 und 6). Die Philosophie ist also zwar „zur Erlangung der Wahrheit geschickt“, aber „es gelingt ihr nur teilweise“ (VI 160, 1); sie „sieht die Wahrheit nur im Traume“ (V 64, 1).

Um zur vollen Wahrheit zu gelangen, muß man über die Philosophie hinausgehen. Hier nun tritt der Glaube ins Spiel, denn er ist die „Kraft der Wahrheit“ (II 48, 4). „Allein durch den Glauben ist es möglich, zum Ursprung von allem zu gelangen“, der „von den Griechen … vordem nicht erkannt war“ (II 14, 1f.). Der Glaube ist daher „höher als das Wissen und ist dessen Kriterium“ (II 15, 5). Und dies darum, weil der Mensch in ihm nicht von Menschen, sondern „von Gott gelehrt“ wird (I 98, 4).

Clemens begründet den Vorrang der christlichen vor der griechischen Wahrheit damit, daß jene sich vor allem durch „Größe der Erkenntnis, höhere Art der Beweisführung und göttliche Kraft“ auszeichne (I 98, 4). Die dem Glauben zugeschriebene Beweisbarkeit wurzelt freilich nicht in der philosophischen Argumentation, sondern im Rückbezug auf die Tradition. Clemens stellt sich die Frage, ob nicht „derjenige Beweis allein wahr sei“, der „aus den göttlichen Schriften geführt wird“ (II 48, 3). „Wer den göttlichen Schriften glaubt“, findet darin einen „unwidersprechlichen Beweis“, nämlich in der „Stimme Gottes, der die Schriften geschenkt hat“ (II 9, 6). Diese ist „mehr Bürge als alle Beweise“, ja sie ist „allein ein Beweis“ (VII 95, 8).

Clemens ist allerdings nicht der Auffassung, daß die Philosophie vom Glauben her verworfen werden müsse. Der einfache Christ zwar bedarf ihrer nicht; ihm genügt der schlichte Glaube. Aber wer in der Weise des Denkens zum Glauben kommt, wer, wie es Clemens ausdrückt, „den Glauben durch Beweis hervorbringt“, für den ist die Philosophie „nützlich“, und zwar als „Vorbildung“ (I 28, 1); sie „reinigt zuvor … die Seele für die Übernahme des Glaubens“ (VII 20, 2); sie hat die Griechen „zu Christus hin erzogen“ (I 28, 3). Wenn freilich die „Vollendung durch Christus“ eingetreten ist, auf die hin die Philosophie „vorwegerzieht“ (VI 153, 1), tritt deren Vorläufgkeit deutlich hervor; „der Philosoph gleicht einem wilden Ölbaum“, der erst dann „reich an gutem O1“ wird, „wenn er durch Glauben die göttliche Kraft hinzuerhält“ (VI 118, 1).

Bis hierher sieht es so aus, als würde einfach das Wissen philosophischer Art durch den Glauben überboten und insofern zwar nicht zur Nutzlosigkeit verurteilt, aber doch zu einer bloßen Vorbereitung herabgesetzt. Eine Philosophische Theologie im eigentlichen Sinne könnte aus dieser Position nicht hervorgehen. Und doch kennt Clemens eine solche. Sie erwächst für ihn daraus, daß er den Glauben noch einmal überbietet, und zwar durch das, was er „Gnosis“ nennt: die ausdrückliche Erkenntnis Gottes. Der Glaube ist nur der „Anfang der Einsicht“ (II 9, 3); „er bekennt, ohne nach Gott zu forschen, daß dieser ist“ (VII 55, 2). Darum muß er durch eine Einsicht übergipfelt werden, die aus der ausdrücklichen Frage nach Gott entspringt. Und eben dies ist die „Gnosis Gottes“ (VII 47, 3). Clemens faßt daher das Verhältnis von Glauben und Gnosis im Sinne einer Rangordnung: „mehr als das Glauben ist das Erkennen (γνῶναι)“ (VI 109, 2). Der Glaube wird freilich dadurch nicht entbehrlich. Clemens betont ausdrücklich, daß „ohne Glauben keine Gnosis folgen könne“, daß der Glaube „Grundlage der Wahrheit“ bleibt (II 31, 3). Aber erst durch die Gnosis „kommt der Glaube zur Vollendung“ (VII 55, 2); erst dadurch wird er zum vollkommenen, und das heißt: zum „gnostischen Glauben“ (VI 76, 4).

Diese Gnosis nun ist die eigentliche Philosophische Theologie des Clemens. Sie gründet in der „wahren Philosophie“ (II 48, 1). Das drückt sich auch im Titel der Hauptschrift des Clemens aus: „Teppiche (στϱωματεῖϛ) der gnostischen Aufzeichnungen gemäß der wahren Philosophie“. Die griechische Philosophie aber ist, von da aus gesehen, nur „Vorschule des Gnostikers“ (I 99, 1), bloß „Grundlage der Philosophie im Sinne von Christus“ (VI 67, 1).

Clemens formuliert diesen Zusammenhang auch so, daß die Philosophie im griechischen Sinne bloßes Streben nach Weisheit, die Gnosis aber die Weisheit selber ist (vgl. VI 55); eben darum ist diese die „Herrin der Philosophie“ (I 30, 1). Die Weisheit nun ist „eine feste Erkenntnis (γνῶσιϛ) göttlicher und menschlicher Angelegenheiten, ein sicheres und unwandelbares Ergreifen, das das Seiende, das Vergangene und das Künftige zusammenfaßt“ (VI 54, 2).

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