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2. Kapitel
Die Philosophische Theologie im Zeitalter der Patristik § 15. Die Anfänge der christlichen Philosophie 1. Das frühe Christentum

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Der Einbruch des Christentums in die antike Welt wird auch für die Philosophie und insbesondere für die Philosophische Theologie zu einem epochalen Ereignis. Und dies unbeschadet dessen, daß das Christentum ursprünglich nicht auf der Ebene des philosophischen Denkens beheimatet ist, sondern sich als ausschließlich religiöse Sicht auf Gott, den Menschen und die Welt versteht.

Das frühe Christentum erwächst aus der jüdischen Religiosität, deren beherrschendes Moment der Gedanke des einen Gottes ist, der die Welt und den Menschen in der Freiheit seines Entschlusses geschaffen hat. Gott ist der Ferne, als Herr der Welt über diese erhaben; er ist nicht, wie im griechischen Denken, im Wirklichen unmittelbar anwesend. Und doch bleibt er auch nicht in jener starren Unzugänglichkeit, wie sie etwa das Eine Plotins auszeichnet. Er kommt je und dann, in geschichtlichen Ereignissen, in die Nähe zum Menschen, offenbart sich – vorzüglich im prophetischen Wort – und gibt sich darin als den Menschen anredende Person kund. Diese mit der Ferne verbundene Nähe Gottes erhält im Christentum eine besondere Betonung; Gott wende sich in ausgezeichneter Weise als der Gott der Gnade und der Liebe in der Menschwerdung seines Sohnes dem Menschen zu.

In dieser christlichen Sicht rückt der Mensch in einer eigentümlichen Weise in das Zentrum: freilich nicht als in sich selber gründendes Wesen, sondern in der durchgängigen Bezogenheit auf Gott; er steht in seiner ganzen Existenz unter Gottes Gericht und unter Gottes Gnade. Daher werden Verfallensein an die Sünde, Aufforderung zur Entscheidung für Gott und die im Glauben ergriffene erlösende Zuwendung Gottes die entscheidenden Aspekte, unter denen das menschliche Dasein betrachtet wird. Dem überwiegend kosmologischen Interesse gegenüber, das das griechische Denken kennzeichnet und in dem der Mensch vornehmlich als ein Teil des Kosmos erscheint, denkt das frühe Christentum anthropologisch, aber so, daß diese Anthropologie zu ihrer entscheidenden Mitte die Soteriologie hat.

Dazu tritt ein weiterer Gedanke: mit dem Menschen und damit auch mit der Welt geschieht eine Geschichte, und zwar wiederum von Gott her. Während das genuine Griechentum Geschichte nur als den immer gleichen Kreislauf der Zeitalter kennt, erhält im Christentum die Geschichte einen eindeutigen Anfang – die Schöpfung – und ein eindeutiges Ende – die mit dem Kommen Jesu Christi angebrochene Endzeit. Die Wirklichkeit wird heilsgeschichtlich gesehen.

Mit dieser Kennzeichnung ist freilich nur ein – wenn auch der beherrschende – Grundzug im Wesen des frühen Christentums hervorgehoben. Rudolf Bultmann hat in seinem Buch über „Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen“ 1 eindrucksvoll gezeigt, wie in das der alttestamentlichen Tradition und der Erfahrung des Lebens, Leidens und Sterbens Jesu entstammende Bild noch andere Züge eingehen: teils aus der im hellenistischen Judentum wirksamen stoischen und neuplatonischen Tradition, teils aus der spätjüdischen Apokalyptik mit ihren kosmologischen Spekulationen und ihrer Erwartung der Auferstehung der Toten, teils und vorzüglich aus der Gnosis mit ihrer Betonung der spekulativ gedachten Transzendenz Gottes, mit ihrer Scheidung der Reiche des Lichts und der Finsternis und mit ihrer Lehre vom himmlischen Gesandten. Das Entscheidende aber – entscheidend gerade im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Philosophie – bleibt das zuerst Genannte: der Gedanke der Ferne und Nähe des persönlichen Gottes, das soteriologisch bestimmte Verständnis des menschlichen Daseins und die heilsgeschichtliche Deutung der Wirklichkeit.

Daß diese Sicht mit so elementarer Gewalt ans Licht drängt, muß das weitere philosophisch-theologische Denken entscheidend bestimmen. Das wird in dem Augenblick akut, in dem das frühe Christentum sich ausdrücklich der griechischen Philosophie konfrontiert sieht und dadurch gezwungen wird, sich auf sich selber zu besinnen. Solange es an seinen eigensten Grundvoraussetzungen festhält, können weder das die Welt durchwaltende Göttliche der Vorsokratiker und Stoiker, noch der Weltbildner Platons, noch die göttliche Vernunft des Aristoteles, noch das Eine Plotins ohne weiteres dem Genüge tun, was sich der glaubenden Gotteserfahrung in ihrem Versuch, sich denkend selber zu begreifen, als Notwendigkeit aufdrängt. Dann muß es vielmehr zu Konflikten, zu Brüchen und zu mehr oder minder gelingenden Versuchen der Versöhnung kommen. So beginnt mit der geschichtlichen Tatsache des Christentums eine neue Problematik: die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und philosophischem Denken; sie bestimmt von da an weitgehend das Geschehen im Felde der Philosophischen Theologie.

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