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2. Gottheit und Welt

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Der vorherrschende Gedanke ist also der der Gottferne der welthaften Wirklichkeit, in der die Gottheit nur hier und da in der verlorenen Weise der pneumatischen Substanz anwesend ist. Die Überzeugung von der durchgängigen Anwesenheit des Göttlichen in der Welt, wie sie das ursprüngliche griechische Denken bestimmt hat, ist verschwunden. Das Wesen der Welt ist die Gottverlassenheit.

Das bedeutet zugleich, daß die Gottheit in die Ferne rückt und zu einem fast völlig transzendenten Wesen wird. Ahnlieh wie dann später im Neuplatonismus ist auch in der Gnosis Gott der Unzugängliche und Unerkennbare. Valentinos nennt ihn – „den Uranfang, den Urvater und die Tiefe“ – „ unfaßbar und unsichtbar“ (J I 1, 1). Für Basileides wiederum ist Gott, den er auch als den „ungeborenen und namenlosen Vater“ (J I 24, 4) bezeichnet, der „nicht seiende Gott“ (H VII 21, 1), sofern er nämlich über alles Seiende erhaben ist. Kurz: die Gotteslehre der Gnostiker ist vornehmlich theologia negativa.

Es ist einleuchtend, daß diesem in die Ferne der Transzendenz entrückten Gott kein unmittelbarer Bezug zur Welt zugesprochen werden kann, wie dies etwa in der kirchlich rezipierten Vorstellung von Gott als dem Schöpfer der Welt geschieht. Die Gnostiker pflegen daher den Weltschöpfer von dem obersten Gott zu unterscheiden. So wird in dem Brief des Ptolemaios an Flora „der Demiurg und Schöpfer dieses ganzen Kosmos und dessen, was in ihm ist“, als eine „Mitte“ zwischen dem „vollkommenen Gott“ und dem „Teufel“ dargestellt (E 33, 7, 3f.); im gleichen Sinne redet Basileides von „herrschenden Urhebern der Welt“ (]I 24, 4), und die Valentinianer sprechen von dem „Demiurgen“ als einem „Engel, der Gott gleicht“ (] I 5, 2).

Gleichwohl fordern die festgehaltene Faktizität der Welt und der Gedanke der Einheit des Systems, daß irgendein Zusammenhang zwischen dem obersten Gott und der Welt hergestellt wird. In der Art, wie sie dies bewerkstelligen, unterscheiden sich die einzelnen gnostischen Systeme. überall aber geschieht es grundsätzlich in der Weise, daß innerhalb der göttlichen Region, des „Pleroma“, Zwischenwesen eingeschaltet werden; sie werden zumeist als „Äonen“ bezeichnet, die auf verschiedene Weise von dem obersten Gott gezeugt werden; sie ermöglichen es, daß sich dieser stufenweise herabsetzt bis an die Grenze der wirklichen Welt. So wird von Valentinos berichtet, er habe einen „Hervorgang der Äonen aus dem Vater“ gelehrt (H VI 37, 8). Die spekulative Phantasie erhält an diesem Punkte in den verschiedenen Schulen einen weiten Spielraum; die Gnostiker entwerfen, wie Tertullian sagt, „endlose Genealogien“ (T 7, 7); sie reden von „unnennbaren, unaussprechlichen und überhimmlischen Mysterien“ (E 31, 5, 2).

Als Beispiel hierfür diene die Theogonie und Kosmogonie der Valentinianer, wie sie Irenaeus darstellt (] I, 1-5, 5); die verschlungenen Linien der Gedankenführung dieses Textes werden dabei vereinfacht wiedergegeben. An den Anfang stellen die Valentinianer den obersten Gott, den „vollkommenen Äon, der vor allem da war“, den sie auch „den Uranfang, den Urvater und die Tiefe nennen“. Zugleich mit ihm und ebenso ursprünglich ist das „Schweigen“ (Σιγή). Der Urvater nun „hat einmal erwogen, diese Tiefe, den Anfang von allem, aus sich selbst hervorgehen zu lassen und diesen Hervorgang wie einen Samen … in das Schweigen … niederzulegen“. Dieses gebiert darauf den Geist (Nοῦϛ) und die Wahrheit (’Aλήϑεια). So entsteht durch Zeugung aus dem obersten Gott „die erste und ursprüngliche … Vierheit, die sie auch als Wurzel von allem bezeichnen“. Und nun geht vom „Geist“ und der „ Wahrheit“ her die Kette der Zeugungen weiter, bis schließlich „dreißig Äonen“ entstehen, göttliche Gestalten, die zusammen die „unsichtbare und pneumatische Fülle“ (λήϱωμα) bilden.

Noch aber ist es nicht zur Entstehung einer Welt gekommen. Diese gelangt dadurch ins Dasein, daß „der letzte und jüngste … Aon, die Weisheit“ (Σοφία) von einer Art Verlangen oder Sehnsucht danach erfaßt wird, den unfaßbaren obersten Gott zu begreifen. Darin aber muß sie notwendig scheitern, und zwar „wegen der Größe des Abgrundes und der Unausforschlichkeit des Vaters“. Indem sie nun auf ihre Sehnsucht verzichten muß, wird diese verselbständigt, „von dem Pieroma abgesondert … und in die Räume des Schattens und der Leere hinausgeworfen“, worin ihr nichts als „die Suche nach dem Licht, das sie verlassen hat“, bleibt. „Aus dieser Zuwendung hat die ganze Seele der Welt und des Weltschöpfers ihren Anfang genommen.“ Der Gnostiker deutet also seine Heimatlosigkeit als kosmisches Schicksal: als die Sehnsucht der gesamten Weltwirklichkeit nach ihrem Ursprung.

Von da aus wird nun auch das Werden der wirklichen Welt begreiflich. Denn der aus der Sehnsucht entspringende Demiurg, „der Vater und Gott … dessen, was außerhalb des Pieroma ist“, bringt „das Himmlische und das Irdische“ hervor. Am Ende schafft er „den irdischen Menschen“. Diesem wird freilich, ohne Wissen des Demiurgen, von der im Pieroma verbliebenen Weisheit her ein Element des Pneumatischen mitgegeben. Eben darin liegt der Grund der Zwiespältigkeit des Menschen, die der Gnostiker so schmerzhaft empfindet.

Sieht man von der Befremdlichkeit des mythologischen Elementes ab, in dem sich diese gnostischen Spekulationen bewegen, dann zeigt sich, daß in ihnen eine bestimmte Lösung eines philosophisch-theologischen Grundproblems versucht wird: nämlich die Gottheit rein als solche, in ihrer schweigenden Unzugänglichkeit, zu denken, und doch der Faktizität der Welt Rechnung zu tragen. Dies beides soll dadurch verknüpft werden, daß es von der Gottheit her durch Einschaltung von Zwischenwesen allmählich zur Entstehung einer Welt kommt. Daß gewisse Momente davon auch in die von der offiziellen Kirche rezipierten Grundschriften des Christentums eingegangen sind, ist unstreitig; das Evangelium nach Johannes und insbesondere dessen Prolog sind wohl kaum ohne Einflüsse aus der Gnosis konzipiert worden; aber auch in der Sprache des Apostels Paulus finden sich Spuren gnostischer Begrifflichkeit.5

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