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4. Justinus

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Denn nun drängt sich die Überlegung auf, ob denn die Wahrheit des philosophischen Denkens der Griechen, das in der hellenistischen Welt unter dem vorherrschenden stoischen Einflxuß als das natürliche Denken des Menschen überhaupt verstanden wird, mit derjenigen Wahrheit in Widerstreit stehen könne, die den Christen von Gott geoffenbart ist. In der Verneinung dieser Frage verstehen sich die sogenannten „Apologeten“ als Philosophen, genauer als Vollender der Philosophie. Unter ihnen hat insbesondere Justinus 8 dem Problem des Verhältnisses von Philosophie und Christentum seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Justinus hat nach seinem eigenen Bericht den Philosophenmantel getragen (vgl. D 1). Denn die Philosophie ist ihm „ein sehr großer Besitz und von Gott aufs höchste geachtet“; ja, er nennt diejenigen, die sich „der Philosophie zuwenden“, „heilig“ (D 2). „Ohne Philosophie und rechtes Verstehen kann wohl keinem Einsicht zukommen. Daher soll jeder Mensch philosophieren und dies für ein sehr großes und achtenswertes Werk halten“ (D 3). Philosophie aber ist für Justinus im ausgesprochenen Sinne Philosophische Theologie. Er stimmt seinem Gesprächspartner zu, als dieser behauptet, es sei das „Werk der Philosophie, über das Göttliche nachzuforschen“ (D 1).

Demgemäß erblickt Justinus auch in der bisherigen philosophischen Tradition Spuren der Wahrheit oder, wie er es mit einem charakteristisch stoischen Ausdruck nennt, einen „Samen des Logos“, der „dem gesamten Menschengeschlecht eingepflanzt“ ist (A li 8) und der insbesondere in den Philosophen zum Vorschein kommt. Vor allem die Stoiker (A II 8), Platon (A I 20), Sokrates (A I 5) und Heraklit (A I 46) werden anerkannt. Ja, die beiden letzteren werden, weil sie „dem Logos gemäß lebten“, sogar als „Christen“ bezeichnet (A I 46); schon Sokrates hatte „Christus zu einem Teil erkannt“ (A II 10). Schließlich nimmt Justinus die griechischen Philosophen insgesamt für das Christentum in Anspruch: „Soviel immer bei ihnen allen in guter Weise gesagt ist, ist unser, der Christen“ (A li 13).

Freilich steht Justinus der vorangehenden philosophischen Tradition auch kritisch gegenüber. Der in dieser waltende Logos ist verdunkelt. Bei allen Philosophen scheinen sich zwar „Samen der Wahrheit“ zu finden; jene werden aber „überführt, daß sie nicht genau gedacht haben, so oft sie selber untereinander Widersprechendes behaupten“ (A I 44). Sie „konnten das Seiende nur undeutlich sehen“ und besaßen daher keine „unwiderlegliche Erkenntnis“ (A II 13).

Diesen Verdunkelungen gegenüber erscheint der Logos in seiner vollen Wirklichkeit, „der ganze Logos“ (A li 8) in Jesus Christus. Demgemäß ist das Christentum für Justinus die „einzige Philosophie, die sicher und nützlich ist“ (D 8).

Darin zeigt sich jedoch, daß der Vorrang des Christentums nicht absolut ist. Justinus betont denn auch, daß der „Logos, der … Jesus Christus genannt wurde“, derselbe sei, der auch in Sokrates wirksam war (A I 5), wie er denn überhaupt „in jedem ist“ (A li 10). Es gibt nur einen quantitativen Vorrang des Christentums vor der Philosophie. Er besteht einmal darin, daß die Christen „manches auf mächtigere und göttlichere Weise“ lehren, zum anderen und vor allem darin, daß sie es „als einzige mit Beweis“ vorbringen (A I 20). Die Beweise sind freilich nicht philosophischer Natur, sondern Beweise aus der Erfüllung von Weissagungen. Die Propheten haben – etwa im Unterschied zu Platons vergeblichem Bemühen – „die Wahrheit gesehen und ausgesprochen“. Ihre Glaubwürdigkeit besteht darin, daß sich ihre Voraussagen erfüllt haben; „sie weissagten die Zukunft, das nämlich, was jetzt geschieht“. „Nicht mit Beweis brachten sie damals ihre Worte vor“, sondern „vor allem Beweis waren sie glaubwürdige Zeugen der Wahrheit“. Vor allem macht sie glaubwürdig, daß sie „Christus verkündeten“ (D 7). Auf der gleichen Ebene steht auch die Glaubwürdigkeit Christi, sofern nämlich der Logos nicht nur „durch die Propheten“, sondern auch und vorzüglich in Jesus Christus, und das heißt: „durch sich selbst“, „das, was geschehen wird, vorausgesagt hat“ (A II 10).

Was also das Christentum auszeichnet, sind nicht so sehr irgendwelche Besonderheiten seiner Lehre; diese spielen bei Justinus eine untergeordnete Rolle. Von den Propheten etwa heißt es, daß sie „von höchstem Nutzen sind“, wenn es sich „um die Ursprünge, um das Endziel und um das, was zu wissen dem Philosophen not ist“, handelt (D 7). überhaupt sagt Justinus, daß die Christen „etwas Ähnliches wie die Griechen sagen“ (AI 24). Das Auszeichnende des Christentums ist vielmehr fast ausschließlich die Möglichkeit, über die auch in der zeitgenössischen Philosophie diskutierten Lehren (Gottes Sein und Wesen, den Logos als Mittler zur Welt hin, das Endgericht und die Forderung eines sittlichen Lebens) sich vergewissern zu können. Dies, aber auch dies allein, macht es aus, daß die Lehre der Christen „höher als alle menschliche Philosophie“ ist (A II 15). Sie ist „erhabener als jede menschliche Lehre“, nicht etwa darum, weil sie etwas grundsätzlich Neues brächte, sondern weil nach der teilweisen Offenbarung des Logos in der vorangehenden Philosophie nun „das Ganze den Logos Betrefende“ erschienen ist (A li 10).

Damit tritt das Charakteristische dieser ersten bedeutenden Synthese von Christentum und Philosophie deutlich hervor. Der Glaube führt nur wenige besondere Einsichten mit sich, und gerade nicht die entscheidenden. Mit geringen Ausnahmen ist alles, was er an Erkenntnis bietet, irgendwie schon in der vorangehenden Philosophie zum Vorschein gekommen. Der Unterschied besteht im wesentlichen nur darin, daß das Christentum die Möglichkeit schafft, sich dessen auch wirklich zu vergewissern, was die Philosophen ohne ausreichende Gewißheit und in unklarer und widersprüchlicher Form gelehrt haben. So ist die christliche Lehre die höchste Stufe der Philosophie und deren Erfüllung; sie ist selber nichts anderes als Philosophie, nur eben in der Weise der Gewißheit. Der Glaube ist nur das Mittel, um zu einem solchen gesicherten Philosophieren zu gelangen. Das aber besagt: Die „christliche“ Philosophie der Apologeten ist, auf ihren Gehalt hin betrachtet, nicht spezifisch christlich. Die Synthese zwischen Christentum und Philosophie führt bei ihnen zur Selbstaufgabe der Besonderheit der christlichen Verkündigung.

1 Rudolf Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich 1949.

2 Vgl. Rudolf Buhmann, a. a. 0., S. 173.

3 Max Pohlenz, Paulus und die Stoa, Darmstadt 1964, S. 8 und 18.

4 Max Pohlenz, a. a. 0., S. 30.

5 Rudolf Buhmann, a. a. 0., S. 196.

6 Die Zitate aus den Schriften Tertullians werden im Text mit den folgenden Siglen angeführt: A = Apologeticum; M = Adversus Marcionem; P = De praescrip tione haereticorum. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

7 Vgl. die vielumstrittene Stelle im Brief des Paulus an die Römer, 1, 19: „ … weil das Erkennbare Gottes in ihnen (sc. den Menschen) offenbar ist; denn Gott hat es ihnen geoffenbart.“

8 Die Zitate aus den Schriften des Justinus werden im Text mit den folgenden Siglen angeführt: A I = Erste Apologie; A II = Zweite Apologie; D = Dialogus cum Thryphone Judaeo. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

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