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2. Schriftliches Beschlussverfahren

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Das Gericht kann gem. § 72 OWiG schriftlich durch Beschluss ohne Hauptverhandlung entscheiden, wenn es eine solche für nicht erforderlich hält. Nach dem gesetzgeberischen Zweck der Ausnahmebestimmung des § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG, der der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens dienen soll, ist allerdings nach Durchführung einer Hauptverhandlung grundsätzlich durch ein Urteil und nicht auf dem Weg eines Beschlusses zu entscheiden.[4] Etwas anderes kann gelten, wenn das Gericht nach Aussetzung der Hauptverhandlung eine weitere Verhandlung nicht mehr für erforderlich hält.[5] Voraussetzung für eine Entscheidung durch Beschluss ist immer, dass kein Widerspruch des Betroffenen oder der Staatsanwaltschaft vorliegt, obwohl Gelegenheit zu einer solchen Äußerung gegeben worden ist. Das Gericht weist auf die Möglichkeit des schriftlichen Beschlussverfahrens und des Widerspruchs hin und setzt eine Äußerungsfrist von 2 Wochen. Dieser Hinweis muss klar und deutlich[6] durch das erkennende Gericht[7] erfolgen. Widerspruchsberechtigt sind neben dem Betroffenen auch sein gesetzlicher Vertreter und sein Verteidiger, allerdings nicht gegen den Willen des Betroffenen.[8] Zuweilen wird nur der Betroffene, nicht auch sein Verteidiger über die Absicht des Gerichts unterrichtet, im Beschlussverfahren zu entscheiden. Nach der herrschenden Rechtsprechung wird hierdurch der Hinweis nicht unwirksam; er muss also nicht auch dem Verteidiger erteilt werden.[9] Dies gilt nicht, wenn der Hinweis an den Verteidiger bewusst unterlassen wird.[10] Ergeht der Hinweis nur an den Verteidiger, so soll er auch für den Mandanten wirksam sein.[11]

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Der Widerspruch bedarf keiner besonderen Form, er kann mündlich, schriftlich, telefonisch, telegrafisch, per Fernschreiben oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle erklärt werden. Auch durch konkludentes Handeln kann sich ein Widerspruch ergeben,[12] z.B. wenn erklärt wird, dass der Sachverhalt erst weiter aufzuklären ist.[13] Auch ist es als Widersprechen zu werten, wenn der im Bußgeldbescheid angenommene Sachverhalt energisch bestritten wird,[14] wenn eine endgültige Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen nach Akteneinsicht angekündigt wird[15] oder wenn wegen widersprechender Aussagen die Einschaltung eines Sachverständigen verlangt wird.[16] Auch wenn der Verteidiger unter Bezugnahme auf einen nicht bei den Akten befindlichen früheren Schriftsatz wegen Urlaubsverhinderung darum bittet, einen Termin nicht in einer bestimmten Zeit anzuberaumen, liegt hierin ein Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung.[17] In dem Antrag des Verteidigers, die Frist, innerhalb der einer Entscheidung ohne Hauptverhandlung widersprochen werden kann, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlängern, liegt ein Widerspruch nur gegen eine vor Ablauf der beantragten Nachfrist ergehenden Beschlussentscheidung.[18] Ein Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren kann nicht stillschweigend erfolgen, etwa durch den Antrag des Betroffenen auf Entbindung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung.[19] Als Widerspruch ist jede Erklärung eines Betroffenen oder seines Verteidigers zu werten, aus der zu entnehmen ist, dass mit einer schriftlichen Entscheidung bei der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage kein Einverständnis besteht.[20] Schon im Voraus kann der Widerspruch erklärt werden, z.B. im Bestellungs- oder Einspruchsschriftsatz.[21] Dieser wird nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betroffene auf den Hinweis selbst schweigt oder die ausdrückliche richterliche Anfrage, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen wird, nicht beantwortet.[22] Die Erklärung des Betroffenen, er erhoffe sich bei einer Gegenüberstellung mit dem anzeigenden Polizisten einen Freispruch, ist als Widerspruch zu werten.[23]

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Der richterliche Hinweis auf eine Beschlussentscheidung und den möglichen Widerspruch muss eindeutig sein.[24] Wenn der Betroffene bestreitet, einen Hinweis erhalten zu haben, so kann das Gericht sich die Überzeugung vom Gegenteil nicht durch eine formlose Mitteilung verschaffen, in einem derartigen Fall muss das Gericht dem Betroffenen nachträglich rechtliches Gehör gewähren.[25]

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Wird dagegen lediglich die dem Bußgeldbescheid zugrunde liegende Rechtsauffassung bestritten, so ist hierin kein Widerspruch zu sehen; auch nicht, wenn die Verteidigung Antrag auf Terminverlegung stellt, nachdem zunächst das Gericht einen Hauptverhandlungstermin anberaumt hat.[26] Beantwortet der Verteidiger den Hinweis des Gerichts nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG nur mit einem Gesuch auf Akteneinsicht und gibt er anschließend die Akte und Einsichtnahme ohne weitere Erklärung zurück, liegt ein stillschweigendes Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung vor.[27] Auch liegt ein Widerspruch nicht vor, wenn der Betroffene im Einspruch gegen den Bußgeldbescheid lediglich detailliert den Tatvorwurf bestreitet.[28] An eine Zustimmung zum Erlass einer bestimmten Entscheidung im Beschlussweg ist der Betroffene grundsätzlich gebunden. „Dies gilt jedoch nicht, wenn sich im weiteren Verfahren neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, deren Berücksichtigung bei der Entscheidung nach Lage der Akten von den Verzicht auf den Widerspruch nicht gedeckt ist“.[29]

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Der Hinweis nach § 72 Abs. 1 S. 1 und 2 OWiG muss förmlich zugestellt werden.[30]

Hinweis

Verteidiger werden häufig die Zustimmung zum schriftlichen Beschlussverfahren nur unter Bedingungen erteilen. Derartige Bedingungen für das Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren können sein, dass der Betroffene freigesprochen oder nur eine Buße verhängt wird, die unterhalb der Eintragungsgrenze im Flensburger Zentralregister liegt oder dass das Gericht das Verfahren einstellt. Vielfach wird dem schriftlichen Verfahren nur zugestimmt, wenn das Fahrverbot in Fortfall kommt. Werden derartige Erklärungen abgegeben, kann das Gericht eine schriftliche Entscheidung mit anderem Ausgang nicht treffen.[31] Bei überlasteten Gerichten, die aus Zeitgründen auf die Ansetzung eines Verhandlungstermins möglichst verzichten wollen, kann der Verteidiger durch eine Zustimmung zum schriftlichen Beschlussverfahren unter Bedingungen oft für den Mandanten sehr günstige Ergebnisse erzielen. Das Gericht muss gem. § 72 Abs. 6 OWiG den Beschluss nicht begründen, wenn Staatsanwaltschaft und Verteidigung darauf verzichten. Es reicht dann der Hinweis auf den Bußgeldbescheid.

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Stimmt der Verteidiger einer Entscheidung im Beschlussverfahren zu, erklärt er aber gleichzeitig, er wolle im Falle einer beschwerenden Entscheidung Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde stellen, so liegt ein Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung vor.[32]

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Geht der Widerspruch, der das schriftliche Verfahren sperrt, nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist ein, ist er nach § 72 Abs. 2 OWiG unbeachtlich. In diesem Fall kann jedoch gegen den Beschluss innerhalb einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist beantragt werden. Hierüber muss der Betroffene bei der Zustellung des Beschlusses belehrt werden. Das Gericht kann von einem Hinweis an den Betroffenen absehen und auch gegen seinen Widerspruch durch Beschluss dann entscheiden, wenn es freispricht, § 72 Abs. 1 S. 3 OWiG.

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Es versteht sich von selbst, dass das Gericht von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung im schriftlichen Beschlussverfahren nicht zum Nachteil des Betroffenen abweichen darf, § 72 Abs. 2 OWiG.

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Gegen den Beschluss nach § 72 OWiG ist eine sofortige Beschwerde unzulässig und in eine Rechtsbeschwerde umzudeuten.[33]

Teil 1 OrdnungswidrigkeitengesetzVII. Hauptverfahren (§§ 71–80a OWiG) › 3. Anwesenheit des Betroffenen

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