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2. Rechtsschutz gegen Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei
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Besondere Probleme ergeben sich beim Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Polizei. Während bei polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr unumstritten der Verwaltungsrechtsweg einschlägig ist, ist dieser bei Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei durch die Sonderzuweisung des § 23 EGGVG ausgeschlossen. Nach § 23 EGGVG entscheiden die Oberlandesgerichte (§ 25 EGGVG) ua über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen und sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden. Der Begriff der Justizbehörde ist dabei nach heute hM[71] im funktionellen Sinn zu interpretieren, sodass auch Strafverfolgungsmaßnahmen der Kriminalpolizei – die organisatorisch dem Innenministerium zugeordnet ist – durch § 23 EGGVG erfasst werden. Hierfür spricht ua, dass anderenfalls ein unterschiedlicher Rechtsweg für den Rechtsschutz gegen Strafverfolgungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft einerseits (bei der es sich sowohl im funktionellen wie im organisatorischen Sinn um eine Justizbehörde handelt) und der strafverfolgenden Polizei andererseits gegeben wäre. Damit hinge es, je nachdem, wer von beiden zuerst tätig wurde, vom Zufall ab, welcher Rechtsweg einschlägig wäre, obschon die Rechtsgrundlagen für das Eingreifen weitgehend übereinstimmen.
Polizeiliche Maßnahmen können gleichzeitig die Abwehr von Gefahren wie auch die Strafverfolgung bezwecken. Bei solchem doppelfunktionalen Handeln kommt es nicht auf dessen (oft gar nicht bestimmbaren) Schwerpunkt an[72]. Wenn ein polizeiliches Handeln (etwa eine Beschlagnahme) sowohl der Strafverfolgung (§§ 94 ff StPO) wie auch der Gefahrenabwehr (zB § 33 BWPolG) dient, liegen vielmehr in Wahrheit zwei unterschiedliche Akte vor, die nur äußerlich zusammenfallen, wegen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen aber einen gänzlich unterschiedlichen Rechtscharakter aufweisen. Besonders deutlich wird dies daran, dass personenbezogene Daten, die im Rahmen der Gefahrenabwehr gewonnen wurden, ohne eine Rechtsgrundlage nicht für Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden dürfen (und umgekehrt). Wegen der unterschiedlichen Rechtsnatur lässt sich auch über § 17 Abs. 2 GVG kein einheitlicher Rechtsweg kraft Sachzusammenhangs begründen[73]. Stützt die Polizei allerdings die Aufrechterhaltung einer Maßnahme (etwa einer Beschlagnahme) später nur noch auf einen Gesichtspunkt, so wird damit konkludent der auf eine andere Rechtsgrundlage gegründete Akt aufgehoben, sodass sich der Rechtsweg für ein auf Aufhebung gerichtetes Klagebegehren nunmehr nur noch nach der jetzigen Zielsetzung bestimmt. Es gilt hier dasselbe wie bei Ersetzung der ursprünglichen polizeilichen Zielsetzung durch eine andere, bei der es ebenfalls nur noch auf den derzeit verfolgten Zweck ankommt[74].
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Keine Voraussetzung für den Rechtsschutz gem. § 23 EGGVG ist das Vorliegen eines Justizverwaltungsakts[75]. Auch ein Realakt ohne Regelung (zB eine polizeiliche Presseerklärung im Rahmen eines Strafermittlungsverfahrens) stellt sich als Maßnahme iSd § 23 Abs. 1 EGGVG dar (s. aber BVerwG, Buchholz 310 § 40 Nr 235; BGH, BeckRS 2017, 120643). Neben dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs (s. auch den Rechtsgedanken des Art. 95 GG) spricht insbesondere § 28 Abs. 1 S. 2 EGGVG für ein weites Verständnis des § 23 EGGVG. Die in § 28 Abs. 1 S. 2 EGGVG geregelte Durchsetzung eines Folgenbeseitigungsanspruchs ist nämlich typischerweise auf die Vornahme von Realakten gerichtet.
Der Rechtsweg zum OLG (§§ 23 Abs. 1 S. 1, 25 Abs. 1 EGGVG) wird nicht durch die in direkter oder analoger Anwendung[76] des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO bestehende Möglichkeit ausgeschlossen, eine gerichtliche Entscheidung über die Aufrechterhaltung eines kriminalpolizeilichen Justizverwaltungsakts herbeizuführen. Nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO wird nämlich nicht, wie es für einen Rechtsweg gem. Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich und durch § 23 EGGVG gewährleistet ist, über die Rechtmäßigkeit einer strafprozessualen Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder ihre polizeilichen Ermittlungspersonen entschieden. Vielmehr trifft das Gericht losgelöst von deren vorangegangenen Handeln eine eigenständige Entscheidung über die Beschlagnahme[77]. So braucht das Gericht die kriminalpolizeiliche Maßnahme selbst dann, wenn sie rechtswidrig war (zB keine Gefahr im Verzug vorlag), beim Vorliegen der Voraussetzungen für eine richterliche Beschlagnahme nicht aufzuheben. Wenn es dem Betroffenen nur um die Beseitigung der Beschlagnahme und nicht um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns als solches geht, wird das regelmäßig einfachere und effektivere Verfahren des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO allerdings prinzipiell das Rechtsschutzbedürfnis für ein Vorgehen nach den §§ 23 ff EGGVG ausschließen (vgl Rn 606 ff)[78].
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Nicht unter die §§ 23 ff EGGVG fallen die in der StPO geregelten polizeilichen Befugnisse, die der Gefahrenabwehr oder der Gefahrenvorsorge dienen (wie die Aufbewahrung von Lichtbildern oder Fingerabdrücken zu Zwecken des Erkennungsdienstes gem. § 81b StPO[79]), ferner nicht die in vielen Polizeigesetzen normierten polizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge[80], wie etwa der Einsatz verdeckter Ermittler (vgl zB § 22 Abs. 3 BWPolG) oder die Auskunftserteilung über in einer Kriminalakte gesammelte personenbezogene Daten (BVerwG, Buchholz § 40 Nr 243). Solange die Regelung in den Polizeigesetzen erfolgt, legt es die Verwandtschaft mit Gefahrenabwehrmaßnahmen nahe, gegen polizeiliche Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge dienen, Rechtsschutz gem. § 40 zu gewähren[81]. Nicht von § 23 EGGVG erfasst wird auch der Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen, die der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten dienen. Rechtsschutz hiergegen ist analog § 62 OWiG durch die Amtsgerichte (§ 68 OWiG) zu gewähren (Schenke, PolR, Rn 482; Gassner, in: Blum/Gassner/Seith, OWiG, 2016, § 62 Rn 7).
§ 3 Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 VwGO) › V. Das Fehlen einer Sonderzuweisung an ein anderes Gericht › 3. Rechtsschutz gegen ablehnende Gnadenentscheidungen