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4.2 Texturperspektive

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Unter »Textur« versteht man die Struktur einer Oberfläche. Es gibt grobe und feine Strukturen. Felsen sind klobig, Sande körnig, Hölzer gemasert und Gewebe geriffelt. Im Alltag dienen strukturierte Oberflächen zumeist praktischen Zwecken, etwa der Materialbestimmung und der Handlungsorientierung. Erste Hinweise auf die künstlerische Bedeutung der Textur finden sich in Leonardo da Vincis »Buch von der Malerei«: »Das Auge ohne Bewegung, d. i. das Auge vor dem gemalten Bild, allwo man die hintereinanderstehenden Dinge durch Verrückung des Augenstandes ihren Platz nicht anscheinend kann wechseln lassen, um sich, wie dies bei Freistehendem möglich, durch Anwendung dieses Auskunftsmittels in zweifelhaften Fällen Gewissheit über die wahren Raumverhältnisse zu verschaffen. Die bloße linearperspectivische Verjüngung löst diese Zweifel nicht immer; zum Wenigsten muss man Einsicht in die Bodenverhältnisse und in den Ort der Fusspunkte der Objekte haben, und auch dies wird unzulänglich ohne die gehörige Unterstützung durch Luft- und Farbperspective« (da Vinci 1882, S. 189).

Um Größe und Entfernung von Gegenständen einschätzen zu können, reichen also konvergierende Linien nicht aus. Zu berücksichtigen sind ferner Bodenstruktur, Luft- und Farbperspektive. Ersterer Zusammenhang wurde in neuerer Zeit durch mehrere Feldexperimente des amerikanischen Psychologen James Gibson (1904–1979) bewiesen. Seine ökologische Wahrnehmungstheorie konnte sogar die gängige Ansicht widerlegen, wonach die Größe eines entfernten Objektes über den (linearperspektivischen) Sehwinkel bestimmt würde. Vielmehr erfolgten Größen- und Distanzschätzung mittels sogenannter »Texturgradienten«, worunter Gibson eine stetige Strukturänderung mit zunehmender Entfernung vom Beobachter versteht. Je größer die Entfernung, desto kleiner und dichter die Strukturen. Zum besseren Verständnis dieses Sachverhaltes unternehmen wir am besten selbst einige Beobachtungen in Stadt und Land.


1. Wir betreten eine großräumige Eingangshalle. Sie ist vollständig mit quadratischen Steinplatten ausgelegt. Zu den gegenüberliegenden Wänden sehen wir die Platten rhombenartig kleiner werden und die Fugenabstände sich verringern.

2. Wir stehen auf einem stillgelegten Bahndamm. Schienen, Bohlen, Schotter liegen vor uns ausgebreitet. In der Ferne scheinen sich die parallelen Schienenstränge einander zu nähern, die Bohlenabstände kürzer zu werden und die Körnung des Schotters zu schrumpfen.

3. An einem schönen wolkenlosen Tag schweifen unsere Augen über eine halboffene Landschaft. Wiesen, Wälder und Felder verändern ihre Gestalt, Größe und Struktur mit zunehmender Entfernung.

Während wir mit unserem gewohnten »Was-Facetten-Blick« Strukturen ohne Weiteres erkennen können, registrieren wir die Veränderung der Struktur erst durch umschalten auf den »Wie-Facetten-Blick«. Zu diesem Zweck muss ich meine Aufmerksamkeit auf den Wahrnehmungsprozess selbst richten. Wenn mir das nach einigen Übungen gelingt, erhalte ich vielleicht Aufschlüsse über die Veränderung der Textur mit zunehmender Entfernung, ihre Bedeutung für meine Orientierung in der Natur (Steigungen, Gefälle, Kantenabbrüche usw.), indes sich der relativ unstrukturierte Himmel zur Schätzung von Entfernungen weniger eignet.

Aus diesen wahrnehmungspsychologischen Betrachtungen ergibt sich für den Künstler im Sinne Leonardo da Vincis die Konsequenz eines gründlichen Studiums der Bodenverhältnisse, wenn er Größe und Entfernung im Bildraum richtig darstellen möchte. Andernfalls würde sein naturalistisches Bild unnatürlich, flach und disharmonisch wirken.

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