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Das perspektivische Niveau

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Sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch haben wir herausgefunden, dass eine gewisse kognitive Reife vonnöten ist, bevor ein kunstsinniger Mensch perspektivisch wahrzunehmen und darzustellen vermag. Er muss sein infantiles »Kritzelstadium«, seinen archaischen Animismus, seinen »intellektuellen Realismus« überwunden haben, einer sachlichen Betrachtungsweise fähig sein und auf die »Wie-Facette« umschalten können. Insbesondere muss er sich seines subjektiven Standpunktes bzw. Blickwinkels bewusst geworden sein. Darüber verfügen abendländische Kinder durchschnittlich ab dem zwölften Lebensjahr.

Wenn nun paläolithische und spätere Kulturvölker keine perspektivische Anschauung – mit Ausnahme der alten Griechen und Italiener – entwickelt haben, entspricht dann ihre geistige Reife einem Pubertierenden? Aus oben genannten Gründen wird dies verneint? Vielmehr müssen wir es wohl den unterschiedlichen Vorstellungswelten und Ambitionen der ethnischen Gruppen einerseits und der Schwierigkeit der dreidimensionalen Übertragung des Wahrnehmungsbildes auf die Fläche andererseits schulden. Rufen wir uns noch einmal einige Aspekte des letzteren Problems ins Gedächtnis, so werden die theoretischen und praktischen Erfordernisse der Umschaltleistung deutlich: Was im realen Leben horizontal ist, muss aufs Blatt vertikal. Zudem müssen Linien schräg, verkürzt, schiefwinklig, konvergierend und überschneidend gezeichnet sowie Texturgradienten und Licht-, Farb- und Schattenverhältnisse beachtet werden. Infolgedessen können wir im phylogenetisch-ontogenetischen Vergleich feststellen, dass zentralperspektivisch korrekte Darstellungen entwicklungsgeschichtlich sehr späte und äußerst seltene Kunstprodukte der Kultur sind. Wahrscheinlich verhält es sich wie oben schon angemerkt, dass nur Ausnahmebegabungen die hohe Kunst der Perspektive erlernen und weniger Begabte sie nur nachahmen.

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