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Moderne Politikbegriffe deutscher Denker des 20. Jahrhunderts im Kurzüberblick

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Nachdem ich seit Anfang dieses Jahres Kurzzusammenfassungen – von Aristoteles bis Locke auf Französisch, von Rousseau bis Tocqueville auf Deutsch – erstellt habe, wobei Platon und Marx als vermutlich bedeutendste Politiktheoretiker aufgrund der Komplexität erst einmal außen vor gelassen wurden, soll der Begriff der Politik selbst in seinem modernen Verständnis eingeführt werden. Es ist nur richtig, dass nachdem wir die Ideengeschichte der politischen Theorien bis in die Neuzeit aufs Wesentliche untersucht haben, uns die Moderne besonders zu interessieren hat. Somit ist es auch wichtig, was Politik im heutigen Sinne ist, da viele Staaten ihre heutige Form erst im 20. Jahrhundert bekommen haben, so unter anderem die post-osmanische Türkei, die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit, die Fünfte Französische Republik, die neuen Staaten Osteuropas, die zentralasiatischen und kaukasischen Staaten sowie viele ehemalige Kolonien, darunter Indien, Pakistan, Bangladesch (bis 1971 Teil von Pakistan), Myanmar, Malaysia, welche von Großbritannien unabhängig wurden, die indochinesischen Staaten Laos, Kambodscha und Vietnam, die von Frankreich unabhängig wurden, aber auch Indonesien, welches sich von den Niederlanden und die Philippinen, die sich von den USA lösten. Das ganze ließe sich noch auf sämtlichste Staaten aller Kontinente übertragen. Als ein von vielen Unruhen geplagtes Territorium im 20. Jahrhundert, spielen die Theorien Deutschlands eine in der europäischen Wissenschaft herausragende Rolle. Es ist kein Zufall, dass Max Weber eine wichtige Rede zum Politikbegriff 1919 hielt, Carl Schmitt aber wiederum in der Zeit des Nationalsozialismus besonders aktiv war. Auch in anderen Staaten Europas, vor allem unter dem Hintergrund der Oktoberrevolution sind viele moderne Politikbegriffe geprägt wurden. Wir möchten uns aber hier auf die wichtigsten deutschen Theoretiker beschränken, die eine besondere Gewichtung in der Politiklehre an Hochschulen genießen, unabhängig davon, wie akkurat oder aktuell – oder gar geschätzt – die Theorien per se sind (gerade bei Carl Schmitt ist dies besonders umstritten).

Max Weber definierte den Begriff der Politik in Bezug auf das Staatswesen als machtzentriert. Wer in einem Staat Politik betreiben möchte strebt stets nach Macht, welche entweder als Mittel zur Umsetzung benötigt wird, oder man strebt nach Macht der Macht wegen, um sich in diesem Gefühl zu sonnen und seine Stellung zu genießen. Als Macht definiert Weber einen Gehorsam bei angebbaren Personen, der durch legitime physische Gewalt jederzeit eingefordert werden kann. Der Staat definiert das Recht und somit liegt es auch in der Entscheidung der Politik, welches Mittel der Gewalt es sich selbst auferlegt und welche Form der Gewalt die Bürger haben dürfen (die aber stets dem politischen Gewaltmonopol unterliegen und durch den Staat auch jederzeit wieder einkassiert werden darf), da er die Quelle jeden Rechts ist 1. Kurzum: In der Politik herrschen immer Menschen über Menschen. Als legitim sieht er drei Herrschaftsformen an: als erstes wäre da die traditionelle Herrschaft der „ewig gestrigen“, die an den pre-modernen Herrschaftsformen festhält; zweitens, die charismatische Herrschaft, die sich auf einen charismatischen Führer stützt [vgl. preußische Kaiserzeit/ Wilhelminische Ära, Anm. d. Autors]; und drittens, die legale Herrschaft, die auf festgelegte Normen und Verträge basiert [ganz im Sinne der Spätrenaissance und Neuzeit; Anm. d. Autors] 2. Im letztgenannten Typus ist der Machthaber ein reiner Staatsdiener zur Erfüllung von Aufgaben. Max Weber fokussiert sich vor allem auf den charismatischen Führer, da eine solche Führerfigur, die Politik als Beruf durch Berufung führt, und damit das Idealbild des Berufspolitikers (also der „berufene Politiker“) im eigentlichen Sinne ist. In einer ständisch organisierten Gesellschaft teilt der Herr seine Verwaltungsmittel, indem er zum Beispiel Land dauerhaft an eine Person (und dessen Familie) zur weiteren Verwaltung gibt. In einer solchen Gesellschaft ist der Führer auf die Gunst der Aristokratie angewiesen. Dass Gegenmodell ist die Eigenregie des Herrn, indem alle Güter der Verwalter direkt dem Führer gehören und alle ihm direkt dienen. Dazu zählen unter anderem die patriarchalisch/patrimoniale, die sultanistische, und die bürokratische Staatsherrschaft 3. Ebenso wie der aufkeimende Kapitalismus nach und nach die Träger der privaten Mittel enteignet und alle unter seine geballten Produktionsmittel gestellt hat, so enteignet auch der moderne Staat Stück für Stück einzelne Träger, die neben ihm stehen, um alle Verfügung sich selbst anzueignen und sich zu monopolisieren 4.

Carl Schmitt sieht als grundlegendes Merkmal der Politik die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, wobei der Feind nicht unbedingt moralisch schlecht und ästhetisch hässlich sein muss und das Moralisch-Gute und Ästhetisch-Schöne nicht direkt den Freund ausmacht – nach Schmitt ist das Hauptmerkmal des Feindes, dass er der „Fremde“ ist 5. Nach Schmitt handelt es sich bei dieser Unterscheidung nicht um normative oder fiktive Einteilungen, sondern um die Wirklichkeit, sodass ein Feind eine Volksgruppe ist, gegen die es eine reale Chance des Konfliktes in Form von Kampf geben könnte (!). Dabei muss zwischen dem privaten und öffentlichen Feind unterschieden werden. Der private Feind ist jemand gegen den man persönlich Apathie hervorbringt, der öffentliche Feind dagegen muss nicht gehasst oder als schlecht empfunden werden 6. An dieser Stelle sollte eingeschoben werden, dass ein Freund-Feind-Verhältnis immer nur zwischen Staaten auftreten kann, also Politik gibt es nur auf der Ebene der Außenpolitik, während Innenpolitik eine Perversion der Politik sei und Parteien daher abgelehnt werden müssten. Dies ergibt sich aus dem Volke. Volk und Führer sind eins, und deswegen darf es innenpolitisch gar nicht zum Kampf kommen, da es für Schmitt sonst keine Demokratie wäre. Schmitt vertritt den Dezisionismus düsterster Art, indem er eine Demokratietheorie entwickelt mit der er ein tyrannisch-autoritäres Gedankengut zu verschleiern versucht (‚Demokratie als Identifikation des Volkes mit dem Führer‘). Er ist also eigentlich gar kein überzeugter Demokrat, sondern unterstützt eher Tyrannei und Despotismus. Als Dezisionismus wird eine rein entscheidungsorientierte Politik gesehen. Die Begründung für die Entscheidung spielt keine Rolle, sondern nur das er sich entscheidet (und selbst wenn er nicht entscheidet, so entscheidet er sich damit für das Nicht-Entscheiden). Nach Schmitt läuft dieser Entscheidungsprozess also durch die Unterscheidung eines realen Freundes oder Feindes ab, und daraufhin wird dann das Handeln festgelegt. Ein praktisches Beispiel zeigt sich in dem Verhältnis zwischen den USA und Nordkorea zur Zeit der Regierung Kim Jong-ils. Die USA und Nordkorea haben sich gegenseitig als Feind aufgefasst und sich stets darauf vorbereitet, im Falle eines real ausbrechenden Kampfes gewappnet zu sein und reagieren zu können. Nur weil aber Nordkoreaner das Feindbild der Amerikaner waren, war noch lang nicht der einzelne Nordkoreaner schlecht oder gar ein Feind. Dass einige Menschen die Nordkoreaner über einen Kamm scheren und negativ wahrnehmen liegt am falschen Verständnis des Begriffs des politischen Feindes – die Apathie beruht also eher auf einem Missverständnis durch Vermischung verschiedener Kategorien [Beispiel vom Verfasser des Artikels gewählt]. Das dezisionistische Moment in Schmitts existentiellem Dezisionismus ist zum einen, dass die im Gesetz liegende Entscheidung normativ aus dem Nichts geboren wird 7 und zum anderen ist es die Legitimation der Entscheidung, dass etwas geschieht – weswegen Legitimation und Legalität strikt zu trennen seien und die Legitimität nicht auf die Legalität reduziert werden solle 8.

Dolf Sternberger stellt heraus, dass Wörter Bedeutungen aneignen, aber damit nicht zwangsläufig Begriffe [also ein festes mentales Konzept zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem; Anm. d. Autors]. Er macht klar, dass das moderne Verständnis [also die Bedeutung – im Sinne vom umgangssprachlichem Inhalt, Anm. d. Autors] des Wortes Politik [also die natürliche Silbeneinheit; Anm. d. Autors], welches mit Max Weber einsetzt, nicht im Sinne der klassischen Bedeutung des Wortes „Politik“ liegt. Vielmehr noch muss klar sein, dass durch die Weber‘sche Bedeutungshoheit des Wortes, nicht automatisch alle alten Bedeutungen abgeschüttelt werden können, oder in meinen Worten: eine Transformation eines Wortes durch arbiträre Neudefinition ist nicht möglich, denn das Wort führt noch die Bedeutung, die es aus seiner Geschichte heraus erhalten hat mit sich und ist damit pfadabhängig. Doch macht Sternberger durch Platons Phaidon gesprochen klar, dass der Begriff sich den Namen für alle Zeit aneignen möchte 9. Demzufolge untersucht Sternberger die Bedeutung des Wortes empirisch, ähnlich wie Aristoteles einst das bestehende zu untersuchen pflegte, um daraus das Beste zu finden, im Gegensatz zu Weber, der einen abrupten Neuanfang zu glauben wagte. Während Weber einen soziologisch-definitorischen und Schmitt einen dezisionistisch-staatsrechtlichen Ansatz hegten, so geht Sternberger also sprachgeschichtlich an die Sache heran und zeigt, dass das Wort Politik bei Aristoteles noch sehr umfassend war, und sowohl der Ort der Politik (polis), als auch die Verfassung (politeia), als auch das politische Wesen (zoon politikon) – und viele ähnliche verwandte Begriffe – noch eins waren. So hat die lateinische Aristoteles-Übersetzung diesen Zusammenhang eingebüßt und das Band durchschnitten, indem es zum Besipiel das zoon politikon als animal civile bezeichnete und damit sämtliche Wörter des Zivilen prägte, die polis als civitas bezeichnete und damit den Bürger zum Citizen/Citoyen machte, während der Begriff Politik als Lehnwort aus dem Griechischen im lateinischen Aristoteles des Mittelalters stehen blieb. Noch gleich wurde bis weit in die Renaissance zwischen dem Despotismus und der Politik unterschieden, nicht zuletzt da Aristoteles zwischen der niederen arché despotiké und der viel besseren arché politiké unterschied, was sogar noch bei Machiavelli vorzufinden ist, während heute selbst despotische Staatssysteme als politische Systeme verstanden werden 10. Somit ist die Bedeutung des Wortes Politik aus den aristotelischen Politikschriften äußerst abgeflacht und hat jeglichen moralischen Anspruch den es einst pflegte verloren. Die epistemé politiké aus der Nikomachischen Ethik, die im lateinischen als scientia politica – also politische Wissenschaft – bezeichnet wurde, zeugte dagegen von hoher Klugheit und war noch bei Thomas von Aquin eine Tugend. Bei Machiavelli wurde dann aus dieser Klugheit eine Machttechnik, die weder gut noch böse, sei 11. Es ist dieser spezifisch ethisch-tradierte Begriff auf den heute der Habitus der Politik zurückgeht, welcher sich in vielen Kofferwörtern der deutschen Sprache mit der Zweitsilbe „-politik“ wiederspiegelt. Letztendlich lässt sich feststellen, dass Politik für Sternberger ein normativer Begriff ist. Der intentionale Begriff zeigt den Wunsch auf Frieden auf, der institutionelle zielt auf Verhandlung und Pluralität ab, womit die Politik also wieder mit der Ethik verbunden wird. Politik ist somit immer plural, der Staat eine Vielheit (POLITIK ALS FRIEDEN DURCH VERHANDELN)12. Anders als Weber und Schmitt versucht Sternberger den modernen Politikbegriff in Rückbesinnung auf das griechische Ideal zu verknüpfen, weswegen sein Politikbegriff als neoaristotelisch verstanden werden kann.

Sodann stellt sich natürlich die Frage, was politische Theorie ist und was sie leisten soll? Patzelt stellt drei Leitfragen an die politische Philosophie: 1) Was ist der Mensch?, 2) Was dürfen wir politisch hoffen?, 3) Was sollen wir politisch tun? 13 Patzelt prägt hier einen normativen Theoriebegriff der politischen Anthropologie. Nach Patzelt muss also die politische Philosophie nicht nur den Politikbegriff definieren und mit ihm arbeiten, sondern a) die politische Philosophie muss eine politische Anthropologie erarbeiten, indem die Natur des Menschen betrachtet wird, um dann zu schauen welche politischen Systeme möglich sind, b) die politische Philosophie muss eine Reflexionsebene über die Politik bieten, und c) die politische Philosophie muss normativ agieren und Vorschläge machen, welche politischen Systeme vernünftig wären. Nach Ladwig liegt es in der menschlichen Natur, alltäglich Theorien zu bilden, wenn wir uns fragen warum etwas so ist, wie es ist (Warum ist der Hase in den Wald gelaufen?). Dabei können Theorien den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, oder aber den Zweck einer Sache beschreiben. Wird der Zusammenhang von Ursache und Wirkung beschrieben, dann versuchen wir etwas zu erklären. Wird dagegen ein Sinnzusammenhang beschrieben, so versuchen wir etwas zu verstehen 14. Ladwig unterscheidet also strikt zwischen Erklären und Verstehen und nur weil wir etwas erklären können haben wir es noch lange nicht verstanden. Die Gesellschaft zum Beispiel ist für Ladwig mehr als nur die Summe aller Menschen und ihren Handlungen und als solche sehr resistent gegenüber den Absichten der Akteure. Er vergleicht dies damit, dass wenn viele Autos auf einer Straße fahren kommt es zum Stau, dabei ist der Stau von keinem der Handelnden (hier der Autofahrer) gewollt, sodass der Stau höchstens erklärt werden kann (da er ja nicht Zweck der ganzen Sache ist). Er entsteht durch unabgestimmte Handlungen verschiedener Akteure. Die Politik dagegen verfolgt Zwecke und versucht verschiedene Akteure aufeinander abzustimmen damit möglichst für alle allgemeine Vorteile daraus entstehen und stellt Mittel dafür zur Verfügung, sanktioniert aber auch die Missachtung notfalls durch Strafandrohung 15. Auch wenn Ladwigs Politiktheorie nicht so wirklich dem 20. Jahrhundert zugeordnet werden kann, sondern sein Vorlesungsband dem frühen 21. Jahrhundert entstammt kann durch erklären und verstehen die Politik systematisch aufgeschlüsselt werden. Mit der politikwissenschaftlichen Theorie von Patzelt lassen sich die klassischen Denker der Geschichte sehr gut einordnen und analysieren. Welches Menschenbild verfolgte zum Beispiel Aristoteles? (Natürlich, die des zoon politikon) Wie beschrieb Tocqueville die Demokratie? (als unaufhaltsam, aber eigentlich eher schlecht) Welche normativen Werte vertrat Machiavelli? (Anhäufung von virtù zur Abwehr von Fortuna). Die drei Leitfragen ermöglichen es also, alle großen politischen Denker nebeneinander zu stellen, zu vergleichen und tiefgründig zu analysieren.

Quellen:

1 Max Weber: Politik als Beruf. In: Gesammelte Schriften. Tübingen 1971 [1919], S. 505 ff.

2 Weber, 1971 [1919], S. 507

3 Weber, 1971 [1919], S. 510

4 Weber, 1971 [1919], S. 511

5 Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Berlin 1963 [1931], S. 26 ff.

6 Schmitt, 1963 [1931], S. 28 f.

7 Carl Schmitt: Die Diktatur – Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf. München 1928 [1921], S. 22.

8 Pedro H. Villas Boâs Castelo Branco: Bürokratie und die Legitimitätskrise der politisch-demokratischen Macht. In: Rüdiger Voigt (Hrsg.): Legalität ohne Legitimität? – Carl Schmitts Kategorie der Legitimität. Wiesbaden 2015, S. 138.

9 Dolf Sternberger: Das Wort „Politik“ und der Begriff des Politischen. In: Wolfgang Seibel (Hrsg.): Demokratische Politik – Analyse und Theorie. Opladen 1997, S. 97 ff.

10 Sternberger, 1997, S. 99 f.

11 Sternberger, 1997, S. 101.

12 Sternberger, 1997, S. 104 f.

13 Werner Patzelt: Was ist politische Theorie?. Passau 1992, S. 175.

14 Bernd Ladwig: Moderne Politische Theorie – Fünfzehn Vorlesungen zur Einführung. Schwalbach 2009, S. 12-16.

15 Ladwig, 2009, S. 18.

Veröffentlicht am 1. Juli 2018

Politische und Philosophische Analysen

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