Читать книгу Politische und Philosophische Analysen - Timo Schmitz - Страница 17

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Aristoteles‘ und Hurkas Grundverständnis von Freundschaft

Оглавление

Einleitung

Freundschaft ist wahrscheinlich eine der elementarsten Grundbeziehungen des Menschen. Direkt nach der Sozialisation innerhalb der Familie sucht der Mensch sich Kontakte, mit denen er Freundschaften entwickeln kann, die sich dann sehr vielfältig ausprägen und weiterentwickeln können. Ebenso divers sind der Freundschaftsbegriff und das Freundschaftsverständnis, welches schon Platon und Aristoteles, aber auch Thomas von Aquin, Montaigne und Hurka beschäftigt haben. Dieses Paper möchte bewusst eine antike Auffassung der Freundschaft, nämlich speziell die Aristotelische aus der Nikomachischen Ethik, und eine moderne Auffassung am exemplarischen Beispiel Hurkas aufgreifen. Dabei sollen zuerst die Freundschaftsverständnisse beider Autoren einzeln erläutert und zum Schluss gegenübergestellt und verglichen werden. Ziel dieser Arbeit ist die textimmanente Interpretation, womit verhindert werden soll, dass klassische textexterne Interpretationen das immanente Textverständnis verfälschen könnten, sodass auf einschlägige Sekundärliteratur bewusst verzichtet wird, um ein möglich authentisches und vorbehaltsloses Bild der analysierten Texte zu liefen ohne sich von Dritten in eine gewisse Richtung beeinflussen zu lassen. Dies soll damit auch tendenziell die Möglichkeit eröffnen, neue Lesarten jenseits der klassischen Interpretationen zu finden.

Freundschaftsbegriff und Formen der Freundschaft nach Aristoteles

Nach Aristoteles ist jede Form der Freundschaft reziprok (1555b). Das heißt, dass damit überhaupt nur von Freundschaft die Rede sein kann, wenn es sich um ein Verhältnis handelt, was von der als Freund bezeichneten Person erwidert wird, sodass einseitige Freundschaften unmöglich sind. Neben der Reziprozität ist jede Freundschaft auf einem Wohlwollen (eunoia) des Freundes gegenüber basierend (1555b). Einem Freund wünscht man niemals etwas Schlechtes und würde niemals versuchen ihm Schaden zuzufügen. Jedes Verhältnis zu einer anderen Person, welches weder auf Wohlwollen, noch auf Reziprozität beruht kann schlichtweg nicht als Freundschaft bezeichnet werden. Desweiteren identifiziert Aristoteles drei Gründe, warum man dieses reziproke Wohlwollen einer anderen Person gegenüber eingeht. Das einfachste Motiv ist die Nützlichkeit. Dabei stellt Aristoteles fest, dass man bei einer Nutzenfreundschaft den Freund nicht als solchen liebt und schätzt, sondern aufgrund eines Guts, dass man gegenseitig bekommt (1556a). Alltagsbeispiele für eine solche Nutzenfreundschaft nach Aristoteles gibt es viele. So kann man sich beim Chef gutstellen, in der Hoffnung auf eine Beförderung. Der Chef wird umworben, fühlt sich also gut und in seiner Position bestätigt, der Angestellte sieht derweil seinen Vorteil darin karrieremäßig voranzukommen. Dabei steht nicht wirklich der Charakter des Chefs im Vordergrund und der Angestellte mag seinen Chef vielleicht sogar hassen, aber nur durch das Sich-Gut-Stellen zu ihm kann er seinen Nutzen erreichen. Ein Angestelltenverhältnis mag vielleicht nicht das ideale Beispiel für eine Nutzenfreundschaft sein, da es sich um ein formales Vertragsverhältnis handelt (dessen Auflösung einige Hürden umfassen kann), aber die Funktionsweise des Gutsaustausches wird an meinem gewählten Beispiel doch sehr deutlich. Eindringlichere Beispiele wären vielleicht Freundschaften zwischen Studenten, die man nur aus reinem Nutzen zur gemeinsamen Klausurvorbereitung eingeht oder Freundschaften zu sozial angesehenen Personen, z.B. Prominenten oder Politikern, die zur Eigenaufwertung dienen. So ist es auch wenig verwunderlich, dass Aristoteles die Nutzenfreundschaft als schwächste Form der Freundschaft ansieht, die leicht eingegangen werden kann und ebenso leicht wieder gelöst wird und daher nicht von fester Dauer ist (1156a). Erfolgt also keine Beförderung, ist die Klausur vorüber, oder der Prominente auf einmal nicht mehr beliebt, so fällt das angestrebte Gut weg bzw. ist bei der Klausur erreicht, sodass der Nutzen nicht mehr weiter besteht. Die Nutzenfreundschaft ist also sehr oberflächlich und rein auf einen Grund bzw. ein Gut bezogen dessen Wegfall auch die Freundschaft obsolet macht, da die beiden Freunde nichts mehr verbindet.

Als zweiter Grund, eine Freundschaft einzugehen, nennt Aristoteles die Lust (1156a). Eine Lustfreundschaft unterscheidet sich von der Nutzenfreundschaft primär darin, dass nicht irgendein nützliches Gut im Vordergrund steht, sondern ein ganz bestimmtes Gut gefördert werden soll, nämlich „das Angenehme“. Aristoteles stellt daher heraus, dass bei einer Lustfreundschaft nicht die Qualitäten des Freundes ausschlaggebend sind, sondern das Gefühl, dass der Andere einem selbst gibt und welches besonders angenehm ist. Man könnte sagen, dass die Lustfreundschaft eine erweiterte Form der Nutzenfreundschaft ist, bei der es um ein spezielles Gut, nämlich die Lust, die man von einer ganz speziellen Person erwirbt, geht. Denn sowohl in der Nutzenfreundschaft als auch der Lustfreundschaft wird der Geliebte nicht der Person selbst wegen geliebt (also wegen „dem, wer er ist“), sondern aufgrund eines positiven Guts, was man erlangt. Eine Lustfreundschaft lässt sich ebenfalls sehr leicht auflösen, nämlich dann, wenn der Freund einem nicht mehr angenehm vorkommt (1156 b). Vor allem in der erotischen Freundschaft kann man sehr schnell ein angenehmes Gefühl entwickeln, welches aber auch sehr schnell wieder verschwinden kann, was dann ein Grund ist, die Freundschaft aufzulösen. Die Lustfreundschaft ist nicht auf die erotische Lust beschränkt, sondern kann auch andere Formen des Angenehmen annehmen, z.B. eine gemeinsame Freizeitaktivität, auf die man – umgangssprachlich formuliert – besonders viel Lust hat.

Der dritte Grund eine Freundschaft einzugehen, besteht darin, dass der geliebte Freund gut ist. Hier stehen der Freund und seine Qualitäten im Vordergrund, weswegen Aristoteles von einer vollkommenen Freundschaft spricht (1156 b). Da man den Freund um seinetwillen liebt, und um das, was er ist, ist diese Freundschaft besonders tugendhaft und gefestigt, sodass sie über lange Zeit überdauert. Sie wird von Aristoteles daher als Tugendfreundschaft bezeichnet, wobei Tugend (arete) für die alten Griechen (vor allem Platon und Arsitoteles), jeweils die Mitte zweier Extreme bezeichnet und somit ein Mittelmaß darstellt. Jedoch ist diese Art der Freundschaft äußerst selten. Dementsprechend möchte man für den Anderen auch stets das Gute und setzt sich dafür ein, was gut für ihn ist, ungeachtet von den Eigeninteressen, welche ich besitze.

Während junge Menschen oft Lustfreundschaften eingehen (1157a), gehen ältere Menschen eher Nutzenfreundschaften ein (1156a). Tugendfreundschaften dagegen sind unabhängig vom Alter, da es sich um ein Zeichen des Charakters handelt. Zusätzlich wachsen Tugendfreundschaften erst mit der Zeit, da sie ein besonderes Vertrauen bzw. eine Vertrautheit voraussetzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Aristoteles drei Formen der Freundschaft vertritt, wobei es zwei unvollkommene Arten gibt (Nutzen- und Lustfreundschaft) und eine vollkommene Art (Tugendfreundschaft). Letztere identifiziert Aristoteles als wahre Freundschaft. Die Tugendfreundschaft ist sehr selten und kommt nur unter Gleichen vor und zwar unter gleichen Bedingungen. Unvollkommene Freundschaften dagegen können auch unter ungleichen Bedingungen existieren (vgl. das Angestelltenverhältnis oder die Freundschaft zu einem Politiker).

Der Wert der Liebe und der Freundschaftsbegriff nach Hurka

Hurka zeigt in Kapitel sieben ein enges Verhältnis zwischen Liebe und Freundschaft auf. Dabei stellt er heraus, dass Liebe ein angenehmes Gefühl ist und verschiedene Formen der Liebe anzunehmen sind (S. 143). Erotische Liebe umfasst vor allem das Gut der Lust, während Liebe im allgemeinen Sinne auch Wissen und Erfolg voraussetzt (ebda.). Mit Wissen meint Hurka vor allem, dass man eine Person, der man jedwede Form der Liebe zeigt, charakterlich verstehen können muss, wobei man die Person, die man am Meisten liebt, auch am Besten verstehen können sollte, da man einen gemeinsamen Weg teilt und Alltagssituationen zusammen meistern können muss. Ohne diese Fähigkeit ist eine Liebe jenseits der reinen Erotik nicht möglich. Mit Erfolg bezeichnet Hurka, das Gut, gemeinsame Projekte durchzustehen und den Erfolg des jeweils Anderen zu gönnen. Neben dem gemeinsamen Erfolg, sollte der Partner einem aber auch den einzelnen Erfolg gönnen, also eine Mitfreude entwickeln, wenn der jeweils Andere etwas erreicht hat (z.B. seinen Doktorgrad). Ein gemeinsames Projekt und damit ein gemeinsamer Erfolg besteht zum Beispiel im Aufziehen von Kindern oder das gemeinsame Einrichten einer Wohnung (S. 144). Am wichtigsten erachtet Hurka jedoch die Tugend, denn „Most important, love is where you’re most virtuous“ (ebda.). Als Schlüsseltugend bezeichnet er das Wohlwollen insofern, dass man Anderen das Gute wünscht („wanting other people’s good“). Dabei sollte man die oben genannten Güter jeweils teilen können. Lust, Erfolg und Wissen sind also keine auf einen selbst beschränkte Güter, sondern es ist am tugendhaftesten, wenn man diese Güter gemeinsam kultiviert, also gemeinsam Lust empfindet, gemeinsam Erfolg sowie gemeinsames Wissen über den Anderen hat. Hurka schreibt in diesem Zusammenhang: „Their pain pains us more, and their successes give us more joy“ (ebda.).

Im engen Sinne spricht Hurka in seinem Text nur von Liebe, ohne konkret zwischen freundschaftlicher Liebe und der Liebe in einer Beziehung zu unterscheiden, obgleich seine Beispiele eher auf die partnerschaftliche Liebe Bezug nehmen. Dennoch lassen sich alle Güter der partnerschaftlichen Liebe in abgeschwächter Form auf die freundschaftliche Liebe übertragen, denn man muss wissen, was einem Freund Freude bereitet, um gemeinsame Lust teilen zu können und Wissen über den Freund an sich verfügen1. Man kennt seine Vergangenheit und weiß was ihn aufheitert und traurig macht. Während der gemeinsamen Zeit, die man verbringt, fährt man zusammen Erfolge ein, zum Beispiel beim gemeinsamen Fußballspiel oder in einem gemeinsamen Erfinderprojekt. Zudem muss man auch dem Freund Wohlwollen gegenüber zeigen, sodass besondere Pflichten innerhalb einer Freundschaft entstehen.

Hurka zeigt gleichwohl auf, dass es zu Konflikten zwischen den genannten Gütern kommen kann. Zum einen kann es zu Konflikten zwischen dem Partner und Freunden kommen, wobei man gegenüber dem Partner stärkere Verpflichtungen hat. Man ist noch stärker an das Wohlwollen gebunden und darf daher z.B. nicht lügen oder Versprechen brechen, da dies das Vertrauen und damit auch das Wohlwollen in Frage stellen kann (vgl. S. 145). Während es falsch ist, untugendhaft gegenüber einem Fremden zu handeln, so ist es erst Recht nicht akzeptabel untugendhaft gegenüber seinem Partner zu handeln. Denn bei einem untugendhaften Verhalten dem Partner gegenüber, ist es nicht nur die Handlung an sich die falsch ist, sondern es kommt auch noch eine persönliche Note hinzu, da der Partner Loyalität von einem verlangen kann und darauf vertrauen können muss, tugendhaft behandelt zu werden. Der Bruch des tugendhaften Verhaltens zeugt also auch von einer Respektlosigkeit dem Partner gegenüber. Hurka zeigt dies, indem ein Fremder vielleicht fragen mag „How could you do that?“, aber ein Geliebter gleichsam fragt „How could you do that to me?“ (S. 145). Die Verflechtung zwischen Respekt der geliebten Persönlichkeit und der Wertung der Tat an sich wird in der Betonung „to me“ also besonders deutlich, da man es als Geliebter ganz besonders erwartet, dass die Pflichten dem Partner gegenüber eingehalten werden. Trotzdem kann die Tugend in Konflikt mit anderen wichtigen Gütern kommen. So mag man mit einer Person gemeinsam zusammenleben und den Alltag erfolgreich zusammen meistern, kommt aber in Konflikt, wenn der geliebten Person ein Stellenangebot in einer entfernten Stadt gemacht wird, und man diese dann selten sieht. Auf der einen Seite zeigt man Wohlwollen und gönnt der geliebten Person den Karrieresprung, auf der anderen Seite sind das gemeinsame Lustempfinden und der gemeinsame Erfolg dem entgegengesetzte Güter, die nicht minder wichtiger sind (S. 146). Hurka selbst gibt keine direkte Antwort, welches Gut nun vorzuziehen sei, sondern weist lediglich darauf hin, dass man zwischen beiden Gütern hin- und hergerissen ist („you can be torn between them“). Ebenso gibt man einer geliebten Person einen Vertrauensvorschuss, wenn andere Menschen schlecht über die geliebte Person sprechen. Dieser Vertrauensvorschuss gehört dem Gut der Tugend an. Gleichzeitig möchte man natürlich wissen, was an den Gerüchten dran ist und strebt nach Wissen über den Partner. Das Streben nach Wissen kann jedoch den Vertrauensvorschuss in Frage stellen, da der Drang nach Sicherheit gleichsam die eigene Unsicherheit dem Partner gegenüber offenbart und die Tatsache bloßstellt, dass man nicht wirklich allein auf die Aussage des Partners vertraut. Ein Vertrauensvorschuss kann sich auch in Loyalität zeigen, wie Hurka einleuchtend demonstriert, als sich die Schwester von Ben Johnson 1988, der gerade ein positives Dopingergebnis erhalten hat, schützend hinter ihn stellt, und gar leugnet, dass Johnson gedopt haben könnte (S. 146 f.). Johnsons Schwester stellt sich nicht hinter ihren Bruder, weil sie es nicht besser wissen könnte, sondern weil die Loyalität zu ihrem Bruder einen Vertrauensvorschuss darstellt, und dies besonders tugendhaft ist. Andernfalls, falls sie die Ergebnisse des Dopingtests eindeutig beleuchtet und seine Ehrlichkeit in Frage gestellt hätte, könnte man sich fragen, ob es geschwisterlich wäre, dem Bruder bei der erstbesten Gelegenheit den Rücken zu kehren, zu Gunsten der Wahrheitsfindung und dem eigenen Streben danach herauszufinden, ob man sich nicht vielleicht doch in den eigenen Bruder getäuscht hat.

Schwieriger wird dies, wenn zwei Tugenden aufeinanderprallen. So mag es tugendhaft sein, den Anderen zu dessen Wohl beschützen zu wollen, gleichsam ist es tugendhaft, Respekt vor der Freiheit des Anderen und dessen Deutungshoheit über sein Wohl zu haben (S. 147). Egal für welche Tugend man sich in dieser Situation entscheidet, man wendet sich gleichsam gegen die andere Tugend. Das ist vor allem deswegen problematisch, weil es hier keine höher gestellte Tugend gibt. Das Wohl des Anderen und sein Schutz sind gleichsam wichtig, wie der Respekt vor der individuellen Freiheit. So zeigt Hurka auf, dass ein guter Freund sich vielleicht in jemanden verliebt, der nicht gut für den Freund ist. Muss man nun den Freund vor dem Absturz beschützen, oder muss man die Wahl des Anderen akzeptieren? Hurka selbst mogelt sich aus der Situation heraus, indem er anführt, dass bereits Kant die zwei entgegengesetzten Richtungen der Liebe erkannt hat, aber auf eine eindeutige Antwort, möchte er sich nicht festlegen.

Es lässt sich aufgrund der Vorannahmen mit Sicherheit sagen, dass in einem Liebe-Freundschaft Konflikt die Verpflichtung dem Partner gegenüber höher wiegt als gegenüber dem Freund, da Hurka, wie oben gezeigt wurde, eine höhere Tugendverantwortung für feste Beziehungen annimmt. Dagegen sind Konflikte auf Freund-Freund-Ebene gleichwertig. Gleiches gilt zwischen zwei entgegengesetzten Gütern innerhalb einer Beziehung. Hurka gibt selbst keinen direkten Freundschaftsbegriff, vor allem in Kontrast zur festen Partnerschaft und zeigt oftmals Beispiele aus Partnerschaften, Familie und Freundschaft bei der Beschreibung eines Guts, ohne diese direkt voneinander abzugrenzen, sodass sich darauf schließen lässt, dass alle Güter der Liebe, sowohl in einer Freundschaft, als auch in einer Partnerschaft, als auch im engen Familienkreis anzusiedeln sind. Das wiederum zeigt, dass die Güter der Liebe eine Grundvoraussetzung für Freundschaft, Partnerschaft und Familie darstellen und wohl lediglich in ihrer unmittelbaren Intensität unterschieden werden können, wobei Hurka auch dies nicht explizit in seinen Beispielen festmacht. Dennoch muss eine unterschiedliche Intensität angenommen werden, da ansonsten keinerlei Unterschied zwischen Freundschaft und Partnerschaft existieren würde, wenn man Hurka konsequent zu Ende denkt und der tugendhafte Vorrang der Partnerschaft nicht mehr gegeben sein würde. Das hätte dann aber zur Folge, dass der Partner nicht mehr darauf vertrauen könnte, dass die Güter ihm ganz besonders zur Verfügung stehen.

Aristoteles und Hurka im Vergleich

Während Hurka zwischen der erotischen Liebe und der nicht-erotischen Liebe unterscheidet und damit zwei Grundkategorien aufstellt, kennt Aristoteles drei Arten der Freundschaft (Nutzenfreundschaft, Lustfreundschaft, Tugendfreundschaft), wobei die Freundschaft aus erotischer Natur zur Lustfreundschaft gezählt wird. Für Hurka beinhaltet jede wahre Freundschaft die Tugendhaftigkeit, sodass die reine Nutzen- und reine Lustfreundschaft (Erotik ohne Liebe) keine Freundschaft im eigentlichen Sinne für Hurka darstellt. Gleichwohl ist die erotische Liebe für Hurka eine Form der Tugendfreundschaft, wenn diese die Charakteristika des Gutes der Liebe beinhaltet. Diese Charakteristika sind Wohlwollen gegenüber dem Anderen, Wissen um den Anderen, gemeinsamer Erfolg mit dem Anderen, und tugendhaftes Verhalten gegenüber dem Anderen. Für Aristoteles reicht es dagegen bereits aus, wenn Reziprozität und Wohlwollen vorhanden sind, wobei man dann von einer unvollkommenen Freundschaft spricht. Vollkommenheit bekommt die Freundschaft erst, wenn der Grund eine Freundschaft einzugehen in der charakterlichen Qualität des Anderen liegt. Dies ist für Hurka bereits vorausgesetzt, da er nur Freundschaften anerkennt, in denen man einen Menschen liebt aufgrund dessen, wer dieser Mensch ist. Aristoteles pflegt daher einen sehr weiten Freundschaftsbegriff anzunehmen, in dem der Grund der Freundschaft ausschlaggebend für die Intensität und Form ist, während Hurka die Freundschaft sehr eng definiert und das Gut der Liebe als vorhanden voraussetzt, um überhaupt von einer wahren Freundschaft zu sprechen. Beide Autoren kommen jedoch überein, dass die vollkommene Freundschaft mit der Zeit wächst und an Intensität zunimmt und daher schwerer aufzulösen ist. Da auch Aristoteles eingesteht, dass mit der Zeit innerhalb der Tugendfreundschaft eine gewisse Vertrautheit entsteht und da stets Wohlwollen vorhanden sein muss, wäre eine Freundschaft ausgeschlossen, wenn man nicht die gemeinsamen Erfolge und die gemeinsam verbrachte Zeit in Ehren hält, sodass indirekt auch Wissen um den Anderen und Erfolg notwendig sind, dagegen der Neid um den Erfolg des Anderen oder böse Absichten um das Wissen des Anderen zur Auflösung der Freundschaft führen könnten. Dennoch hat Aristoteles dies nicht explizit erkannt, sondern umfasst dies innerhalb des weiten Begriffs der Tugend. Gleichwohl hat Aristoteles aber vorausgesetzt, dass Freunde Freude am Zusammenleben haben, was mitunter auch die Kriterien Hurkas abdeckt. Hurka bezieht dabei auch moralische Konflikte der heutigen Zeit mit ein und zeigt, dass eine Freundschaft auch unverschuldet in Schwierigkeiten kommen kann, nämlich dann wenn zwei entgegengesetzte edle Tugenden aufeinanderprallen und man sich für eine Tugend entscheiden muss. Letztendlich kann man sowohl von Aristoteles als auch von Hurka lernen, dass ein echtes Freundschaftsverhältnis nicht auf Nutzen oder Lust basiert, sondern die Charakterliebe umfasst, wobei stets der Mensch für den, wer er ist im Vordergrund steht. Und selbst wenn man nicht immer einen Nutzen oder eine Lust durch ihn erfährt, so bleibt man trotzdem diesem Menschen treu des Anderen wegen, wobei eine solche Freundschaft langsam wächst und selten ist, aber robust und beständig bleibt.

Anmerkungen

1 Da das Kapitel „Love and Friendship“ heißt, macht es durchaus Sinn, Hurkas Ansatz neben der festen Partnerschaft auch auf Freundschaften zu untersuchen. Auf Seite 145 geht er zudem auch explizit von „long-term relationships“ zu „casual encounters“ und möchte aufzeigen, dass auch hier die Tugend eine Rolle spielt.

Literatur

Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt von Ursula Wolf, Reinbek: Rowohlt, 2006.

Hurka, Thomas: The Best Things In Life – A Guide to What Really Matters, New York/ Oxford: Oxford University Press, 2016.

Veröffentlicht am 4. Mai 2019

Politische und Philosophische Analysen

Подняться наверх