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„Drei normative Modelle der Demokratie“ nach Habermas

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Im neunten Kapitel von Jürgen Habermas‘ „Die Einbeziehung des Anderen“ werden drei normative Modelle der Demokratie vorgestellt. Zum einen handelt es sich um die zwei klassischen Modelle des Liberalismus und des Republikanismus, und zum anderen um die von Habermas entwickelte Diskurstheorie, welche seine Bedenken gegenüber beiden Einzelpositionen aufheben soll und wichtige Kernelemente verbindet.

Der Liberalismus sieht in seiner Grundlage vor allem das Individuum vorranging vor höheren Institutionen, wie z.B. dem Staat, wobei eine garantierte Freiheit vor Willkür oder einer absoluten Machtausdehnung schützen soll (Anti-Totalitarismus). Die liberale Auffassung des demokratischen Prozesses liegt laut Habermas darin, dass ein Staat im Interesse der Gesellschaft sein, gar „programmiert“ werden solle. Dabei ist der Staat ein Apparat der öffentlichen Verwaltung, die Gesellschaft wiederum ein marktwirtschaftlich strukturiertes System, mit der Privatperson als Geschäftstreibenden. Die Politik soll in diesem Zusammenhang den Staat in seiner Macht begrenzen, indem sie eine Bündelung aller Privatinteressen gegen den Staatsapparat als solchen, der sich kollektiven Zielen verpflichtet fühlt, durchzusetzen versucht (Habermas, 1999:277).

Dementgegen sieht der Republikanismus vorranging nicht die Einzelinteressen oder gar deren Aggregation, sondern ein integrativer Prozess, indem Repräsentanten gewählt werden, die eine Hoheitsgewalt über die Individuen besitzen und bürgerliche Pflichten einfordern können. Habermas sieht daher im Republikanismus die Politik nicht als vermittelndes Element zwischen Staat und Gesellschaft, wie es im Liberalismus der Fall ist, wo die Politik die gegensätzlichen Interessen der beiden Träger ausbalanciert. Republikanismus ist ein Prozess der Vergesellschaftung, wobei die Politik sittliche Lebenszusammenhänge reflektieren soll (ibid.). Damit ist sie ein Medium, zur Bildung von Solidargemeinschaften, in denen der Staatsbürger die Angewiesenheit auf das Staatssystem anerkennt. Es gibt somit eine klare Hoheitsgewalt, wobei die Märkte jedoch dezentralisiert reguliert werden sollen. Neben administrativer Macht und Eigeninteressen ist daher die Solidarität eine wichtige Quelle (Habermas, 1999: 278). Das heißt: bürgerliche Autonomie der Zivilgesellschaft auf der einen Seite, aber Integration in das staatsbürgerliche Wesen.

Habermas hebt dabei hervor, dass beide Denkströmungen einige unvereinbare Elemente besitzen. So ist der Staatsbürger im Liberalismus ein Träger subjektiver Rechte, der den Schutz des Staates genießt, gleichzeitig aber vor Interventionen in sein Privatinteresse geschützt ist. Die Privatinteressen sollen dabei so zur Geltung kommen, dass sie durch Stimmabgabe die Zusammensetzung in zentralen staatlichen Organen so beeinflussen können, dass die Interessen in den parlamentarischen Körperschaften und administrativen Organen aggregiert werden (Habermas, 1999: 279). Man spricht hier von negativer Freiheit. Nach republikanischem Verständnis dagegen soll nicht die Intervention in bestimmte Bereiche verhindert werden, sondern die Teilnahme und Partizipation am System garantiert werden (positive Freiheit). Nur durch die politische Beteiligung kann die Gesellschaft zu dem gemacht werden, was sie sein möchte (nämlich eine Gemeinschaft, in der alle frei und gleich sind). Das heißt, dass im Republikanismus, alle Bürger selbstbestimmt und autonom sind und durch ihre Selbstbestimmungspraxis werden öffentliche Institutionen geschaffen, die ihre Freiheit schützen (kommunikatives Modell). Der Staat soll durch Verständigung Ziele und Normen des gemeinsamen Interesses festlegen (vgl. Habermas, 1999: 280).

Ein ähnliches Problem ist der Begriff des Rechts selber. Für Liberalisten gilt es gegebenenfalls zu prüfen, welche Rechte einem Individuum zustehen, wobei sich alle Rechte in einem höheren Recht gründen, während Republikaner eine objektive Rechtsordnung, vertreten in der Gesetze das Resultat des politischen Willens, begründet in der Kommunikation mit der Gemeinschaft, bildet, wobei die Gemeinschaft dem politischen Körper das Recht zur Begründung von Rechten – die durch die reziproke Anerkennung eines jeden Staatsbürgers und seinen Rechten und Pflichten in gleichen Maßen (= symmetrische Anerkennung) begründet wird – gibt. Dabei sind die Fragen nach Staatsbürgertum und Recht lediglich Probleme eines eigentlich viel tiefergreifenden Problems, nämlich dem Verständnis des politischen Prozesses überhaupt und wie sich dessen Natur konstituiert. Nach liberaler Auffassung streben kollektive Akteure nach dem Machterhalt, während die Politik selbst Ausdruck eines Kampfes um Positionen ist. Wahlen dienen daher dazu, die Personen und Programme zu affirmieren, wobei der Erfolg dieser umso größer ist, je mehr Wählerstimmen sie bekommen. Umgekehrt zeigt sich auch deren Misserfolg. Die Beurteilung eines Wahlaktes ist gleich erfolgsorientierter Marktteilnehmer (vgl. Habermas, 1999: 282). Republikaner dagegen verwehren sich Politik und Ökonomie als strukturell-identische Prozesse zu betrachten. Demnach gehorcht die Politik einer ganz eigenen Struktur, nämlich die der verständigungsorientierten öffentlichen Kommunikation (Habermas, 1999: 282). Ausschlaggebend ist also nicht der Markt, sondern das Gespräch. Somit ist der stetige politische Meinungskampf und –austausch eine unerlässliche Grundlage. Dabei sind die Mächte selbst eingeschränkt, da die Gesetze auch für sie gelten und es keinen höheren Anspruch auf Missachtung dieser gibt. Denn die Legitimation erfolgt durch den demokratischen Prozess, der das Gesetz hervorgebracht hat (und zwar durch kommunikativen Austausch). Habermas sieht beide Demokratiemodelle in den Gruppen der Kommunitaristen und den Liberalen verwirklicht (s. Habermas, 1999: 283). Die Kommunitaristen sind republikanisch organisiert, wobei ihr Ziel eine Selbstorganisation durch die Bürger ist, die sich kommunikativ vereinigen. Jedoch ist die Gruppenbildung durchaus problematisch, da alle sich zusammenvereinigten Gesellschaften vorangesetzten Tugenden unterwerfen müssen, die das Gesellschaftsverständnis erst ermöglichen bzw. dauerhaft sichern. Ein besonderes Problem ist der Umgang mit Minoritäten sowie wertorientierten Konfliktlagen, die keine Aussicht auf Konsens haben und daher eines Ausgleichs bedürfen (vgl. Habermas, 1999: 284). Daher müssen sowohl eine Kompromissbereitschaft als auch moralische Grundsätze vorhanden sein. Vor allem die moralischen Grundsätze müssen höher wiegen als die konkrete Rechtsgemeinschaft, sodass sie eine universal-anerkannte Gültigkeit erlangen. Ausschlaggebend für eine deliberative Politik – also eine öffentlich-zugängliche Politik durch Teilhabe der Bürger an kommunikativen Prozessen – sind die Kommunikationsverfahren und –möglichkeiten. Nur durch eine aktive Integration im öffentlichen Diskurs ist also eine solche deliberative Politik möglich.

Habermas schlägt daher ein drittes Modell vor, welches vor allem auf die deliberative Komponente zielt. Dabei nimmt er stärkere normative Konnotationen an, als dies im liberalen Spektrum zu erwarten wäre, wo der Staat vor allem ein Störfaktor für das Individuum ist; aber schwächer als dies im Republikanismus zu erwarten wäre, wo die Gesellschaft sich zwar im Staat zentriert, der Staat sich jedoch mit der Zeit so verselbstständigt, dass er sich von der Gesellschaft trennt, und die Gesellschaft diesen Missstand wieder korrigieren muss. Anders als im Republikanismus, wo die Politik als kollektiver Akteur, als eine Art „Ganzes“ gesehen wird, sieht Habermas die Akteure als abhängige Variable. Somit steht auch nicht mehr die kollektive Handlungsfähigkeit im Vordergrund, sondern die Institutionalisierung. Dieses Modell, welches Habermas als Diskurstheorie bezeichnet, ist sehr stark von kommunikativem Handeln geprägt, wobei Habermas vor allem das Verständnis des kommunikativen Handelns durchleuchtet. Es gibt kein im Staat zentriertes Ganzes, sondern jedes Individuum vollzieht für sich seinen Wahlakt, sodass es keine bewusstvollzogenen kollektiven Entscheidungen geben kann. Alle Entscheidungen sollen durch Kommunikation und Beratung in politischen Gremien sowie durch das Kommunikationsnetz öffentlicher Politiken vollzogen werden (vgl. Habermas, 1999: 288). Für Habermas ist besonders wichtig, dass alle politischen Ordnungen gewaltfrei sind und ein Konsens rein argumentativ erzielt werden soll, sodass jedwede Entscheidung letztendlich „in einem argumentativ erzielten Konsens der Beteiligten begründet werden könnte“ (Habermas, 1973: 144). Jenseits des besseren Arguments gibt es keinen Zwang, sodass ein Konsens nur das ermöglicht, „was alle wollen“ (Habermas, 1973: 148). Das bedeutet, dass letztendlich keine Einzelinteressen den entscheidenden Ausschlag geben können, sondern alle Interessen verallgemeinerbar sein müssen (verallgemeinerbare Interessen). Die Konsensfindung soll in Arenen stattfinden, wo die Meinungsbildung aggregiert und Positionen durch Kommunikation ausgetauscht werden. Letztendlich soll dies zu institutionalisierten Wahlentscheidungen führen. Anders als im republikanischen Modell, wird die Solidarität nicht mehr allein aus kommunikativem Handeln geschöpft, sondern durch rechtsstaatlich gesicherte Institutionen (s. Habermas, 1999: 289). Zudem wird ähnlich wie im Liberalismus, die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft in der Diskurstheorie respektiert. Dabei kann in der Diskurstheorie die Öffentlichkeit nicht selber herrschen, sondern lediglich Impulse geben, während das politische System der alleinige Akteur ist. Eine deliberative Politik ist dabei stets auf die „Ressourcen der Lebenswelt“, kurzum der Meinungs- und Willensfreiheit sowie der politischen Sozialisation angewiesen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Kommunikationsströme in stetigem Fluss befinden und sich ständig regenerieren, sodass der Diskurs immer aufrechterhalten wird (vgl. Habermas, 1999: 291 f.). Damit wird verhindert, dass politische Institutionen sich verselbstständigen und in einem geschlossenen System an der Öffentlichkeit vorbeiregieren.

Quellen:

Habermas, Jürgen: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1973.

Habermas, Jürgen: Die Einbeziehung des Anderen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999.

Veröffentlicht am 26. April 2018

Politische und Philosophische Analysen

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