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Karl Marx – ein Visionär, der heute aktueller ist wie wohl nie zuvor

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Mein Beitrag zum Karl-Marx-Jahr 2018 für meine Stadt Trier

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Diesen Anspruch hatte nicht nur Marx, sondern viele Denker seiner Zeit. Proudhon, Bakunin, Mirbeau, Kropotkin … Namen, die jenseits des militanten Anarchismus heute fast schier unbekannt sind. Die fortschreitende Industrialisierung ersetzte immer mehr den Menschen, er wurde austauschbar. Für Arbeiten, wofür man vorher vielleicht zehn Menschen brauchte, reichte nun eine Person aus. Die Inhaber der Produktionsmittel – wie Marx es so schön formulierte –, also die Klasse der Bourgeoisie, konnte nun beliebig Menschen einstellen und entlassen, wenn sie nicht bis an den Rande des Todes arbeiteten. Doch es formierte sich auch Widerstand. Die Weberaufstände, das Hambacher Fest, ja die große Welle der 1848er Revolution, um dessen nachhaltige Prägung und geschichtliche Rolle bis heute gestritten wird. Ausbeutung, dass zeigt Marx, ist kein neues Phänomen. Schon die Römer hatten Sklaven, die man wie Werkzeuge benutzen konnte. Im Mittelalter war die Leibeigenschaft des Feudalismus selbstverständlich. Umso verwunderlicher, dass eine Philosophie des Widerstandes lange fehlte. Zwar gab es im Zuge der Reformation und der ersten Weltumsegelung, und damit auch mit der sich anbahnenden Globalisierung, immer wieder mahnende Stimmen. Viele davon sind aber heute verstummt. Die Französische Revolution weckte Hoffnungen. Die Freiheit der Menschen und das Ende der Unterdrückung wurden herbeigesehnt, die Revolution kippte dann aber in einen grausamen Terror um und endete in Napoleons Restauration. Freilich, Marx hatte erkannt, es kommt nicht darauf an, die Geschichte neu zu deuten, es kommt darauf an, eine Änderung herbeizuführen. Anders als viele Zeitgenossen war Marx radikal in seinem Denken und Handeln und eckte damit fast überall an. Sein ursprünglicher Freund, der russische Anarchist Michail Bakunin, der die Meinung vertrat, dass er selbst erst frei sei, wenn der Rest der Menschheit befreit sein würde, war später einer seiner erbitterten Feinde.

Der radikale Marx fand Anklang. Die Kolonialisierung und Entmenschlichung Afrikas, ein bitterer Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte, lockte später viele Marxisten an die Tagesordnung. Robert Mugabe, der noch bis letztes Jahr Präsident von Zimbabwe war, berief sich ebenso auf Marx, wie der einstige somalische Machthaber Siad Barre. Grausame Menschenfeinde wie Stalin rupften Marx‘ Theorie auseinander bis nichts mehr vom eigentlichen Marx übrig blieb, unter dem Vorwand die Welt zu verbessern. Aber auch große angesehene Ikonen wie Mao Zedong, Che Guevara, Fidel Castro und Ho Chi Minh, sie alle bekannten sich zu Marx. Marx ist und bleibt der bekannteste und beliebteste Deutsche, ganz gleich wie man zu ihm steht. Wieso? Weil in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung die Bedenken von Marx aktueller sind wie je zuvor. Werden bald Roboter unsere Arbeit ersetzen und wir verelenden auf den Straßen? Werden ein paar wenige immer reicher, während andere sich an Tafeln prügeln müssen, wer etwas bekommt und wer nicht? Werden wir immer mehr grausame Bilder im Fernsehen sehen, weil die halbe Welt sich zerbombt? All das sind Fragen, die die Menschen heute beschäftigen. Ganz zu schweigen von Kirche und Religion – ein Steckenpferd von Marx, dem radikalen Atheisten.

Trotz der vielen kommunistischen Systeme, die sich auf Marx berufen haben, verändert hat sich bisher wenig. Die Probleme sind geblieben, weltweit. Das liegt aber nicht an Karl Marx, sondern oftmals an den sogenannten Marxisten. Schon Karl Marx hat sich seiner Zeit von jenen distanziert, die in seinem Namen operiert haben. Doch Marx ist kein Gescheiterter, kein Despotenliebhaber. Marx hat erkannt, dass es kein „Weiter so!“ geben kann und dass ein radikaler Systemwandel von Nöten ist. Die halbherzigen Reformen der Bildungs-, Gesundheits- und Rentenpolitik von heute sprechen Bände. Dabei bedarf es keiner zweiten DDR, es reicht schon aus, wenn wir uns bewusst werden, dass wir uns der Zeit stellen müssen, so wie Marx es einst tat. Dafür bezahlte er mit gnadenloser Zensur. Er wurde Zeit seines Lebens von Staaten verfolgt und musste mehrfach umziehen: Paris, Brüssel, London. Dass ihm zu seinem 200. Geburtstag dieses Jahr endlich ein Denkmal gesetzt wurde, war schon längst überfällig: als Symbol dafür, dass sich jemand getraut hat, sich der mächtigen Kirche zu widersetzen, ebenso dem Despotismus der preußischen Oberschicht und sein Leben einer besseren Menschheit geopfert hat. Wenn Marx‘ Ideen nachhaltig die Welt zum Guten verändern sollen, so sollte er auf den Plan jeder Schule gesetzt werden. Jeder Schüler sollte ein Werk von Marx gelesen haben – unzensiert und ungekürzt.

Denn der Klassenkampf geht weiter, wenn auch auf einer anderen Ebene, nämlich der Digitalisierung. Spätestens seitdem Fakten schlagartig „alternativ“ sein können (falls sie in „postfaktischen Zeiten“ überhaupt noch was wert sind), Menschen in Bitcoins – eine Währung, die kaum ein Laie versteht – investieren und Datenskandale die Medien beherrschen, ist klar, dass wir uns in einem Umbruch befinden, der vielen Menschen Angst macht. Die Auseinandersetzung mit Marx könnte Abhilfe schaffen, neue Perspektiven zu sehen. Und Trier, die älteste Stadt Deutschlands, eine einstige Metropole der Römer, ein Mekka für Theologen, sollte auf ihren großen Sohn Karl Marx stolz sein, und ihn in Ehren halten. Er war ein Mann der Taten, ein leidenschaftlicher und hitziger Gesprächspartner seiner Zeit: ein Influencer, wie man heute sagen würde, der die Welt nachhaltig geprägt und die europäischen Eliten in Angst und Schrecken versetzt hat. Denn es kommt nicht darauf an, die Welt neu zu deuten, es kommt darauf an, sie zu verändern.

Veröffentlicht am 30. August 2018

Politische und Philosophische Analysen

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