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Prinzipien der Homosexualität und Transgender im Judentum

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In vermutlich allen großen „Buchreligionen“ ist das Thema Homosexualität und Transgenderismus lange ein Tabu gewesen. Auch in konservativen-traditionalistischen Kreisen Europas ist Homosexualität noch ein Thema, welches starke Ressentiments hervorruft. Und so gibt es auch im Judentum eine große Auseinandersetzung, inwiefern sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Identität mit Religion zusammenläuft. Am einfachsten ist natürlich immer das Verbot. Gegner gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ziehen gerne Levitikus 18:21-23 heran, wo herausgestellt wird, dass ein Mann mit einem Mann nicht wie mit einer Frau verkehren solle, da dies to‘evah (eine Scheußlichkeit) sei. Rabbi Norman Lang kommt daher zu dem Ergebnis, dass man Gebote und Verbote nicht allein aus Mitgefühl und Sympahie für die „Opfer“ fallen lassen und schließlich aufheben dürfe.1 Dem entgegen steht die Position von Rabbi Steve Greenberg, wonach der Vers in Levitikus lediglich die sexuelle Ausbeutung unter Männern verbietet. Demnach darf ein Mann den sexuellen Akt niemals zur Stärkung seines Egos oder zur Selbsterhöhung benutzen oder der Erniedrigung des Partners dienen.2 Die jüdische Konservative Bewegung zieht den Leitsatz dor dor v’doroshav – jeder Generation wie es der Zeit gebührt – heran3. So gibt es nicht die eine fundamentale Wahrheit, die immer gültig ist und was vielleicht früher verboten war, kann heute erlaubt sein. Jede Generation legt die Heilige Schrift anders aus und demnach müssen die Worte an die heutige Zeit angepasst werden. Danach sei es falsch zu behaupten, man könne für die Gemeindemitglieder nichts tun und sie müssten sich der „Tradition“ unterordnen, da es den Sinn und Zweck der religiösen Botschaft verfehlen würde.4 Demnach (also nach Auffassung der CJLS) solle der Analsex nach biblischer Auslegung verboten bleiben, aber bekennende homosexuelle Gemeindemitglieder sollen in allen Synagogen willkommen sein und als vollwertige Gemeindemitglieder akzeptiert und respektiert werden. Auch als Rabbiner, Lehrer und Erzieher sollen homosexuelle Juden zugelassen werden, jegliche Diskriminierung ihnen gegenüber ist verboten.5 Michele Brand Medwin geht sogar so weit und sieht im Verbot des Analverkehres keinen Sinn mehr. Dieses Verbot geht darauf zurück, dass ursprünglich in nicht-jüdischen Gemeinden der Kanaaniter der anale Verkehr üblich war und die jüdischen Gemeinden dies daraufhin verbaten, um sich abzugrenzen. Daher habe das Verbot keinen göttlichen Hintergrund und somit keinen Bestand mehr.6

Dass es fatal wäre, die Frage der legitimen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auf einen Vers in Levitikus zu beziehen zeigt sich deutlich, wenn man die Frage der Legalität des Transgenderismus innerhalb des religiösen Systems betrachtet. In Genesis 2:18-24, erschafft Gott Eva aus der „Rippe“ Adams. Dieses Wort „Rippe“ so Rabbi Shmuel bar Nachman (nach Bereshit Rabbah 8:1) sei eine Fehlübersetzung und bedeute „Seite“. Demnach war ursprünglich der Mensch Mann und Frau in einem mit zwei Köpfen. Da Gott nun Adam einen Helfer geben wollte, teilte er den Menschen in zwei Hälften.7 Diese Interpretation scheint sehr platonisch und erinnert stark an den Kugelmenschenmythos aus dem Symposion.8 Und tatsächlich steht dies nicht in Widerspruch zu Genesis 1:27, indem Gott den Menschen aus dem Staub erschafft: und zwar männlich und weiblich. Es wird nicht explizit erwähnt, dass er einen Mann und eine Frau einzeln hervorbringt. Der erste Mensch kann genauso gut androgyn (also Mann und Frau in einem) gewesen sein. Ausgehend von diesem Gedanken zieht Rabbi Yosef Kaaro in Betracht, dass eine Seele die im vorigen Leben im Manne war und in einem weiblichen Körper reinkarniert dadurch keine Kinder bekommen könne, da es sich um einen Mann im Körper einer Frau handele.9 Anders jedoch als bei Platon oder im Buddhismus ist dies nicht so zu verstehen, dass ein misslungenes Leben als Mann zur Widergeburt als Frau führt. Kaaro hebt hervor, dass auch eine weibliche Seele in einen Mann reinkarnieren kann. Wenn die weibliche Seele in einem Mann auf die männliche Seele in einer Frau trifft, so kann die Frau mit männlicher Seele nun sogar gebären.10 Dies lässt sich auf den Gedanken der Verschmelzung der Seelen beim Verkehr zurückführen, ähnlich wie man es im Daoismus vorfindet, wo im sexuellen Yoga die ideale Verschmelzung beider Energien geübt wird. Wenn ein Mann und eine Frau mit männlicher Seele zusammen sind, so kommt dies einer Beziehung zwischen Mann und Mann gleich (s. Shilchon Arud Maggid Meisharim 8:3).11 Nach Kapitel 9 des Shar Hagilgulim komme es manchmal vor, dass ein Mann in den Körper einer Frau reinkarniere aufgrund einer Sünde. Explizit nennt diese Stelle das Beispiel der Homosexualität als eine solche. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Interpretation aus dem 16. Jahrhundert und greift auf, wie eine Frau mit männlicher Seele es schafft Kinder auf die Welt zu bringen (nämlich durch Verschmelzung mit einer weiblichen Seele). Die Anmerkung, dass der körperliche Umstand auf eine Sünde zurückzuführen sei, ist wohl eher dem Zeitalter der Textentstehung geschuldet. Die Maggid Meisharim ist hier daher dem Shar Hagilgulim vorzuziehen. Interessanterweise gibt es auch bei Kaaro den Ansatz, dass ein Mann auf Grund unwürdigen Verhaltens in einen weiblichen Körper reinkarnieren kann.12 Der Grund hierin liegt aber nicht in einer Bestrafung. Der Mann war zuvor ein ehrgeiziger Schüler heiliger Schriften, der stets geizig war und auch seine Weisheit nicht weitergeben wollte. Im Körper einer Frau lernte er schließlich Mitgefühl. Die Reinkarnation sollte in diesem Fall also dazu dienen, die männliche Kraft hinter sich zu lassen, um die weiblichen Qualitäten schätzen zu lernen. Das gemeinsame Zusammenspiel männlicher und weiblicher Qualitäten erinnert sehr stark an das daoistische Yin und Yang. Es scheinen uns sogar beide Geschlechter angeboren zu sein: Joy Ladin hebt hervor, dass Geschlecht bedeute, das Verhalten zu fördern, das dem zugeteilten Geschlecht typisch sei und das zu vermeiden, was dem Geschlecht als untypisch zugeordnet wird.13

Schmitz machte bereits mehrmals deutlich, dass das Geschlecht lediglich eine Sache der Erziehung ist.14 Demnach gibt es von Natur aus kein Geschlecht und alle Menschen sind gleich. Männer und Frauen werden zur selben Zeit erwachsen, reifen heran und entwickeln sich parallel. Dies gilt auch für ihre Fähigkeiten, sodass es keine klassischen männlichen oder weiblichen Fähigkeiten gibt. Besonders gut zeigen lässt sich dies bei CAIS-Patienten. Die genetische Blaupause ist nämlich der weibliche Körper. Kommen gewisse Hormone hervor, entwickelt sich etwas männliches, fehlt das Hormon (bzw. wird es geblockt) dann bleibt die weibliche Vorlage bestehen. Bei Menschen, die an CAIS leiden, handelt es sich um genetische Männer, die jedoch als Mädchen zur Welt kommen, da die entsprechenden männlichen Hormone nicht ausgeschüttet wurden. Dabei wurde festgestellt:

Trotz der geringen Anzahl an Fällen lässt sich aufgrund der vorliegenden Untersuchungen schlussfolgern, dass Patienten mit einer kompletten Androgeninsensitivität mit genetischen Frauen vergleichbar sind. Alle Aspekte ihres Verhaltens die untersucht wurden, einschließlich Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, Interessen und kognitive Fähigkeiten, sind nach diesen Befunden typisch weiblich.15

Es scheint also eine natürliche Fluidität der Geschlechter zu geben. Selbst in den am stärksten von Geschlechterrollen bestimmten sozialen Arenen – so Ladin in Torah in Transition – ist das Geschlecht nicht absolut.16 Die absolute Wahrheit des binären Geschlechts lässt sich damit nicht aufrechterhalten. Das Geschlecht bei einem einzelnen Individuum ist daher stets kreativ und rekreativ. Kalonymus ben Kalonymus zeigt in seinem Even Bohan im Hochmittelalter (vermutlich 13. Jahrhundert) bereits sehr schön die Transgender-Identität auf. Eine Familie bekommt einen Jungen und dieser Junge sagt, dass sein „Junge-Sein“ verdammt sei, da er doch als Mädchen vorgesehen war und nun das Mädchen in ihm sei.17 Er zeigt dabei auf, wie schön das Leben als Frau doch sein könne und was er nun alles wegen seinem männlichen Äußeren verpasse.

Was heißt das für uns heute? Zum einen ist der Mensch als Abbild Gottes – b’tzelem elohim – entstanden.18 Dieses höchste Prinzip kennt keine geschlechtlichen Grenzen. Als Abbild Gottes ist kein Mensch eine „Schande“ oder weniger Wert, weil er eine gewisse Identität pflegt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Gott Homosexuelle weniger lieb hat, ganz im Gegenteil, auch sie sind als Bild Gottes erschaffen worden, nämlich so wie sie sind. Was bedeutet dies für den Transgenderismus? Gott selbst ist sowohl männlich als auch weiblich. Gott besitzt yesod als männliches Attribut und malchut als weibliches. Es könnte keine Männer und Frauen geben, wenn Gott nur Mann oder nur Frau wäre. Allein aus diesem Grund stellen sich bestimmte Fragen, zum einen: a) Wo kommen wir her?, b) Wo kommen unsere Werte her?, c) Mit welchen Werten können wir uns identifizieren?, d) Wenn wir ein Abbild Gottes sind, inwiefern sind wir es?19. Wenn wir ein Abbild Gottes sind, so müssen doch alle menschlichen Qualitäten, die durch Gott gespiegelt werden auch in uns sein. Das bedeutet zwar, dass es ein äußeres Geschlechtsmerkmal zur Reproduktion gibt, es heißt jedoch nicht, dass dieses äußere Merkmal unser Inneres bestimmt. Es bedeutet aber gleichzeitig auch nicht, dass man im falschen Körper gefangen ist. Es vermittelt das Bild, als gäbe es die binären Geschlechter und das Innere und Äußere passen nicht zusammen. Manche Menschen, die innerlich weiblich, aber äußerlich primär männlich sind, möchten auch die entsprechende äußerliche körperliche Einheit besitzen und dann fühlt sich dies wie eine Gefangenschaft an, da man eben äußerlich nicht entsprechend seinen Wünschen aussieht. Dies ist aber mitunter auf die gesellschaftliche Katalogisierung in Mann und Frau zurückzuführen. Wenn man jenseits der Geschlechter denkt, dann gibt es keine Homosexualität mehr, weil es dann nicht mehr „das gleiche Geschlecht“ gibt. Woraus lässt sich das Denken über die Geschlechter hinaus begründen? Aus der Tatsache, dass der Mensch ein Abbild Gottes ist. Als solches ist jeder männlich und weiblich zugleich und übt eine anerzogene Rolle durch Vermeidung des jeweils „anderen“. Aber die Tora sagt uns doch: Gott erschuf Mann und Frau. Wie passt das zusammen? Es passt zusammen, da Gott anfangs nicht zweifelsfrei Mann und Frau separat erschuf, sondern beide eine Einheit bildeten. Nach der Trennung der Einheit hatte der Mann eine Frau – aus sich selbst abstammend – an seiner Seite. Heute irrt der Mensch umher, um seine verlorengegangene andere Hälfte zu suchen, ganz wie im Kugelmenschenmythos. Und so hatten schon Kain und Abel nach alter Auffassung jeweils eine Zwillingsschwester und damit ein Gegenstück zu sich selbst. Jedoch gibt es einen wichtigen Unterscheid in der Betonung zum Kugelmenschenmythos. Denn während der Mythos von einer tatsächlichen körperlichen Einheit redet, liegt im jüdischen Diskurs die Fokussierung auf der Seele. Eine männliche Seele sucht sein weibliches Gegenstück. Die weibliche Seele kann sich jedoch auch in einen männlichen Körper verrannt haben. Ergo, kann es wahre Liebe unter „Gleichgeschlechtlichen“ geben. Und daraus ergibt sich auch der Transgenderismus: eine weibliche Seele befindet sich eventuell in einem männlichen Körper und durch die geschlechtliche Erziehung entfremdet sich die Seele vom Körper – es kommt zum Konflikt und zum Wunsch, die Hülle an die innere Identität (ausgehend von der Seele) anzupassen.

Fußnoten:

1 Lerner, 2015, Punkt 4.

2 Lerner, 2015, Punkt 5.

3 Lerner, 2015, Punkt 6.

4 Ebda.

5 Lerner, 2015, Punkt 7.

6 Lerner, 2015, Punkt 8.

7 Stein, 2016, Punkt 3.

8 s. Platon, Symposium 189c-193d.

9 Stein, 2016, Punkt 4.

10 Ebda.

11 Ebda.

12 Markel, 2015: 1.

13 Stein, 2016, Punkt 8.

14 u.a. in Schmitz, 2018.

15 Pinel & Pauli, 2012: 393.

16 Stein, 2016, Punkt 8.

17 s. Stein, 2016, Punkt 7.

18 Philmus, 2015.

19 Für diese und weitere Fragen, siehe ebda.

Literatur:

Lerner, Aaron: Hashkafah, Judaism and Homosexuality. Sefaria Source Sheet, 18 November 2015. https://www.sefaria.org/sheets/20552 (Stand: 28.07.2018).

Markel, Dovid: The Kabbalah of Gender Identity. Neirot, 2015. http://www.neirot.com/wp-content/uploads/2015/06/Gender-Identity-and-Kabbala.pdf (Stand: 18.08.2018)

Philmus, Aaron: "In God's Image - B'tzelem Elohim". Sefaria Source Sheet, 9 October 2015. https://www.sefaria.org/sheets/17801 (Stand: 29.07.2018).

Pinel, John P.J.; Pauli, Paul: Biopsychologie. Hallbergmoos: Pearson Deutschland, 2012.

Platon: Symposion, Griechisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Thomas Paulsen und Rudolf Rehn. Stuttgart: Reclam, 2006.

Schmitz, Timo: Individualism between Moral and Virtues, Government and Religion. Berlin: Timo Schmitz, 2018.

Stein, Abby: (Trans)Gender in Kabbalah. Eshel Retreat 2016 - Isabella Freedman Jewish Retreat Center. Sefaria Source Sheet, 12 January 2016. https://www.sefaria.org/sheets/24596 (Stand: 29.07.2018).

Veröffentlicht am 18. August 2018

Politische und Philosophische Analysen

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