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Karsten Wanders betrat ein altes Haus und stieg die abgetretenen Stufen hoch. Im dritten Stock wohnte Erik Holm, ein ehemaliger Arbeitskollege.

Ein Baby schrie hinter der Tür, an die Karsten klopfte. Die Tür wurde geöffnet, und eine schlampige Frau erschien mit dem schreienden Baby auf dem Arm. Sie trug ein schmuddeliges Kleid, und ihre Füße steckten in schäbigen Filzpantoffeln, durch die sich die großen Zehen gebohrt hatten. Das Haar stand Wirr von ihrem Kopf ab.

Sie maß Karsten von Kopf bis Fuß. „Ja?“

„Ist Erik zu Hause?“

„Wer will das wissen?“ Ihre Stimme klang kalt und abweisend. Das Baby brüllte sich die Seele aus dem Leib. Ganz rot war sein kleines Köpfchen. Es schrie mit weit aufgerissenem Mund und zitternder Zunge, und dicke Tränen quollen aus seinen Augen.

„Mein Name ist Karsten Wanders“, sagte Karsten.

Er machte damit wenig Eindruck auf die Frau. „Aha“, sagte sie misstrauisch. „Und was wollen Sie mir andrehen?“

„Nichts. Nichts. Ich möchte nur kurz mit Ihrem Mann sprechen.“

„Mein Mann ist nicht da.“

„Mit wem sprichst du, Jutta?“, rief in der Wohnung Erik Holm.

Karsten nickte lächelnd. „Nicht da, hm?“

„Na schön, er ist da, aber nicht für Sie.“ Das Gesicht des Babys wurde allmählich violett. Es schrie so laut, dass ihm zwischendurch immer wieder die Luft ausging. Die Mutter schien das nicht zu stören. Babys schreien nun mal.

„Jutta!“, rief Erika Holm im Hintergrund.

„Kennst du einen Karsten Wanders?“, fragte Jutta Holm.

„Karsten ist da?“ Erik Holm erschien. Dick und kahlköpfig. Im Unterhemd. Die Hosenträger hingen wie die Griffe einer Einkaufstasche an seinen Seiten herunter. „Karsten!“ Er strahlte. „Junge! Schön, dich zu sehen! Komm rein! Jutta, lass meinen Freund Karsten rein! Nun mach schon! Gib die Tür frei! Das ist Karsten Wanders! Ich hab’n paar Monate mit ihm im Baustoffmarkt gearbeitet!“

Jutta Holm zog abschätzig die Mundwinkel nach unten. „Wo hast du noch nicht gearbeitet? Immer nur ’n paar Monate. Die Arbeit, die meinem Mann gefällt, muss erst erfunden werden“, sagte sie zu Karsten, während sie zur Seite trat. „Er hat bald jeden Job ausprobiert, den es gibt, und zwischendurch ist er immer wieder wochenlang arbeitslos. Ich hab’ mir ein echtes Prachtexemplar von Taugenichts geangelt. Emsig ist er nur beim Kinder machen.“ Sie hob den brüllenden Säugling. „Der Schreihals hier ist Eriks Streich Nummer vier. Scheint so, als wollte mein Alter ’ne ganze Fußballmannschaft zeugen.“

Erik Holm schickte seine nörgelnde Frau mit dem Baby in die Küche. Er drückte Karstens Hand, holte zwei Flaschen Bier, und sie setzten sich im Wohnzimmer auf ein zerschlissenes Sofa.

„ Schön, dich zu sehen“, sagte Erik Holm und hängte sich die Hosenträger über die Schultern. „Bist du noch bei Kambach?“ Kambach hieß der Baustoffmarkt, in dem sie Kollegen gewesen waren.

Karsten Wanders nickte. „Ja.“ Er setzte die Bierflasche an die Lippen und trank.

„War nicht mal so schlecht da“, erinnerte sich Erik Holm. „Ich kam nur mit Moosbrugger nicht klar. Mit dem konnte ja keiner.“ Alfred Moosbrugger war ihr Vorgesetzter bei Kambach gewesen.

„Moosbrugger hat die Firma gewechselt“, erzählte Karsten Wanders. „Er ist jetzt bei Fritsche.“

„Und wer ist der neue Moosbrugger?“, erkundigte sich Holm. „Hayner.“

„Hayner, der alte Lustmolch?“ Holm lachte. „Dann bin ich wohl zu früh abgehauen. Mit Hayner habe ich mich nämlich immer prima verstanden.“

„Wo arbeitest du jetzt?“, wollte Karsten wissen.

Holm zuckte mit den Schultern. „Ich bin gerade mal wieder ohne Arbeit. Aber ein Freund von mir möchte mich bei Sanddorn reinbringen. Sanddorn Schwimmbadtechnik. Vielleicht hast du schon davon gehört.“ Karsten schüttelte den Kopf. „Nein.“

Holm zwinkerte mit dem rechten Auge. „Ist Hayner immer noch hinter allen Weiberröcken her?“

„Warum sollte er sich ändern?“

„ Sitzt bei euch noch die kleine süße Blonde im Büro?“ Holm schnippte mit den Fingern. „Wie hieß sie doch gleich?“

„Lisa“, half Karsten ihm. Der Säugling hatte endlich aufgehört zu brüllen. Eine Wohltat, diese Stille.

„Ja, Lisa.“ Holm nickte heftig. Er leckte sich die Lippen und schluckte, als würde er von einer ganz feinen Delikatesse reden. „Die meine ich.“

„Die ist noch da“, sagte Karsten und trank wieder einen Schluck Bier.

Erik Holm beugte sich vor und sagte leise, als wäre es etwas sehr Vertrauliches: „Hayner soll sich mit Lisa in so mancher Mittagspause in einem nahen Hotel vergnügt haben.“

„Um Hayner ranken sich viele solcher Geschichten.“

„Sie sind alle wahr“, behauptete Holm. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie Hayner es anstellt, dass er alle Weiber rum kriegt. Ich konnte nur mit eigenen Augen beobachten, dass seine Erfolgsquote verdammt hoch war.“ Er stieß Karsten seinen Ellenbogen in die Seite. „Manchmal hat mich echt der Neid gefressen.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung Küche. „Du siehst ja, womit ich verheiratet bin. Jutta lässt sich von Jahr zu Jahr mehr gehen. Es macht mir bald keinen Spaß mehr, meine ehelichen Pflichten zu erfüllen.“

Karsten trank.

„Was führt dich eigentlich hierher?“, wollte Erik Holm wissen.

Karsten sah ihn befremdet an. „Du weißt es nicht?“

„Was weiß ich nicht?“

„Du schuldest mir Geld.“

„Ich schulde dir Geld?“, Holm staunte. „Das kann nicht sein.“ Er schüttelte den Kopf.

„Zwei Wochen, bevor du bei Kambach das Handtuch geworfen hast, habe ich dir zweihundert Mark geliehen.“

Holm nickte. „Stimmt, und als ich die Firma verlassen habe, habe ich sie dir wiedergegeben.“

„Jetzt hör aber auf!“, sagte Karsten ärgerlich.

„Erinnerst du dich etwa nicht mehr daran? Wir waren bei Tante Fifi.“ Tante Fifi war eine gemütliche Kneipe, zwei Minuten von Kambach entfernt. „Ich habe dich, Pirkner, Dorfinger, Wehraff, Eichberger und Keyser zum Abschiedstrunk eingeladen.“

„Daran erinnere ich mich.“

Erik Holm nickte. „Und zu vorgerückter Stunde habe ich dir dann dein Geld zurückgegeben. Das musst du doch noch wissen.“

„Du hast mir nichts gegeben.“

Holm lachte blechern. „So besoffen kannst du doch nicht gewesen sein, Junge. Ich sagte: ‘Da hast du deine zweihundert Mäuse zurück.’ Und du sagtest: ‘Ich hätte nicht gedacht, dass ich sie so bald wiedersehe.’“

„Du hast mir nichts gegeben“, wiederholte Karsten mit vibrierender Stimme.

Holm zog die Augenbrauen zusammen. Über seiner Nasenwurzel bildete sich eine Unmutsfalte. „Mach mich nicht böse, Junge. Du kannst nicht einfach bei mir antanzen und dein Geld ein zweites mal haben wollen.“

„Du hast mir bei Tante Fifi nichts gegeben!“, beharrte Karsten, jedes Wort betonend. Er war damals nicht betrunken gewesen. Drei Maß Bier warfen ihn nicht um.

Holms Blick wurde feindselig. „Jetzt reicht es langsam“, sagte er scharf. „Du solltest lieber gehen, bevor mir der Kragen platzt.“

„Du schuldest mir zweihundert Mark.“

Holm stand auf. „Mach, dass du rauskommst.“

Karsten erhob sich ebenfalls. Holm war bestimmt doppelt so schwer wie er, und er war mit Sicherheit auch viel stärker. Dennoch sagte Karsten wütend: „Ich will mein Geld wiederhaben.“

„Ich habe keine zweihundert Mark“, schnauzte Erik Holm ihn an. „Und selbst wenn ich sie hätte, würde ich sie dir nicht geben, weil sie dir nämlich kein zweites mal zustehen. Versuch den Trick bei jemand anders. Bei mir zieht er nicht. Und jetzt raus, bevor ich handgreiflich werde.“

Jutta erschien mit dem Baby auf dem Arm. „Was ist denn hier los?“

„Der Mistkerl hat die Unverfrorenheit, das Geld, das er mir geliehen hat, als ich bei Kambach war, ein zweites mal zurückzuverlangen“, informierte Erik Holm seine ungepflegte Frau.

„Wie viel?“, wollte Jutta wissen.

„Zweihundert Mark.“

Jutta riss die Augen auf. „Ist er verrückt?“

„Das muss er wohl sein.“

Jutta Holm starrte Karsten Wanders feindselig an. „Ich wusste gleich, als er eintrat, dass er Ärger machen würde. Ich hab’s ihm angesehen.“ Sie stellte sich neben ihren Mann und forderte Karsten ebenfalls lautstark auf, zu gehen. Das Baby begann wieder zu schreien.

Karsten verließ die Wohnung. Mit grimmiger Miene lief er die abgetretene Treppe hinunter. Holm hatte ihm die zweihundert Mark nie gegeben.

Weder bei Tante Fifi noch sonst wo. Aber er konnte es nicht beweisen, und somit konnte er das Geld vergessen, das Holm ihm schuldete. Er würde es nicht wiedersehen.

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