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Barbara Wanders wartete vergeblich auf ihren Sohn. Karsten kam nicht nach Hause. Sie rief ein paar von seinen Freunden an und erfuhr, dass sie nicht mehr seine Freunde waren.

Einen Grund wollten sie nicht nennen. Was war da los? Wieso hatten sie sich von Karsten zurückgezogen? Hatte Karsten etwa eine ansteckende Krankheit?

„O Gott, nein“, entfuhr es Barbara. „Herr im Himmel, tu mir nicht auch das noch an. Du hast mir meinen geliebten Mann genommen. Nimm mir nun nicht auch noch meinen Jungen.“

Während sie auf Karsten wartete, machte sie eine schmerzliche Entdeckung. Es war fast Mitternacht, als ihr Sohn endlich nach Hause kam. Traurig und mit rotgeweinten Augen sah sie ihn an. Er sah verwahrlost aus. Wie jemand, der unter der Brücke wohnt. Er murmelte einen Gruß und wollte sich sofort in sein Zimmer zurückziehen.

„Bitte bleib“, sagte Barbara mit belegter Stimme.

„Ich bin müde, Mama.“

„Wir müssen reden.“

„Hat das nicht bis morgen Zeit?“, fragte Karsten unwillig.

„Nein, hat es nicht.“

„Na schön, was gibt’s?“ Er setzte sich und schlug die Beine übereinander.

„Wir waren verabredet. Wir wollten essen gehen. Warum hast du mich versetzt?“

Karsten seufzte. „Ich habe unsere Verabredung vergessen. Es tut mir leid. Darf ich nun zu Bett gehen?“ Barbara musterte ihn deprimiert. „Was ist los mit dir, Karsten?“

„Nichts.“ Er sah sie nicht an, umklammerte mit den Händen sein Knie.

„Du kannst mich nicht täuschen. Ich bin deine Mutter.“

Er verdrehte die Augen. „Mama“, sagte er mit Nachdruck, „ich bin wirklich sehr müde.“

„Du kannst mit mir über alles reden.“

„Es gibt nichts, worüber...“

„Hast du Sorgen? Bist du krank?“

„Lass das doch bitte sein, Mama.“ Er wäre am liebsten in sein Zimmer gegangen. „Immer bohrst du. Immer willst du alles wissen.“

„Ist das nicht verständlich? Mir liegt dein Wohl am Herzen. Du siehst aus, als hättest du Hilfe nötig.“

„Immer nörgelst du an meinem Aussehen herum. Immer nörgeln alle an mir herum“, beklagte er sich. „Ich kann es keinem recht machen.“

„ Wo kommst du her? Wo bist du so lange gewesen?“

„Ich bin siebzehn, Mama“, sagte Karsten verdrossen.

„Wenn du nichts zu verbergen hast, kannst du mir doch sagen, wo du warst.“

„Ich könnte es dir sagen, aber ich möchte nicht“, gab Karsten zurück.

„Man kommt nicht so spät heim, wenn man tags darauf nicht frei hat“, sagte Barbara vorwurfsvoll.

Karsten winkte ab. „Oh, ich habe frei.“

„Morgen?“

Karsten nickte. „Morgen. Übermorgen. Diese Woche. Nächste Woche...“

„Was soll das heißen?“

Karsten lehnte sich zurück. „Das soll heißen, dass ich nicht mehr bei Kambach arbeite.“

„Du hast gekündigt?“

Karsten schüttelte den Kopf. „Man hat mich entlassen.“

„Aus welchem Grund?“

Karsten hob die Schultern. „Man war mit mir nicht zufrieden.“

„Was hast du dir zuschulden kommen lassen?“

Er erzählte von seiner Pechsträhne. Barbara Wanders sah ihn vorwurfsvoll an. „Ach, Karsten, Karsten, wieso hast du dich nicht mehr zusammengenommen? Warum hast du deinen Arbeitsplatz so leichtfertig aufs Spiel gesetzt? Du weißt doch, wie schwierig es heutzutage ist, einen guten Job zu bekommen.“

„Es war kein guter Job, den ich verloren habe.“

Barbaras Brust entrang sich ein schwerer Seufzer. „Junge, du entwickelst dich immer mehr zum Sorgenkind.“

„Ach was. Bloß weil ich meinen Job bei Kambach verloren habe.“

„Es geht nicht nur darum, Karsten“, sagte Barbara Wanders. „Du hast keine Freunde mehr. Sie haben sich alle von dir zurückgezogen.“

Karsten zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Freunde kommen und gehen. Das ist ein ständiger Wechsel. Eine lebenslange Freundschaft gibt es kaum.“

„Warum will keiner mehr etwas mit dir zu tun haben?“

Karsten zog die Mundwinkel nach unten. „Man entwickelt mit der Zeit andere Interessen, lebt sich auseinander. Was einen mal verbunden hat, hört irgendwann auf zu existieren. Das ist doch kein Malheur.“ Barbara Wanders hatte Mühe, sich zu beherrschen. Kummer schnürte ihre Kehle zu, und sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. „Du warst mir gegenüber früher immer aufrichtig, mein Junge. Wieso ist das heute nicht mehr so?“

„Ich bin nach wie vor aufrichtig“, behauptete Karsten.

„Du lässt mich an deinem Leben nicht mehr teilhaben. Was habe ich falsch gemacht?“

„Nichts Du bist die beste Mutter, die man sich wünschen kann.“ Barbara schluckte. „Aber das hindert dich nicht daran, mich zu bestehlen.“

Karsten sah sie verblüfft an. „Wie bitte?“

„Du warst an meiner Schatulle“, sagte ihm die Mutter auf den Kopf zu. „Du hast das Geld herausgenommen, das sich darin befand.“

„Ja“, gab er unumwunden zu. Es hatte keinen Zweck, zu lügen. Wer sonst hätte das Geld nehmen sollen? „Ich hatte einen finanziellen Engpass...“

„Warum hast du mich nicht gefragt?“

„Du warst in der Paracelsus-Klinik.“

„Wofür hast du das Geld gebraucht?“, wollte Barbara Wanders wissen.

Er dachte an Heiko Rossmann und schüttelte heftig den Kopf. „Das möchte ich nicht sagen.“

Barbara sah ihm traurig in die Augen. „Es tut weh, vom eigenen Kind bestohlen zu werden.“

„Ich habe dich nicht bestohlen“, wies er ihren Vorwurf entschieden zurück. „Ich habe mir das Geld bloß geliehen. Du bekommst es ganz bestimmt wieder.“

Herrgott noch mal, dachte er. Was ist das nur für ein verfluchter Tag! Er hatte nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren. Er war bei Heiko Rossmann gewesen, hatte ein bisschen Stoff auf Vorrat gekauft, und aus dem Rest des Geldes, das man ihm bei Kambach ausbezahlt hatte, hatte er beim Hasardspiel mehr machen wollen. Es war jedoch beim wollen geblieben, denn er hatte alles verloren. Man konnte wirklich nicht behaupten, dass das heute sein Tag war. Seine Mutter erlaubte ihm endlich, sich zurückzuziehen.

Als Barbara Wanders allein war, weinte sie und suchte die Schuld für die unerfreuliche Entwicklung ihres Sohnes verzweifelt bei sich.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

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