Читать книгу Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane - A. F. Morland - Страница 144

16

Оглавление

Karsten Wanders ließ es sich gutgehen. Er lag den ganzen Tag im Bett. Abends ging er weg, ohne seiner Mutter zu sagen, wohin. Die Aussprache hatte nichts gebracht. Karsten war danach nur noch verschlossener geworden, und Barbara Wanders hatte den Eindruck, dass er ihr immer mehr entglitt. Er lebte wie ein Fremder neben ihr, und wenn sie ihn kritisierte, zog er sich an und verließ die Wohnung.

Heide Meineke rief in der Redaktion an. „Barbara, es ist etwas ganz Schreckliches passiert“, schluchzte sie.

Barbara Wanders vergaß einen Augenblick ihre eigenen Sorgen.

„Um Himmels willen, was denn?“, fragte sie beunruhigt.

„Ferdy...“

„Was hat Ferdy getan?“, wollte Barbara wissen.

„Ich habe Schmerzen“, stöhnte Heide Meineke.

Barbara erschrak. „Hat Ferdy dich geschlagen?“

„Nein... O Barbara, ich habe Angst um mein Baby... Ich möchte es nicht verlieren... Meine Mutterbänder sind schwach... Ich soll mich schonen, soll mich nicht auf regen, aber...“

„Was ist denn vorgefallen?“, fragte Barbara Wanders in großer Sorge.

„Ferdy...“, krächzte die schwangere Freundin. „Er hat mit seinem Wagen eine Frau angefahren...“

„Ist sie tot?“

„Sie ist verletzt.“

„Und Ferdy?“

„Er hat die Nerven verloren“, sagte Heide.

Barbara lief es kalt über den Rücken. „Hat er Fahrerflucht begangen?“

„Ja, und nun weiß niemand, wo er ist“, berichtete Heide mit weinerlicher Stimme. „Er hat sich versteckt, bei Freunden, bei Verwandten, bei Bekannten... Irgendwo... Bitte, Barbara, du musst ihn suchen. Du musst ihn finden. Du musst ihn dazu bringen, dass er sich der Polizei stellt.“

„Wo bist du?“, fragte Barbara Wanders.

„Zu Hause.“

„Ich komme erst mal zu dir“, entschied Barbara und legte auf. Sie sagte Harald Häussler Bescheid, bevor sie ging.

„Kann ich helfen?“, fragte der Kollege.

Barbara nickte. „Ruf alle Freunde von Ferdy Feiler an. Vielleicht kann dir einer sagen, wo er steckt. Wenn du etwas herausfindest, erreichst du mich übers Handy.“

Sie verließ die Redaktion und fuhr zu Heide. Die Freundin ließ sie ein. Sie war in Tränen aufgelöst, und die Bauchschmerzen hatten noch nicht nachgelassen.

Kurzentschlossen sagte Barbara: „Ich bringe dich in die Paracelsus-Klinik.“

Während der Fahrt jammerte Heide: „Ich weiß nicht, was in Ferdy gefahren ist. Er muss durch den Unfall einen Schock erlitten haben, der ihn zu dieser Kurzschlusshandlung trieb. Fahrerflucht...“ Sie schüttelte den Kopf. „Er hat die Frau einfach liegen lassen... Es gab Augenzeugen...“

„Das wird ihm eine saftige Strafe einbringen“, meinte Barbara. Sie fuhr zügig, aber nicht zu schnell, hielt sich trotz gebotener Eile genau an die Verkehrsregeln.

„Wenn er erst mal wieder zu sich gekommen ist, wird er jede Strafe als gerecht empfinden“, sagte Heide Meineke. Sie stöhnte auf. Ihr Gesicht zuckte. Sie legte die Hände mit gespreizten Fingern auf ihren Bauch. „Diese Schmerzen...“

„Wir sind gleich in der Paracelsus-Klinik. Man wird dir etwas gegen die Schmerzen geben.“

„Aber ich bin schwanger.“

„Dr. Härtling weiß, was deinem Baby nicht schadet.“

Sie erreichten die Paracelsus-Klinik, und wenig später befand Heide Meineke sich in Sören Härtlings Obhut. Der Klinikchef und Gynäkologe untersuchte die Patientin sehr gründlich, und sie wurde an den Tropf gehängt.

„Was, was ist mit meinem Baby, Herr Doktor, wimmerte Heide Meineke mit großer Angst in den grünen Augen.

„Wir werden alles tun, damit Sie es behalten“, beruhigte sie der Leiter der Paracelsus-Klinik. „Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut.“

„Und ich sorge dafür, dass Ferdy für das, was er getan hat, geradesteht“, sagte Barbara.

„ Sie bleiben fürs erste ein paar Tage bei uns“, wandte Dr. Härtling sich an Heide Meineke. „Erst wenn die Wogen sich geglättet haben und Sie sich wieder besser fühlen, schicken wir Sie heim.“

Barbara sah den Klinikchef an. „Ihr Schwager ist doch ein bekannter Anwalt, nicht wahr?“

Sören Härtling nickte. „Dr. Axel Lassow.“

„Ferdy Feiler wird einen sehr guten Verteidiger brauchen“, sagte Barbara Wanders.

„Wenn Herr Feiler es möchte, wird mein Schwager seinen Fall sicher übernehmen“, sagte Dr. Härtling.

„Ferdy hat sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen“, sagte Heide Meineke dünn.

„Das wird das Gericht mit Sicherheit berücksichtigen“, versicherte Dr. Härtling ihr.

„Entspann dich“, riet Barbara und streichelte die blasse Wange der Freundin. „Die Dinge kommen ganz sicher bald wieder in Ordnung.“

Als sie die Paracelsus-Klinik verließ, läutete ihr Mobiltelefon. Am andern Ende war Harald Häussler. „Wie geht es Heide?“, war seine erste Frage.

„Sie ist ziemlich aus dem Häuschen“, gab Barbara Wanders zur Antwort, „aber bei Dr. Härtling ist sie in den besten Händen. Ich glaube nicht, dass wir uns um sie oder das Baby Sorgen machen müssen.“

„Ich habe bereits neun Telefonate hinter mir“, berichtete Barbaras Kollege.

„Und was ist dabei herausgekommen?“

„Leider nicht viel“, sagte Harald Häussler. „Einer seiner Freunde hält es für möglich, dass Ferdy sich bei seiner Ex-Verlobten versteckt hat.“

„Bei Nelly Eschhold?“

„Sie würde noch immer alles für ihn tun“, sagte Harald.

„Und verrückt genug wäre sie auch, ihm Unterschlupf zu gewähren“, brummte Barbara Wanders. Sie stand neben ihrem Wagen. Jetzt schloss sie ihn auf und stieg ein. „Ich fahre gleich mal zu Nelly“, sagte sie.

„Möchtest du, dass wir uns da treffen?“, fragte Harald Häussler.

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist“, gab Barbara Wanders zurück.

„Nelly ist hin und wieder ziemlich unberechenbar“, gab Harald zu bedenken.

„Ich werde schon mit ihr fertig“, beruhigte Barbara ihn. „Danke einstweilen für deine Hilfe.“

„Ich telefoniere weiter herum.“

„Tu das, und halt mich auf dem Laufenden.“ Barbara beendete das Gespräch und fuhr los.

Sie kannte Nelly Eschhold flüchtig. Sie waren einander ein paarmal auf Partys und Empfängen über den Weg gelaufen. Nelly war unermesslich reich.

Erarbeitet hatte sie sich nichts. Das viele Geld war ihr nach dem frühen Tod ihrer Eltern in den Schoß gefallen, und sie sorgte nun emsig dafür, dass es unter die Leute kam.

Nach zwei gescheiterten Ehen (beide hatten zusammen nicht einmal ein Jahr gedauert) hatte Nelly Eschhold sich unsterblich in Ferdy Feiler verliebt.

Nach zwei Monaten hatten sie groß Verlobung gefeiert, und nach zwei weiteren Monaten hatte der an und für sich recht tolerante Ferdy Feiler die Verbindung über Nacht gelöst, weil Nelly sich aus sentimental nostalgischen Gründen, und wohl auch, weil sie einige Gläschen Champagner zu viel getrunken hatte, noch einmal mit einem ihrer Ex-Ehemänner ins Bett gelegt hatte.

Nelly Eschhold besaß ein großes Anwesen am Stadtrand von München. Herrlich gelegen. Umgeben von friedlicher, üppiger Natur. Ihr Mädchen führte Barbara Wanders in den Salon.

„Die gnädige Frau wird gleich hier sein“, sagte das Mädchen und zog sich zurück.

Barbara schlenderte durch das riesige Wohnzimmer. Schneeweiße Gartenmöbel standen draußen im saftig grünen Gras. Im großen nierenförmigen Swimmingpool glitzerte kristallklares Wasser. Auf einem geschlossenen Klavier, das zwischen zwei Fenstern stand, standen Dutzende gerahmter Fotos, die Nelly mit vielen prominenten Leuten zeigten.

Barbara vernahm Schritte, drehte sich um, und dann hatte Nelly Eschhold ihren großen Auftritt. Sie trug ein gewagt dekolletiertes Kleid und funkelnden Schmuck. Ihr langes Haar war platinblond.

Mit ausgebreiteten Armen ging sie auf die Reporterin zu, als wäre diese ihre allerbeste Freundin. „Barbara.“ Umarmung. Küsschen auf die Wangen. „Wie schön, Sie zu sehen.“ Alles, was Nelly sagte, klang kühl und oberflächlich. „Setzen Sie sich. Was darf ich Ihnen anbieten? Orangensaft? Grünen Tee? Ein Likörchen?“ Barbara nahm Platz. „Vielen Dank; ich möchte nichts.“

Nelly setzte sich ihr gegenüber. „Gar nichts?“, fragte sie, als wäre sie enttäuscht.

„Gar nichts“, sagte Barbara. „Außer einer Auskunft.“

„Ach, dann sind Sie wohl beruflich hier.“

„Ich bin hier, weil ich helfen möchte“, erklärte Barbara Wanders.

„Mir?“, fragte Nelly Eschhold überrascht.

Barbara schüttelte den Kopf. „Nicht Ihnen. Meiner Freundin Heide Meineke...“

„Heide Meineke.“ Nellys Stimme wurde frostig. „So, so.“ Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ihre Freundin hat mir meinen Verlobten ausgespannt.“

„Das stimmt nicht“, widersprach Barbara. „Als Heide mit Ferdy Feiler zusammenkam, hatte er sich von Ihnen bereits getrennt.“

Ein harter Zug kerbte sich um die üppigen Lippen der reichen Frau. „Sie sagten, Sie möchten helfen. Ist Ihre Freundin in Schwierigkeiten?“ Barbara nahm an, dass Nelly das gefreut hätte. „Nur indirekt“, antwortete sie. „Ferdy hat ein ziemlich schlimmes Problem.“

„Ferdy?“ Der Name brachte Nellys Augen zum Strahlen.

„Ist er hier?, fragte Barbara Wanders geradeheraus.

Nelly sah sie überrascht an. „Hier? Bei mir? In meinem Haus meinen Sie? Das würde mir gefallen, aber leider...“

„Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“, wollte Barbara wissen.

„Oh, das ist schon eine Weile her. Was für ein schlimmes Problem hat Ferdy denn?“

„Er hat mit seinem Wagen eine Frau umgefahren und Fahrerflucht begangen.“

Nelly fuhr sich an die vollen Lippen. „Ach, du grüne Neune. Wie kann man so sehr die Nerven wegschmeißen? Jetzt sucht ihn wahrscheinlich die Polizei.“

„Und ich suche ihn auch“, sagte Barbara, „weil es für ihn nämlich besser wäre, wenn er sich selbst stellen würde.“

„Ich verstehe.“ Die Platinblonde schmunzelte. „Sie dachten, Nelly Eschhold könnte so verrückt sein, ihn zu verstecken. Hab’ ich recht?“

„Er ist also nicht hier?“

Nelly machte eine einladende Geste. „Wenn Sie möchten, können Sie das ganze Haus vom Dachboden bis zum Keller durchsuchen.“

„Er hat Sie auch nicht angerufen und um Hilfe gebeten?“

„Ich habe erst von Ihnen erfahren, dass er in Schwierigkeiten steckt.“

„Wenn er zu Ihnen käme, würden Sie ihn bei sich aufnehmen?“

Nelly lächelte. „Was meinen Sie? Würde ich es tun?“

„Ich glaube ja.“

Nelly nickte. „Ich denke auch, dass ich es tun würde. Um der alten Zeiten willen, und weil ich noch immer sehr viel für dieses Prachtexemplar von einem Mann übrig habe. Ich habe Ferdy Feiler durch eine riesengroße Dummheit verloren, und ich würde alles tun, damit er zu mir zurückkommt.“

Barbara dachte an das Baby, das Heide erwartete. Ob Nelly davon wusste? Wahrscheinlich nicht. Aber selbst wenn Nelly Eschhold davon Kenntnis gehabt hätte, dass Heide Meineke von Ferdy Feiler ein Kind erwartete, hätte sie das wohl kaum davon abhalten können, zu versuchen, sich ihren Ex-Verlobten selbst mit den unlautersten Mitteln wiederzuholen.

Obwohl Barbara sich dessen bewusst war, sagte sie: „Wenn Sie Ferdy einen Gefallen tun wollen, sagen Sie ihm, er soll mich anrufen, falls er sich bei Ihnen meldet.“

Nelly nickte stumm und erhob sich. Das Gespräch war für sie beendet.

Der Arztroman Lese-Koffer Mai 2021: 16 Arztromane

Подняться наверх