Читать книгу 7 Heimat-Romane um Liebe in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019 - A. F. Morland - Страница 13
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Оглавление»Hallo, Herr Ackermann!« Ich drehe mich herum. Er hält die Augen geschlossen. Doch ich spüre, dass er nur benommen ist, nicht ohnmächtig. Nach einer Weile öffnet er die Augen und sieht mich etwas dümmlich an.
»Verflucht, verflucht!«
Er muss seinem Herzen Luft machen. Das kann ich verstehen. Ich möchte es auch gern tun, aber das wäre gleichzeitig eine Anklage. Er hat nicht auf mich gehört. Und er war auch vorgegangen. In dem Augenblick, als ich stand und mir die Gletscher betrachtete, hatte er die Vorhut übernommen.
»Sakra, verflucht noch mal...!«, schimpft er.
Seltsam hohl und dünn kommen die Worte als Echo zurück.
»Sind Sie verletzt?«
»Ich glaube nicht.«
Er rappelt sich hoch und wischt sich den Angstschweiß von der Stirn. Etwas unsicher blickt er nach oben. Wir scheinen zehn Meter tief in einer Spalte zu stecken. Mir ist auch ziemlich mulmig zumute. Er sieht mich an. Leo weiß ganz genau, dass wir wegen seines Starrkopfes hier unten gelandet sind.
»Ich bin ein verdammter, blödsinniger Idiot, dass ich nicht auf Sie gehört habe«, knurrt er böse. »Ich hielt Sie für einen Wichtigtuer, einen Aufschneider, nun ja, Sie wissen schon, was ich meine.«
Ich bin sekundenlang ein wenig verblüfft. Da hat dieser Mensch doch wirklich gedacht, ich wollte mich hervortun, wegen Diane, um ihm zu zeigen, welch ein großartiger Kerl ich sei. Unwillkürlich muss ich auflachen.
»Das kann man doch wirklich bei einer anderen Gelegenheit beweisen«, sage ich. »Und überhaupt, das habe ich gar nicht nötig.«
»Nein?« Er sieht mich giftig an. »Diane kriegen Sie so oder so nicht. Weil sie nämlich gar nicht will. Sie sind nur ein kleiner Urlaubsspaß, verstanden?«
Ich sehe ihn ruhig an. »Herr Ackermann, sollten wir nicht lieber versuchen, hier herauszukommen?«
»Geht das denn?«
»Wir haben das Seil; ich muss es riskieren.«
Wieder sehen wir die Wand hinauf. Sie ist sehr steil, und oben am Rand hängt sie noch ein beträchtliches Stück über. Meinen Pickel habe ich verloren. Der hätte mir jetzt von Nutzen sein können. Leo bleibt unten, und ich versuche den Aufstieg. Wenn ich es schaffen würde, brauchte ich ihn nur heraufzuziehen. Aber die Wand ist zu glatt und zu hart. Immer wieder versuche ich, mit meinen Schuhspitzen Stufen hineinzuschlagen. Aber hier scheint wirklich alles aus Kristall zu sein. Erschöpft lasse ich von meinem Tun ab. Mir ist heiß geworden.
»Schreien Sie mich doch schon an, spucken Sie es aus, dass ich schuld an unserer Lage bin«, schreit er auf mich ein.
»Das würde auch nichts daran ändern«, sage ich mürrisch und schaue auf die Uhr. »Jetzt haben wir zwei Uhr mittags. Noch scheint die Sonne; es ist also noch nicht sehr kalt. Um vier fährt die letzte Bahn nach unten. Diane wird sofort merken, dass wir nicht mitgekommen sind und Alarm schlagen. Man wird einen Hubschrauber mit einem Suchtrupp losschicken. Solange es noch hell ist, werden sie unsere Spuren im Schnee sehen und ihnen folgen. Wir brauchen also wirklich keine Angst zu haben. Jetzt heißt es nur, die Nerven zu bewahren.«
Ich kann ihn wirklich beruhigen. Leo ist voller Zuversicht. Er holt sich eine Zigarre aus der Tasche und steckt sie an.
»Nun ja«, grunzt er. »Der Arzt hat mir ja Ruhe verschrieben, aber es ist schon verdammt still hier«, meint er lachend.
Bin ich auch so voller Zuversicht? Ich kenne Geschichten, viele Berichte, wo Menschen in Gletscherspalten erfroren sind. Ja, viele sind bis heute noch nicht gefunden worden. Aber bei uns ist das etwas anderes. Man weiß, wohin wir gegangen sind. Hier gibt es auch nicht so viele unbekannte Spalten. Sicher ist diese auch bekannt. Und dann, sie können sich ja ausrechnen, wie weit wir gekommen sind.
Unsere ganze Hoffnung hängt an Diane. Sie ist unser rettender Engel. Sie wird auf uns warten; und wenn wir nicht kommen, im Hotel Bescheid geben.
Leo spaziert in der Spalte hin und her. Sie ist sehr lang. Einmal meint er, ob wir ihr nicht nachgehen sollten, vielleicht fänden wir einen Ausgang? Ich muss lachen.
»Das ist doch kein Berg.«
»Richtig, Hofstätter, dumm von mir.« Und wieder tippelt er auf und ab. Ich tue es auch. Wir dürfen einfach nicht sitzen und stehenbleiben, das könnte gefährlich werden. Aber dann schweifen meine Gedanken wieder zu Diane, und ich muss daran denken, was Leo vorhin gesagt hat. Quatsch, denke ich, er bildet sich das ein, weil er Diane nicht hergeben will. Wie kann er auch wissen, dass wir uns lieben? Wir haben es ihm ja noch nicht gesagt.
Es vergeht eine Stunde, die Schatten werden länger und kälter. Ich kann ausrechnen, wann wir vollkommen im Schatten sein werden. Und dann kommt die große Kälte. Hunger habe ich übrigens auch. Leo leckt sich auch ständig die Lippen. Plötzlich bleibt er vor mir stehen und starrt mich an. So habe ich ihn noch nie gesehen. Seine Lippen zittern.
»Wo ist mein Rucksack?«
»Wie?«, sage ich.
»Du Hund hast ihn versteckt! Jawohl! So ein gemeines Aas bist du! Und du glaubst, ich würde es nicht merken!«
Ist das Wut? Aber seine Augen sind voller Angst.
»Der Rucksack? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Den habe ich wirklich vergessen. Beim Sturz habe ich ihn abgeschnallt. Er muss da hinten irgendwo liegen. Warten Sie, ich hole ihn.«
»Bleib stehen, wo du bist! Ich gehe selbst«, sagt er mit grollender Stimme.
Hass steht wie eine Wand zwischen uns. Ich sehe ihm nach. Schnell stolpert er über den unebenen Boden und ist dann genau an der Stelle, wo wir heruntergekommen sind. Mit bloßen Händen wühlt er im nachgefallenen Schnee und hat auch bald den Rucksack. Fast zärtlich zieht er ihn heraus. Schnell wirft er einen Blick auf mich. Ich bewege mich nicht.
Leo nimmt seinen Rucksack und geht ein ganzes Stück damit weiter. Langsam folge ich ihm. Wir dürfen uns nicht verlieren.
»Wir haben jetzt halb vier. Bald ist es soweit. Vielleicht noch eine Stunde, und wir sind wieder frei«, sage ich fröhlich.
»Wirklich?«, fragt er zweifelnd. In diesem Zweifel liegt die Angst, es könnte möglicherweise doch nicht so sein. Seine Augen flackern.
»Bestimmt. Auf Ihre Tochter ist doch Verlass, oder?«
»Selbstverständlich. Die lässt mich nicht im Stich. Mich nicht, nur Sie.«
»Wir wollen uns nicht streiten, Herr Ackermann. Später wollen wir über Diane reden.«
»Es gibt kein Später, Kerlchen. Das können wir gleich hier abmachen. Diane schlagen Sie sich mal hübsch aus dem Kopf!«
»Aber wir lieben uns! Werden Sie auch hart bleiben, wenn Diane Ihnen das persönlich sagt?«
Die Situation erscheint mir unsinnig. Wie zwei Kampfhähne stehen wir uns gegenüber, über jede Schulter blickt der Tod mit fletschenden Zähnen. Der andere hält seinen Rucksack fest umklammert und funkelt mich an. Ich stehe mit hängenden Armen vor ihm und bitte ihn um seine Tochter, von der ich glaube, dass sie mich genauso liebt wie ich sie.
Kalter Frosthauch überzieht unsere Gesichter. Grünlich blau scheinen jetzt die Wände von allen Seiten auf uns herab. Über uns befindet sich noch immer der blaue Himmel, aber so weit, unendlich fern. Meine Füße werden vom Stehen und Laufen langsam müde. Ich möchte mich setzen. Meine Jacke ist auch nicht die wärmste, und die Schuhe lassen allmählich die Kälte durch. Zitternd schleppe ich mich weiter.
Jetzt steht der Zeiger genau auf zwölf. Es ist vier Uhr. Im Geiste sehe ich, wie unten die Gondel hält. Diane steht auf dem Vorplatz und wartet. Erregt fragt sie den Angestellten, sie schüttelt den Kopf. Jetzt läuft sie zum Hotel zurück, spricht mit allen möglichen Leuten und bedrängt sie. Sie laufen zum Telefon, holen die Suchmannschaft. Man fährt noch einmal mit der Gondel nach oben. Bald wird der Hubschrauber über unserem Kopf kreisen. Wir werden ihn sehen und hören können, aber wir können uns nicht melden. Wie ein Verzweifelter hängt mein Blick am Zeiger. Nun ist es schon halb fünf. Langsam bricht die Dämmerung ein.
Diane, denke ich zitternd. Geliebte, heißgeliebte Diane, ich liebe dich, liebe dich über alles. Spürst du nicht, dass ich jetzt in großer Gefahr bin? Ich und dein Vater? Hilf uns, hilf uns doch, liebste Diane.
Am Himmel bleibt alles still.