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Ihre blauen Augen durchbohren mich. Ich habe das Gefühl, als versuche sie, mich zu hypnotisieren. Doch ich gebe diesen Blick in gleicher Stärke zurück. Jetzt flackern und zittern die langen Wimpern. Früher war ich entzückt darüber, aber schon lange weiß ich, dass sie sie sich jeden Morgen mit viel Geduld anklebt.

Sie wendet den Kopf zur Seite. Ihr Gesicht ist starr, und ich weiß nicht, was sie jetzt über mich denkt. Aber ist mir das nicht eigentlich gleichgültig?

Die elegante Krokotasche schnappt zu. Sie klimpert mit den Wagenschlüsseln.

»Eines Tages wirst du es bereuen«, sagt sie und schiebt eine Strähne des blonden Haares aus dem Gesicht.

»Wirklich?«, sage ich, runzle die Stirn und lege meinen rechten Arm hinter meinen Kopf.

Sie wird sogar ein wenig rot. Das sehe ich mit Staunen. Diese schöne, makellose Haut läuft rot an. Als sie merkt, dass ich es sehe, wird sie wütend.

»Ja!«, sagt sie unbeherrscht. »Das wirst du! Ich weiß es jetzt schon. Wer zuletzt lacht...«

Das hätte sie nicht sagen dürfen. Das nicht. Nach allem, was passiert ist. Meine Gesichtsmuskeln spannen sich. Ich fühle, wie der Schmerz in mir hochzukriechen beginnt. Jetzt sitzt er schon in meiner Brust. Ich bekomme keine Luft mehr. Mir ist so elend zumute. Der Schweiß bricht mir aus allen Poren. Wie erschöpft und hilflos man doch sein kann.

Hat sie Mitleid mit mir? Ich meine, weil sie das gesagt hat? Sie muss doch begreifen, erfassen, wie gemein sie war.

Ich öffne die Augen. Zuerst kann ich Diane nicht mehr sehen. Sie ist schon an der Tür, den kostbaren Pelzmantel eng um die Schultern gezogen. Ihre hochmütigen Augen schießen Blitze.

»Euch wäre es wohl sehr lieb, wenn ich sterben würde, nicht wahr?«, sage ich mit heiserer Stimme.

Sie schweigt.

»Vielleicht tue ich euch noch den Gefallen. Ich weiß es noch nicht so genau. Vielleicht...« Meine Zähne schlagen aufeinander; das Fieber beginnt zu steigen.

Sie öffnet die Tür und geht dann doch nicht. Worauf wartet sie noch?

Glaubst sie tatsächlich, ich würde es tun?

»Geh!«, zische ich zwischen den Zähnen hervor. »Geh, verdammt noch mal! Ich kann dich nicht mehr sehen.«

Da geht sie endlich. Die Tür klappt laut zu; ich höre ihre Schritte auf dem Gang. Sie werden immer leiser, dann ist es still. Mein Bett steht so, dass ich die Auffahrt übersehen kann. Es dauert nicht lange, bis ich sie unten auf dem Kies bestreuten Weg sehe. Sie dreht sich nicht einmal um, obwohl sie weiß, dass ich sie sehen kann. Sie muss es wissen, denke ich spröde.

Ich presse meine linke Hand auf das Herz. Es schlägt heftig, und ich habe Schmerzen. Komisch, denke ich, vor gut einer Stunde habe ich hier gelegen und war froh und glücklich. Ich konnte den Augenblick nicht erwarten, in dem Diane endlich mein Zimmer betreten würde.

Diane! Wie Musik war ihr Name für meine Ohren. Immerzu sagte ich ihn vor mich hin. Diane, sie war der rettende Hafen, das Glück, die Freude.

Und jetzt ist sie fort. Und ich bin froh, froh, nein, ich bin nicht froh, ich hasse sie. Noch nie habe ich einen Menschen so gehasst wie Diane. Furchtbar ist das. Ich möchte nicht hassen; niemanden möchte ich hassen. Ich bin eine Frohnatur! Als ich das denke, wird mir wieder schwarz vor den Augen. Frohnatur, und bittere Galle steigt in mir hoch. Das war alles einmal. Vor langer Zeit, vielleicht vor hundert Jahren. Nie mehr werde ich lachen können, nie mehr.

Bis jetzt hat mich das Warten auf Diane am Leben gehalten. Ich habe die Zähne zusammengepresst und alles über mich ergehen lassen. Jetzt habe ich nichts mehr, auf das ich mich freuen kann. Mein Leben ist nichts mehr wert.

Ich bin verzweifelt. Sich einfach fallenlassen, ganz tief, irgendwo wird dann das Ende sein. Vielleicht spürt man es gar nicht. Einfach in den Tod hinübergleiten, ganz sanft, ohne Schmerzen. Nicht mehr denken müssen. Auch die Schmerzen werden aufhören.

Meine Glieder entspannen sich langsam. Ist das der Anfang?

»Darf man stören?«

Nur schwer lassen sich meine Augenlider öffnen. Vor mir steht ein fremder Mann. Ich kenne ihn nicht. Er trägt einen Bart, und sein Gesicht ist gerötet. Er kommt also von draußen. Dann weiß ich, er ist ein Priester.

»Was wollen Sie?«, sagte ich mit spröder Stimme.

»Ich möchte Sie besuchen. Das tue ich übrigens bei allen Patienten. Aber wenn Sie sich noch zu schwach fühlen, dann gehe ich selbstverständlich.« Er wartet.

Schon möchte ich ihn fortschicken. Warum lässt man mich nicht allein? Ich kann keine gesunden Menschen mehr sehen. Sie ekeln mich an. Verstehen sie das denn nicht?

»War das Ihre Verlobte, die Sie eben verlassen hat?«

Das bringt meinen Zorn zurück.

»Nein!«, sage ich wütend. »Das war Diane Ackermann!«

»Ach«, sagt er leichthin, »die Tochter von Leo Ackermann?«

Ich starre ihn an.

»Was wissen Sie denn darüber?«, frage ich erstaunt.

»Eine ganze Menge. Hier bleibt doch nichts verborgen. Sie kennen doch die Leute. Und Sie? Nun, von Ihnen spricht man doch schon seit Tagen.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Vielleicht kann ich Ihnen helfen«, sagte er ruhig.

»Mir helfen? Sie?«

Und dann bricht es aus mir heraus. Ich kann nicht anders, ich muss lachen, lachen und nochmals lachen. Es ist ein schreckliches Lachen, und mir tut alles weh. Aber ich kann nicht aufhören.

Plötzlich spüre ich eine kühle Hand auf meinem Arm. Meine Stimme erstickt, ich würge und falle in die Kissen zurück.

»Herr Hofstätter«, sagt er mit ruhiger Stimme.

Mein Atem geht schwach.

»Ich kann Ihre Bitterkeit verstehen, Herr Hofstätter. Bestimmt, Sie müssen mir glauben. Aber es ist auch Christenpflicht, dem anderen zu verzeihen. Denn, wenn Sie das nicht können, findet Ihre Seele keine Ruhe. Hören Sie, man muss verzeihen können. Selbst Jesus hat das getan ...«

»Hören Sie auf!«, schreie ich ihn an.

Jetzt sind es wieder zwei blaue Augen, die mich durchbohren.

»Sie«, stoße ich hervor. »Wenn Sie nur gekommen sind, um mich mit Moralsprüchen vollzupumpen, dann verschwinden Sie gefälligst sofort! Mann, Sie begreifen ja nicht, Sie wissen ja nicht, was Sie da sagen. O mein Gott!«

Der Priester ist nicht böse. Er ist es gewöhnt und schweigt darum. Ich bin wütend, dass er schweigt. Es macht mich hilflos, zeigt mir, wie unbeherrscht ich eben gewesen bin.

Als er immer noch nichts sagt, stammle ich: »Verzeihen Sie mir. Es tut mir leid.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«

»Sie können ja nicht wissen, was sich eben hier abgespielt hat«, sage ich mit zuckenden Lippen. »Es war so schrecklich, so grausam. Jetzt habe ich keinen Lebensmut mehr. Ich...«

»Sie sehen sehr müde aus. Vielleicht sollten Sie doch erst ein wenig schlafen«, sagt er gütig. »Zwei Besuche auf einmal sind im Augenblick noch etwas zu viel für Sie.«

Meine Augen schwimmen in Tränen. Früher hätte ich mich deswegen geschämt. Doch jetzt nicht.

»Bleiben Sie«, sage ich mit gebrochener Stimme. »Sie dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen. Vielleicht, wenn Sie nur ein wenig an meinem Bett sitzen und nur da sind? Ich, ich brauche das, ich muss das Gefühl haben, dass ich noch nicht ganz ausgestoßen bin, bitte!«

»Ja«, sagt er und lächelt ein winziges Lächeln.

Ich drehe den Kopf zum Fenster. Draußen wird es dämmrig. Ich kann die Berge nicht mehr sehen. Nebel steigt aus den Tälern. Diese Nacht wird es wieder schneien. Hier im Hochgebirge beginnt der Winter sehr früh. Schon im Herbst, wenn anderswo noch Blumen in den Gärten aufblühen, haben wir mit Schnee zu kämpfen.

Er sitzt immer noch an meinem Bett und wartet darauf, dass ich zu sprechen beginne. Warum tut er das, denke ich. Wir kennen uns doch gar nicht. Er soll gehen und mich in Frieden lassen! Ich brauche keine Bibelsprüche. Die können mir schon gar nicht helfen. Wenn ich so nachdenke, kann mir nichts helfen, das ist ja so schlimm. Ich bin völlig ohne Hoffnung.

Es vergeht eine halbe Stunde. Jetzt beginne ich mich zu schämen.

»Bitte, verzeihen Sie mir«, sage ich leise.

Er sieht mich ruhig an.

»Ich möchte Ihnen meine Geschichte erzählen, Herr Pfarrer. Nicht, damit Sie Mitleid mit mir haben, sondern weil ich einfach reden muss. Vielleicht verschwindet dann der dicke Stein von meinem Herzen, und ich kann wieder freier atmen. Ich muss es erzählen. Werden Sie Zeit haben?«

»Beginnen Sie ruhig. Ich habe sehr viel Zeit.«

»Danke.«

Ich schließe die Augen. Im Dunkeln kann man besser reden, denke ich unwillkürlich. Aber meine Geschichte braucht das Tageslicht nicht zu scheuen.

Und so beginne ich ...

7 Heimat-Romane um Liebe  in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019

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