Читать книгу 7 Heimat-Romane um Liebe in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019 - A. F. Morland - Страница 16

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Es ist schon Mittag, die Sonne steht am höchsten. Und noch immer regt sich nichts. Mir ist plötzlich alles gleichgültig. Die meiste Zeit döse ich vor mich hin.

Leo stapft weiter auf und ab und flucht. Zwischendurch kippt er immer wieder einen Schnaps. Ich habe das Gefühl, als hätte er mich vollkommen vergessen, obwohl er immer an mir vorübergehen muss.

»Verflucht, die Hunde lassen uns doch krepieren! Sie holen uns nicht!«

Ich sehe nur in den blauen Himmel und denke: Vielleicht ist Sterben gar nicht so schwer?

Dann werde ich bei den Schultern hochgerissen. Ich sehe in Leos hervorquellende Augen.

»Du hast gesagt, sie kommen uns suchen! Sie suchen immer nach Überfälligen! Dazu ist ja die verdammte Bergwacht da! Wieso kommen die nicht? Ich will raus, raus hier! Ich halt es nicht mehr aus! Ich will nicht sterben, verstanden!« Todesangst steht in seinen Augen.

Ich reiße meine Gedanken zusammen. Es fällt mir schwer.

»Diane«, murmele ich, »Diane muss es nicht gesagt haben.«

»Verdammter Bastard! Ich könnte dich umbringen, meine Tochter schlecht zu machen. Halt dein Maul, hörst du!«, schreit er und lässt mich wieder zurückfallen.

»Du, du wolltest doch eine Antwort haben«, lalle ich.

Er knirscht mit den Zähnen und ballt die Hände.

Und dann hören wir es beide. Ein Geräusch. Erst ist es noch sehr weit entfernt. Aber es kommt näher. Zuerst ist es nur ein kleines Summen, aber dann hören wir den Propeller.

»Ein Hubschrauber!«, keucht Leo. »Ich hab ihn gesehen! Sie suchen uns!« Er wirft die Arme in die Luft und schreit.

»Er hört uns nicht«, sage ich leise. »Er kann uns ja gar nicht hören. Bei dem Lärm.«

»Er fliegt weg! Er dreht ab! Verdammt, er dreht wieder ab!«, schreit Leo.

»Vielleicht hat er unsere Spur gefunden und sagt Bescheid. Sie müssen auch einen Suchtrupp raufgeschickt haben.«

Seltsam, ich sage das alles wohl, aber in mir ist keine Freude. Ich freue mich nicht, dass die Rettung bevorsteht. Mir ist so eigenartig zumute. So leicht wie eine Feder fühle ich mich. Schon lange habe ich mich nicht mehr bewegt. Vielleicht, vielleicht bin ich schon tot, denke ich. Und ich sehe das von oben. Ich bin tot und sehe mich hier selbst liegen.

»Hallo, Haaalllooo!«

»Sie rufen, Sie rufen!«, kreischt Leo auf. »Sie sind da!« Er wirft seine Mütze in den Schnee und trampelt darauf herum.

»Sie sind gekommen! Herrgott, ich könnte vor Freude platzen!«

Und dann ist auch der Hubschrauber wieder da. Er muss etwas weiter weg gelandet sein.

»Hallo! Ist alles in Ordnung?«

Sie stehen oben an der Gletscherspalte.

»Ja, ja, natürlich! Mann, das hat aber lange gedauert«, ruft Leo hinauf. »Los, holt uns raus! Schnell, ich halte es nicht mehr aus!«

»Wir lassen ein Seil hinunter.«

»Gut, ich warte.«

Ich liege da und höre alles. Ich möchte sie auch begrüßen, aber meine Stimme ist so schwach. Nur noch ein Krächzen kommt heraus.

Meine Augen verfolgen das Seil. Es kommt langsam heruntergeschwebt. Die Rettung! Wir müssen nicht erfrieren, nicht sterben. O Diane, ich komme wieder. Und jetzt wird mir wieder etwas wärmer. Die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen lässt mein Blut noch einmal aufwallen.

Leo packt das Seil. Ich habe ihm, bevor wir losgingen, genau gesagt, wie man sich abseilen muss, falls das mal erforderlich sein sollte. Und jetzt profitiert er davon.

Dann dreht er sich um und sieht mich an. Und er wirft mir die halbvolle Schnapsflasche zu. Sie rollt heran, aber nicht nah genug, dass ich sie holen kann.

»Jetzt kannst dich vollsaufen!«, sagt er lachend und macht sich an den Aufstieg.

Ich sehe ihn immer kleiner und kleiner werden. Leo hat es also geschafft. Dann ist er oben, und die Männer von der Bergwacht werfen ihre Mützen in die Luft und freuen sich, dass sie es mal wieder geschafft haben, Menschen vor dem weißen Tod zu retten. Sie umarmen ihn und klopfen ihm auf die Schulter.

Dann lassen sie wieder das Seil herunter. Jetzt soll ich kommen. Das Seil baumelt vor meiner Nase, aber ich bin so schwach, dass ich es nicht einmal mit den Händen fassen kann, geschweige, es um meinen Körper zu knoten, mich hinaufzustemmen.

»He, Viktor! So mach doch schon! Nimm dir ein Beispiel an dem Hamburger. Der hat das wirklich schnell gekonnt!«, spornen sie mich an.

Tränen schießen mir in die Augen. Ich möchte ihnen zurufen: Holt mich doch! Ich bin doch so schwach. Aber meine Zunge ist dick und mein Mund so trocken.

Leo ist schon in den Hubschrauber gebracht worden. Die Bergleute sehen sich ratlos an.

»Warum kommt er nicht? Ich verstehe das nicht. Viktor ist doch sonst so ein fixer Junge. Herrgott, Viktor, nun mach doch schon! Wir schaffen es schon. Wir halten dich. Jetzt ist doch alles gut, hörst du?«

Sie glauben, ich hätte einen Koller. Das kommt oft vor. Wenn man so verzweifelt auf Rettung wartet und sie dann endlich da ist, dann glaubt man einfach nicht daran. Das habe ich selbst schon erlebt. Außerdem, hatte nicht auch Leo hier unten so etwas wie einen Koller?

»Ich steig mal runter. Mir kommt das unheimlich vor«, sagt Seppel. »Ich seh mal nach.«

»Gut, nimm ein zweites Seil mit. Dann geht es schneller.«

»Mach ich.«

Seppel kommt herunter. Ich sehe ihn steigen. Aber solange er in der Eiskristallwand steckt, kann er sich nicht umdrehen, und so sieht er mich auch nicht.

Aber dann ist er unten und sieht mich am Boden liegen.

»Viktor!«, ruft er erschrocken. »Was ist denn los? Hast du vielleicht Brüche?«

Ich schüttle den Kopf.

»Was ist denn los? So sprich doch endlich!«

Ganz leise schwingen sich die Worte von meinen Lippen. Seppel kniet sich hin und legt ein Ohr an meine Lippen. Und ganz schwach hört er dann die Worte:

»Ich kann nicht, ich bin halbtot gefroren. Hilf mir!«

Seppel richtet sich auf und starrt mich an.

»Viktor, der Hamburger war doch in Ordnung. Prächtiger Bursche, trotz seines Alters keine Schwäche. Wieso bist du nicht in Ordnung? Da stimmt doch was nicht. Was ist los?«

Ich schließe die Augen. Das Sprechen fällt mir unendlich schwer.

»Er, er hatte zu essen, und den Schnaps«, kommt es dann wieder ganz schwach von meinen Lippen.

»Waaas?«, sagt Seppel fassungslos.

Ich wende den Kopf zur Seite. Seppels Blick fällt auf die halbvolle Flasche. Er seufzt einmal tief auf, greift sie und hält sie dann in Händen.

»Viktor, Viktor, soll das heißen, er hat dir nichts gegeben? Er hat zugesehen, wie du hier liegst und erfrierst und dir nichts gegeben?«

Ich nickte, dann sage ich leise: »Er hat vor Angst einen Koller bekommen. Sein Verhalten war nicht normal.«

»Das ist hart, das ist verflucht gemein. Himmel Kreuz Donnerwetter, das ist ja fast Mord«, keucht er. »Schau, Viktor. Es hätte für euch beide gereicht. Lange Zeit, hörst du? Hast du ihm denn nicht gesagt, dass du was brauchst, damit du nicht erfrierst?«

»Ich, ich hab ihn angefleht, Seppel. Könnt ihr mich noch rausholen? Oder ist es zu spät?«, flüstere ich leise.

Dem Seppel laufen Tränen übers Gesicht. Ganz behutsam streichelt er mich.

»Viktorchen, wirst schon rauskommen. Keine Sorge, kennst uns doch. Vertrau uns.«

»Aber ich lieg schon so lange hier«, stammle ich.

Sein Gesicht wird hart und kantig. Er steckt die Flasche ein und geht dann zum Seil zurück. Er ruckt in kurzen Abständen daran. Wir haben unsere unsichtbare Sprache.

Oben wird sie sofort verstanden, und sie sehen sich betroffen an. Seppel hat gefunkt: Noch einer runterkommen. Und eine Trage herablassen.

»Jesus Maria, den Viktor hat’s also erwischt.«

Zwei laufen zum Hubschrauber zurück und holen die Trage. Leo Ackermann sitzt breitbeinig da und murrt, dass er noch nicht ins Tal geflogen wird.

»Wie lange dauert es denn noch?«

»Müssen erst den Viktor holen«, gibt man ihm kurz zur Antwort.

Er zuckt die Schultern.

Während der Andreas mit der Trage runterkommt, spricht Seppel weiter mit mir. Er weiß, ich darf nicht einschlafen, sonst könnte ich vielleicht nie mehr aufwachen. Und er will von mir wissen, wie das gekommen ist.

»Weißt doch so gut Bescheid, Viktor. Grad du!«

Mit schwerer Zunge versuche ich ihm zu erklären, wie alles gekommen ist.

»Diese verfluchten Touristen!«, schimpft er dann los. »Hören nie, wenn man ihnen was sagt. Und wir sind auch noch auf sie angewiesen, das macht die ganze Sache ja so blöd.«

Seppel geht dem Andreas entgegen und sagt ihm, was er von mir weiß. Andreas will und kann es einfach nicht glauben. Kann ein Mensch wirklich so unbarmherzig sein?

»Hat uns nichts davon gesagt, dass der Viktor nicht allein raufkommen kann. Der hat nur an seine Haut gedacht. Und ich dachte, der Viktor lässt ihn vor, weil es sich eben so gehört.«

»Eine verdammte Schweinerei ist das!«

»Herrgott, ich könnt ihm den Hals umdrehen. Der Mann ist doch nicht zurechnungsfähig.«

Dann schauen sie die Gletscherwand hinauf.

»Mit der Trage wird es schwer gehen. Der Rand steht zu weit vor. Ich muss ihn mir aufschultern, Andreas.«

»Wirst du es schaffen? Der Viktor ist groß und stämmig.«

»Weiß ich. Hast du einen anderen Rat?«

»Der Hubschrauber! Er muss das Seil runterlassen! Wir hängen die Trage daran, und aufi gehts!«

Seppel macht sich wieder an den Aufstieg, soweit, bis er seinen Kollegen oben an der Spalte zurufen kann, was sie tun sollen. Sie nicken ihm zu. Seppel kommt wieder nach unten. Vorsichtig werde ich auf die Trage gelegt und dann festgeschnallt.

»Wird alles klappen, Viktor. Brauchst keine Angst zu haben. Bald bist du im Krankenhaus.«

»Ja«, sage ich und versuche ein klägliches Lächeln.

Ich spüre gar nichts. Komisch ist das, nicht einmal Hunger habe ich. Sie haben auch Schnaps bei sich, wollen mir etwas geben, aber Seppel meint zögernd:

»Ich weiß nicht, vielleicht ist das jetzt nicht gut. Lassen wir es. Bald ist er in Mayrhofen.«

Über unseren Köpfen in der Luft steht der Hubschrauber. Der Lärm bricht sich in der Spalte zu einem tausendfachen Echo. Langsam sehe ich, wie ein Seil heruntergekurbelt wird. Andreas fasst es, zieht es zu sich heran. Sie können es teilen und verbinden es mit den Vorrichtungen an meiner Trage. Dann heben sie die Arme über den Kopf: das Zeichen, dass man mich hochziehen soll.

»Alles Gute ...«

Der Nachhall klingt mir noch in den Ohren. Ich schwebe. Immer höher und höher werde ich gezogen, verlasse die Eishölle, sehe jetzt im Sonnenschein wieder die wundersame Schönheit. Dann ist der Rand erreicht. Die Bergmannschaft winkt mir zu. Neben ihnen steht Leo Ackermann. Ich sehe ganz deutlich sein unwilliges Gesicht. Schon hat er im Hubschrauber gesessen, und dann wurde er ziemlich unsanft herausgezogen.

Dann bin ich im Hubschrauber. Helfende Hände ziehen mich hinein. Ein Arzt ist auch da. Er fragt mich so viel, und ich kann keine Antworten geben. Plötzlich ist mir übel. Sie ziehen mir eine Maske über den Kopf. Alles ist jetzt dunkel. Dann ist da ein Loch, so tief und schwarz und am Ende steht ein riesiger Kerl und ruft immer wieder:

»Du liebe Güte, du liebe Güte, mein Gott...«

7 Heimat-Romane um Liebe  in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019

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