Читать книгу 7 Heimat-Romane um Liebe in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019 - A. F. Morland - Страница 26
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ОглавлениеEin Brief liegt auf dem Tisch. Ich beäuge ihn schräg. Wer hat mir da geschrieben? Das muss doch bestimmt ein Irrtum sein, denke ich. Tantchen kommt mich immer besuchen, andere Verwandte habe ich nicht. Und meine Studienkollegen wissen nichts von dem Unfall. Oder vielleicht doch? Natürlich, die Zeitungen haben es ja gebracht!
Ich nehme den so unschuldig aussehenden Brief und drehe ihn um. Absender: Fräulein Hof! Komisch denke ich, warum bin ich auf einmal so nervös? Wieso klopft mein Herz schneller, nur weil mir ein Mädchen geschrieben hat? Ich werde wirklich alt und tapsig, denke ich wütend.
Ich klettere erst ins Bett und decke mich hübsch zu. Der Brief liegt noch immer neben mir. Arg dünn, denke ich. Na ja, was soll sie mir auch groß schreiben. Schließlich habe ich sie ja wirklich nicht fein behandelt. Dass sie mir überhaupt schreibt, finde ich doch sehr nett. Und dann fällt mir ein, dass ja das Honorar für die Artikel an Marianne gegangen ist. Also wird sie ein paar Worte des Dankes finden.
Aber, zum Teufel, warum ärgere ich mich darüber? Das Thema ist doch wirklich abgeschlossen. Und überhaupt, Mädchen! Nun denn, eines Tages werde ich meinen Beruf ausüben und ein Einsiedler werden.
Endlich reiße ich den Umschlag auf. Heraus fällt zuerst ein Scheck. Wirklich, das Sümmchen ist nicht zu verachten. Ich bin verblüfft und ahnungslos und frage mich noch nicht einmal: wieso Scheck?
Und dann fällt da noch ein kleines Zettelchen heraus. Wirklich, es ist sehr klein. Und es steht nur ein Satz darauf:
»Von einem abscheulichen Mann lasse ich mir nichts schenken!«
Bums, aus, mehr nicht. Keine Unterschrift, nichts! Ich schnappe nach Luft. Das ist wirklich einsame Spitze! Das ist ja...
Und dann mache ich meinem Herzen sehr laut Luft, in dem ich rufe: »Hexe, verdammte kleine Hexe!«
Ich sitze da, halte den Scheck nebst Zettel in der Hand und habe eine furchtbare Wut im Bauch, so toll und wild, dass ich am liebsten aufspringen möchte und...
Ja, zum Teufel, warum rege ich mich eigentlich auf? Wenn sie so dumm ist und das Geld nicht haben will, Himmel, warum rege ich mich dann so auf? Ich lache laut auf, aber damit wird meine Stimmung nicht besser. Im Gegenteil!
Oh, ich bin wütend, schrecklich wütend! Die Möbel möchte ich zerschlagen. Noch besser, ich möchte in ein Auto steigen, zu ihr hinbrausen, sie nehmen und verprügeln. Oh, ich sehe ganz deutlich ihre spöttischen Augen. Von einem abscheulichen Kerl! Also, da hört sich wirklich alles auf!
Und ich werde es tun! Ich werde es tun, und nichts wird mich davon abhalten. Gar nichts!
Die nächsten Tage muss man mich bald aus dem Übungssaal herausprügeln! Ich übe und übe, bis mir schwarz vor den Augen wird. Allen will ich es zeigen! Mit mir muss man rechnen! So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen! Ich bin auch noch jemand! Und dieser kleinen Hexe werde ich die Haare einzeln ausreißen, und es wird mir eine wahre Freude sein.
Man wundert sich über meine Aktivität. Erst war ich so lahm und habe nicht daran geglaubt, dass ich je wieder ein normales Leben führen könnte; jetzt geht mir alles viel zu langsam. Ich will es schnell schaffen.
Schon brauche ich nicht mehr am Barren zu üben. Jetzt hat man mir Krücken gegeben. Die erste Zeit war ich ziemlich wackelig damit. Und natürlich bin ich auch so manches Mal auf die Nase gefallen. Ein Supermann bin ich nicht. Leider. Aber verbissen arbeite ich mich vor, und dann kann ich das. Und ich lerne nicht nur laufen, ich übe an einem Standfahrer, rudere und muss Treppen steigen. Und das alles geht schon recht gut, Ich kann mir die Prothese jetzt auch selbst anlegen. Sie steht immer neben meinem Bett. Ich bin eine unabhängige Person geworden. Ich brauche nicht mehr zu klingeln, wenn ich etwas haben oder tun möchte. Dann stehe ich einfach auf und tu es selbst.
Das macht mich froh und glücklich. Aber mir fällt das Herz in die Hose, als Doktor Burger eines Tages kommt und sagt: »So, jetzt wollen wir es mal ohne Krücken versuchen.«
»Nein!«, sage ich entsetzt. »Das kann ich nicht!«
»So haben Sie auch zu Anfang gesprochen«, sagt er fröhlich.
»Sadist!«, zische ich ihm zu. Er nimmt es gar nicht wahr.
»Ich habe Ihnen versprochen, dass Sie ein ganz normales Leben werden leben können. Und ich halte mein Versprechen.«
»Aber das tue ich ja schon längst! Ich frage mich schon, warum ich noch hier bin. Sie können mich ruhig entlassen.«
»Das könnte Ihnen so passen, was?«, gibt er lachend zurück. »Zu einem normalen Leben gehören keine Krücken«, betont er heftig.
»Ich bin volljährig und kann selbst entscheiden, was ich möchte«, gebe ich zur Antwort.
Und was tut dieser schreckliche Mensch? Er nimmt mir einfach die Krücken fort. Das ist ja so leicht. Denn als er mir das antut, sitze ich gerade auf dem Standfahrrad. Wie kann ich mich dagegen wehren!
»Ich hole sie mir schon wieder!«, rufe ich ihm böse nach.
»Bitteschön, von mir aus«, sagt er gelangweilt und stellt sie an das andere Ende des Saales.
Dazwischen ist eine verdammt lange Strecke. Oder aber, ich schleiche an der Wand entlang. So habe ich noch einen kleinen Halt. Gesagt, getan! Und es klappt auch ausgezeichnet. Aber dann, dann ist da eine Tür. Und die scheußliche Tür steht offen. Himmel Herrgott, ich fühle mich wie ein Säugling, der laufen will und nicht kann.
»Na?«, provoziert er mich.
Ich weiß, wenn ich jetzt keinen Mut beweise, werde ich es nie tun. Ich habe mit vielen Menschen hier gesprochen. Sie haben alle gesagt, die ersten Schritte ohne Hilfe wären schrecklich.
Wenn ich ganz schnell losschieße, denke ich, dann kann mir nichts passieren. Bevor ich Bekanntschaft mit dem Fußboden mache, habe ich schon die rettende Wand erreicht. Und dann gehe ich allein! Vollkommen allein! Zwar wanke ich wie ein Wüstenschiff, aber ich gehe!
»Bravo, ich wusste ja, Sie haben Schneid«, sagt Burger an meiner Seite.
Ich gehe und gehe und denke nicht daran, die Wand zu berühren.
»Ich kann es!«, juble ich.
»Wenn ich ehrlich sein will, ich habe gewusst, dass Sie es schaffen«, sagt der Arzt. »Sie sind jung und haben nicht aufgegeben, Sie werden es auch weiterhin schaffen.«
Ich brauche wirklich keine Krücken mehr. Mein Gott, ich bin schrecklich glücklich.
Der nächste Tag ist ein Sonntag. Ich will die Tante überraschen. Bis jetzt lag ich immer im Bett, wenn sie kam. Ich ziehe mir meinen Sonntagsanzug an und binde mir die Krawatte. Schlecht sehe ich wirklich nicht aus. Und so, wie ich vor dem Spiegel stehe, kann niemand sehen, dass ich ein künstliches Bein habe. Ich nehme ein paar Schritte, ach, mein Herz will zerspringen! Das Leben hat wieder einen Sinn für mich bekommen.
Tante Therese weint vor Glück.
»Bub, Bub, bist du es wirklich? O Gott, du kannst wieder gehen! O Bub, wie freue ich mich für dich! Oh, ich bin ja ganz fertig, wirklich. Das ist die schönste Freude, die man mir machen konnte. Du bist wieder gesund!«
»Merkt man auch wirklich nichts?«
»Wenn man’s nicht weiß, bestimmt nicht. Und sicher wird es mit jedem Tag besser.«
»Ja, Tante«, sage ich weich.