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Leo sitzt weit von mir abgerückt. Immer wieder sieht er mich von der Seite an. Dann kann er es plötzlich nicht mehr aushalten. Furchtbar eilig schnallt er den Rucksack auf und wühlt mit den Händen darin. Er hat ein riesiges Stullenpaket eingepackt.

»Hast immer über mich gelacht, jawohl!«, sagt er mit rauer Stimme. »Jetzt siehst du selbst, wie gut es ist, wenn man vorsorgt. Jawohl!«

Der Hunger springt mich an wie ein wildes Tier. Meine Gedärme knurren laut. Wir haben uns mächtig angestrengt und seit dem Frühstück nichts mehr zu uns genommen. Ursprünglich wollten wir eine Wanderung machen, zur Olperer Hütte zurückkehren, dort essen und nachher wieder hinunterfahren. So war es geplant. Warum sollte man etwas mitnehmen? Meine Aufgabe war, für ein gutes Seil und Pickel zu sorgen. Und das habe ich auch getan. Überhaupt, einen Rucksack hätte ich gar nicht mitnehmen können, da ich ja den von Leo Ackermann tragen musste.

»Hast immer über mich gelacht. Wer zuletzt lacht, lacht am besten«, sagt er und packt die Stullen aus. Aber seine Augen sind noch immer voller Angst.

Ich schweige. Mir ist schon schwach vor Hunger. Der Anblick macht mich krank. Dumpf denke ich: Lass ihn reden, er kann dich auch ruhig beschimpfen; Hauptsache, ich darf etwas essen.

Leo steht auf, und ich denke er kommt zu mir, um mit mir zu teilen, wie es das Gesetz der Berge vorschreibt. Aber Leo steht auf und geht davon. Und als er nach kurzer Zeit wiederkommt, sind seine Hände leer. Er hat alles allein aufgegessen! Gesättigt sitzt er auf dem Rucksack und zündet sich die letzte Zigarre an. Seine Hände zittern. Weiß er, was er getan hat? Seine Angst muss unermesslich sein.

»Jetzt könnten sie wirklich bald kommen. Es wird allmählich kalt hier drin.«

Der Herr Fabrikant ist gut verpackt. Er spürt noch nicht die Kälte. Und seltsamerweise trägt er jetzt auch noch eine Strickjacke aus Wolle. Die muss er wohl auch im Rucksack gehabt haben. Und ich durfte das alles tragen!

Es wird langsam dunkel; und mein Herz weiß, heute wird keiner mehr kommen, um uns zu suchen. Es wäre Wahnsinn und würde zu nichts führen. Wir müssen also die Nacht in der Spalte verbringen. Kälte dringt an mein Herz.

Nein, denke ich bestürzt, sie können uns doch nicht einfach im Stich lassen! Warum sind sie denn nicht sofort aufgebrochen? Warum nicht?

Meine Beine werden müde. Ich darf nicht mehr stehen bleiben, mich nicht mehr setzen. Ich muss laufen, laufen, mein Blut in Bewegung halten. Aber ich fühle mich so müde, so schwach, so müde.

Seit Stunden haben wir schon nicht mehr miteinander gesprochen. Manchmal meine ich, Leo wäre gar nicht mehr da. Meine Augen versuchen, die Dunkelheit zu durchdringen. Aber dann sehe ich ihn wieder als dunklen Schatten. Er geht immer auf und ab, bleibt stehen, geht dann wieder hin und her.

Mein Verstand begreift das nicht. Ich bin doch ein junger Mann, wieso macht ihm das keine Mühe? Warum wird er nicht müde?

Der Himmel ist tiefschwarz. Die Sterne sehen mich tröstend an, so meine ich. Meine Beine sind schwer wie Blei, ich taumle nur noch hin und her.

Wenn der Durst schrecklich wird, stecke ich mir eine Handvoll Schnee in den Mund.

»Du darfst dich nicht setzen«, sage ich mit schwerer Zunge zu meinem Begleiter. »Du musst immer in Bewegung bleiben, hörst du, Leo. Morgen früh werden sie kommen. Sobald es hell wird hörst du? Wir werden gerettet, ganz bestimmt.«

»Siehst du denn nicht, dass ich hin und hergehe?«, ruft er zurück.

»Hier ist es so dunkel und verschwommen. Manchmal kann ich dich gar nicht richtig sehen, Leo.«

»Macht nichts. Leo geht nicht unter. Keine Sorge«, gibt er laut zurück. »Leo weiß sich immer zu helfen, immer.«

Und jetzt fängt er auch noch an zu singen. Dieser Mann ist mir wirklich ein Rätsel. Ich habe ihn unterschätzt. Himmel, wie schafft er das nur? Er muss doch bald sechzig sein, und ich bin fünfundzwanzig und stamme von hier. Warum kann ich das nicht? Warum falle ich immer wieder um?

Gegen Morgen ist es dann soweit. Die Sterne verblassen am Himmel, ich stürze über einen Eissockel und falle mit dem Gesicht nach vorn. Ich kann nicht mehr aufstehen. Ich kann nicht mehr.

Ganz, ganz langsam bricht das Tageslicht sich Bahn in unser Gefängnis. Ich hebe den Kopf und sehe Leo vor mir stehen.

»Kannst du mir aufhelfen?«, frage ich mit zitternder Stimme. »Allein schaffe ich es nicht mehr.«

»Dir jungem Schnösel soll ich aufhelfen? Wohl bisschen schwach auf der Brust, wie?«

»Ich bin am Ende«, murmle ich mit aufgesprungenen Lippen.

»Kann nicht. Muss mit meinen Kräften haushalten. Weiß der Teufel, deine Versprechungen taugen nichts.«

»Diane«, murmele ich. »Diane, warum tut sie nichts?«

»An Diane liegt es nicht. Die Dickschädel können sich mal wieder nicht einigen«, gibt er bissig zurück.

Ich liege immer noch auf der Erde, und die Kälte dringt durch meine Kleidung. Mit letzter Kraft kann ich mich hochziehen und sitze nun gegen diese Eiswand gelehnt. Ich müsste aufstehen und laufen, immer nur laufen. Meine Füßen fühlen sich so seltsam an. Ich bin so sehr müde.

Leo stapft an mir vorüber. Er geht in die Ecke. Ich öffne die Augen und schaue ihm nach. Und da sehe ich, wie er eine Flasche Schnaps aus seiner Innenjacke zieht und aus ihr einen kräftigen Schluck nimmt. Sie ist noch halbvoll!

Ich schließe die Augen, und ein Stöhnen dringt über meine Lippen. Nun weiß ich auch, warum er noch nicht müde ist, warum er noch so munter herumläuft.

»Leo!«, krächze ich.

»Er zuckt herum und wir starren uns an. Seine Augen sind kalt, eiskalt und voller Angst.

»Gib mir einen winzigen Schluck, dann komm ich wieder auf die Beine. Der Schnaps wird mich von innen aufwärmen, und meine Müdigkeit verfliegt. Nur einen winzigen Schluck, bitte ...«

Er schraubt die Flasche zu und geht zum anderen Ende der Schlucht. Meine Augenlider sind so schwer. Kaum kann ich sie noch aufhalten. Ich bin so müde.

Und jetzt bricht der Tag an. Die grausige Nacht ist überstanden. Nun muss der Hubschrauber kommen. Im Tal müssen sie sich jetzt rüsten. Bald sind sie hier und werden uns finden. Es ist kein neuer Schnee gefallen. Sie müssen uns finden!

Mit den Augen suche ich den klaren Himmel ab. Lausche angestrengt. Aber nichts. Tot und still ist alles um uns herum. Leo singt wieder; er ist betrunken. Immer wieder greift er zur Flasche. Sie wäre mein Lebensretter. Ich weiß, wenn ich nur einen Schluck bekäme, dann würde ich es schaffen.

Mit letzter Kraft krieche ich ihm nach. Ich will ihn noch einmal anbetteln. Er muss doch ein Herz haben, muss doch sehen, dass er mir helfen kann.

»Streng dich nicht an, du kriegst nichts ab!«, sagt er böse auflachend. »Hab ich dir nicht gesagt, Leo schafft es. Ein Ackermann beißt sich durch. In allen Lebenslagen.«

»Kennst du denn keine Barmherzigkeit?«

»Du hättest dir ja was einstecken können«, sagt er brutal. »Es ist allein deine Schuld. Den Schnaps kriegst du nicht, den behalt ich für mich. Vielleicht müssen wir noch Stunden warten.«

»Ich will doch nur einen Schluck...«

»Flenn nicht so!«

Ich lasse mich fallen. Jetzt liege ich auf dem Rücken. Schlafen, denke ich, ich möchte nur noch schlafen. In meinem Kopf ist völlige Leere. Ich habe kein Hungergefühl, keine Schmerzen, ich bin nur so furchtbar müde.

7 Heimat-Romane um Liebe  in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019

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