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Nach dem großen Entsetzen beginne ich mich zu schämen. Ich weiß, ich habe mich undankbar benommen. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht. Unermüdlich sind sie um mich herum und halten mein jämmerliches Leben intakt.

»Verzeihen Sie mir«, sage ich zum Arzt, als er nach Stunden zurückkommt.

Er lächelt. »Aber, das ist doch ganz natürlich. Ich bin Ihnen nicht böse. Jetzt, wo Sie sich erleichtert haben, sehen Sie doch selbst ein, dass es dumm ist, sich selbst aufzugeben.«

»Ich sehe noch immer keinen Sinn darin«, sage ich schwach.

»Gewiss«, sagt er ruhig. »Weil es unsinnig ist. Sie sind zum Gespräch des Tales geworden. Die Leute wollen seinen Skalp.«

Ich schließe die Augen. Leo Ackermann, denke ich bitter.

»Wenn er Ihnen nur ein wenig von dem Schnaps gegeben hätte, dann wären Sie nicht im Sitzen eingeschlafen. Dann wären Sie jetzt genauso gesund und munter wie er.«

Meine Brust will zerspringen. Ich weiß das alles. Immer wieder muss ich daran denken. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich mein Bein verloren habe. Ihm allein, Dianes Vater.

»Sie sollten ihn wirklich vor Gericht bringen.«

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sage ich spröde.

»Nein? Haben Sie vielleicht noch Mitleid mit diesem Schuft?«

»Nein, überhaupt nicht. Aber er ist der Vater des Mädchens, das ich liebe. Zerstöre ich dadurch nicht alles? Außerdem hatte er so etwas wie einen Koller. Er war der Situation nicht gewachsen, also nicht ganz zurechnungsfähig.«

Der Arzt nickt nur, er weiß, dass meine Vermutung richtig ist. In der Spalte haben wir über Diane gesprochen. Das fällt mir jetzt wieder ein. Er behauptete sogar, sie würde mich nicht lieben. Er war also gegen diese Verbindung. Aber Diane, denke ich zärtlich, sie wird zu mir halten. Sie kann nichts dafür, dass sie einen so rauen und harten Vater hat. Jetzt ist sie mit ihm ganz allein. Sicher lassen die Leute auch an ihr den Hass aus. Ich kenne doch die Dörfler.

Nach zwei Tagen werde ich auf eine normale Station verlegt. Tante besucht mich wieder. Ihre Augen sind umschattet.

»Lieber, lieber Bub«, sagt sie bewegt. »Was soll nur werden? O Junge, wärst du doch bei mir geblieben, dann wärst du jetzt gesund und munter.«

»Der Arzt sagt mir, ich bekomme später eine Prothese. Man wird dann kaum noch etwas merken. Und wenn ich gut übe, kann ich sogar wieder tanzen. Weißt du Tantchen, Diane wird mir helfen, den ersten großen Schmerz zu überwinden. Ich werde es schon schaffen.«

»Wirklich?«, sagt sie hoffnungsfreudig. »Du lässt also den Kopf nicht hängen? Wie mich das freut! Ach Bub, und ich glaubte schon, du würdest daran zerbrechen.«

Ich beiße die Zähne zusammen. Wie nahe war ich daran, zu zerbrechen. Aber die Tante soll es nie erfahren. Die Liebe und die Zuversicht halten mich aufrecht. Soll ich ihr vielleicht sagen, wie furchtbar es für mich ist, mein Bein zu betrachten? Immer wenn ich frisch gebettet werde, ist das der Fall. Sie leidet so schon genug. Nein, ich werde nie mehr über mein Gebrechen sprechen.

Ich beuge mich vor und ergreife ihre Hand.

»Warst du bei ihr? Tante, sag, hast du es getan?«

Sie nestelt an ihrem Taschentuch. Den Kopf gebeugt, will sie mich nicht anschauen. Ich sehe ihren faltigen Hals und die grauen Strähnen im Haar. Zärtlichkeit erfasst mich.

»Ich, ich war dort«, beginnt sie zögernd.

»Ja?«, rufe ich gierig. »Hast du mit ihr gesprochen?«

»Nein.«

Ich starre sie entsetzt an. »Aber Tante, warum denn nicht?«

»Weil, weil sie niemanden reinlassen, verstehst du? Da sind Reporter und so viele Leute. Mich wollten sie auch ausfragen, aber ich wusste nicht, ob dir das lieb wäre. Unten vor dem Krankenhaus stehen sie auch. Sie wollen über dich schreiben. Aber man sagt, du brauchst noch Schonung.«

»Das ist sein Werk«, sage ich enttäuscht. »Er will uns mit Gewalt trennen.«

Die Tante hebt den Kopf. Ihre Augen glänzen ein wenig.

»Da war aber ein anderes Mädchen. Sehr nett. Sie fragte nach dir mit so einer lieben, netten Stimme. Ich soll dir viele Grüße ausrichten. Ich glaube, sie ist sehr traurig darüber. Ja, sie hatte sogar Tränen in den Augen, als sie mit mir sprach.« Sie macht eine kleine Pause. »Doch leider habe ich ihren Namen vergessen, Viktor. Es war so eine dunkelhaarige, zierliche, kleine Person. Aber vielleicht weißt du, wen ich meine.«

»Ja, Tante, das weiß ich wohl.«

Marianne, denke ich bei mir, und ich sehe sie ganz deutlich vor meinen Augen.

»Ja, es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte, Bub. Du siehst, ich habe es versucht.«

»Ach, wie soll man ihr nur eine Nachricht schicken!«, rufe ich.

»Ich muss jetzt gehen, Bub. Mein Bus fährt gleich. Ich komme am Sonntag wieder. Hast du noch Wünsche?«

»Ach, Tante«, sage ich leise.

Sie wischt sich einmal kurz über die Augen.

»Bub, Bub«, flüstert sie, dann ist sie verschwunden.

Ich bin wieder allein mit mir und meinen Gedanken. Das Seltsame ist, ich hadere nicht mit meinem Schicksal. Die Liebe hält mich einfach aufrecht. Stark und fest ist sie. Der Glaube daran, dass doch noch alles gut werden wird mit Diane, mein Gott, er kann wirklich Berge versetzen.

7 Heimat-Romane um Liebe  in den Bergen: Bergroman Sammelband 7019

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