Читать книгу Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - A. F. Morland - Страница 36

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Einige Tage später sind wir im Roten Jäger, einer kleinen Studentenkneipe im Kreuzviertel. Kathi und ich haben Isabella hierher mitgenommen. Wir sitzen an einem alten Tisch im verwinkelten alten Haus, das in jeder Etage voll ist, und sind umgeben von Freunden und Kommilitonen.

Kathi stellt Isabella gerade eine Freundin aus der Archäologie vor. Währenddessen sitze ich an einem anderen Tisch mit meinen Studienkollegen Joshua und Micha. Joshua ist ein guter Freund von mir, Micha eher ein Unifreund. Nicht, dass ich ihn nicht mag, aber er ist eher der, mit dem man einen netten Abend hat, aber bei dem der Kontakt vermutlich schnell abbrechen würde, wenn man sich nicht jeden Tag in der Uni sieht. In der Schule hatte man auch schon solche Freunde, man hat es, glaube ich, nur erst später begriffen. Vor vielen Jahren habe ich mich mal mit meinem Vater über sowas unterhalten, er nannte sowas Kollegen-Freunde: Menschen, mit denen er gern Zeit verbrachte, als sie Kollegen waren, bei denen der Kontakt aber schnell einschlief.

„Was schaust du so deprimiert?“, fragt mich Micha und durchbricht meinen Gedankengang.

„Nix, hab nur gerade an meinen Vater gedacht.“

„Wieso, dreht er den Geldhahn zu?“, lacht Micha und trinkt von seiner Bierbowle, dann sieht er Joshuas Blick. „Was?“

Jetzt bemerke ich den Blick auch erst richtig. „Weil mein Vater tot ist“, erkläre ich und winke ab.

„Ey, sorry“, setzt Micha an, doch ich zucke die Schultern.

„Kannst du ja nix für. Sag mal, habt ihr eigentlich schon das Essay für Frau Pandra geschrieben?“

„Leidlich“, geht Joshua auf meinen Themenwechsel ein.

Mein Blick trifft den von Isabella am Nebentisch. Sie lächelt, bevor sie wieder ihre Gesprächspartnerin ansieht.

„Wollt ihr noch was?“, verhindert die Bedienung, dass Micha etwas sagen kann. Sie ist mir schon beim Bestellen aufgefallen, sie muss neu hier sein. Die roten Locken fallen ins Gesicht und sie pustet sie aus dem Weg.

„Noch ’n Alster“, sagt Joshua.

„Hab noch“, sagt Micha und hebt wie zum Beweis seine Bierbowle, in der noch diverse Früchte in einem Rest Bier schwimmen.

„Diese Runde setze ich aus“, sage ich. Sie deutet auf Joshua und wiederholt: „Dann ein Alster.“

Er nickt und sie verschwindet zwischen den eng gestellten Tischen und Stühlen durch das verwinkelte Gebäude zur Treppe. Die Theke ist im Erdgeschoss, aber die oberen beiden Stockwerke dieses alten Fachwerkhauses sind vollgestopft. Es ist kaum möglich, sich zwischen all den Stühlen zu bewegen.

„Also mein Essay ist eher ein Skelett“, erklärt Micha. „Ich knabbere noch an Bruno Latour. Die Akteur-Netzwerk-Theorie ist schwurbelig und er schreibt französisch.“

„Du sollst ja auch die Übersetzung lesen“, kann ich mir nicht verkneifen.

Er rollt mit den Augen. „Ich meine, er schreibt, wie alte französische Arbeiten aus den Achtzigern und Neunzigern eben sind, wenn sie aus den Geisteswissenschaften kommen. Viva la Nebensatz. Wieso einen neuen aufmachen, wenn ich den Gedanken noch in den alten Satz bekomme, so Endlos-Bauten, das meine ich. Meinem Gefühl nach ist das eher ein Franzosen-Ding. Siehe Foucault.“

Ich lache ehrlich amüsiert, weil mir so ein Gedanke auch schon gekommen ist. „Stimmt.“

„Ihr Alster“, sagt die Rothaarige und beugt sich an mir vorbei, um es vor Joshua abzustellen.

„Thx“, erwidert er gewohnheitsmäßig und schiebt ein „Danke“ hinterher.

Als sie weggeht, knufft ihn Micha in die Seite. „Weniger Chat-Akronym, mehr echte Interaktion.“

„Pff, als wärst du der Pick-up-artist“, erwidert Joshua.

„Mehr als dieses Trauerspiel“, sagt er und deutet auf mich. „Sich seit, was, über einem Jahr nicht mehr mit ‘ner Frau getroffen?“

„Keine Zeit“, sage ich und zucke die Schultern. „Masterarbeit vorbereitet, letzte Hausarbeiten abgegeben, Masterarbeit angemeldet und etwas Zeit für Hobbys und Knalltüten wie euch ... Da bleibt kaum Platz.“

„So sehr ich schätze, dass du mich mehr zu mögen scheinst als das schöne Geschlecht: Ich denke, es sind Ausreden. Du bist feige.“

„Du irrst dich“, sage ich und merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Enthusiastisch vom bisherigen Alkohol füge ich hinzu: „Ich kann jede haben. Ich sehe völlig okay aus und bin charmant.“

„Okay, Großmaul“, sagt Micha grinsend. „Dann besorg die Nummer der Bedienung.“

„Hä?“

„Genau, was ich sage. Die Bedienung hat dich auf eine Weise angesehen und vor allem du sie. Du findest sie schön, oder?“

„Joah“, sage ich.

„Gut, geh zu ihr, beweise deinen Charme. Bring uns ihre Handynummer.“

„Ich kenne sie gar nicht.“

„Ist doch egal. Wir suchen uns aufgrund der Optik aus, ob wir mit jemandem Kontakt aufnehmen. Trägt jemand ein Bandshirt? Sieht er aus, als wäre er oder sie ordentlich, oder hat sein Leben nicht unter Kontrolle? Wir urteilen fortwährend. Manchmal irren wir uns, manchmal liegen wir richtig. Also, wenn sie dir optisch zusagt, teste, wie sie als Person ist. Und wenn dein Charme die Nummer bringt, ist der Beweis erbracht. Du musst sie ja nicht anrufen, ich will nicht, dass du sie gleich heiratest“, erklärt Micha und Joshua lacht.

Ich sehe zu ihm und er zuckt die Schultern.

„Probier’s doch. Was soll schon passieren?“

„Sollen wir ihn unterstützen“, fragt Micha an Joshua.

„Wie?“

„Jeder von uns spendiert einen Zehner, wenn er sie beschafft?“

„Okay. Ein Versuch. Er geht zu ihr, redet mit ihr, bringt sie. Ende. Wenn es nicht klappt, zahlst du alles, was wir heute Abend bestellt haben. Und ich denke, ich bestelle mir dann noch was Schönes.“

„Ihr seid bescheuert“, sage ich.

„Und du feige“, bohrt Micha nochmal, sodass ich aufstehe.

„Okay. Bitte. Dann hol ich sie mir“, sage ich.

„Schnapp sie dir, Tiger“, sagt Micha lachend. Ich klopfe ihm im Vorbeigehen auf die Schulter und frage mich den ganzen Weg über, wieso ich das tue. Irgendwie war das nicht das, wohin ich wollte in dieser Unterhaltung. Doch nun stehe ich hier. Die rothaarige Bedienung ist gerade auf dem Weg von der Treppe hinunter aus dem oberen Stockwerk. Ich schneide ihren Weg.

„Hey, ich weiß, du arbeitest hier und es ist unprofessionell, aber ...“, setze ich an und sie hebt einen Finger.

„Kein Interesse“, sagt sie und mustert mich, während sie sich auf die Unterlippe beißt. „Nein“, sagt sie und schüttelt den Kopf.

„Bekomme ich einen Grund?“, frage ich ehrlich neugierig.

„Okay, eigentlich habe ich Interesse“, stimmt sie zu, hebt aber sofort wieder ihren Zeigefinger. „Aber: Ich habe keine Zeit und brauche diesen Job. Wenn ich aber was mit ‘nem Kunden anfange und es nicht klappt, bekommt das vielleicht mein Chef mit und dann bin ich hier raus. Also nein. Will dich nicht kennenlernen, egal wie es aussieht. Denn mehr wäre eh nicht drin.“

„Klingt fair“, sage ich und nicke. „Kannst du mir dennoch einen Gefallen tun?“

„Wenn’s nur damit zu tun hat, deine Bedienung zu sein“, sagt sie und zwinkert.

„Kannst du mir deine Telefonnummer bringen?“

Sie hebt die Augenbrauen. „Spreche ich undeutlich?“

„Nein, aber ich brauche irgendeine Nummer, für die Flachzangen an meinem Tisch. Es geht um eine Wette.“

„Das ist Pubertierenden-Niveau“, sagt sie abfällig und doch zucken ihre Mundwinkel kurz. Dann aber sagt sie: „Nein.“

Ich öffne den Mund, schließe ihn wieder. „Okay“, sage ich und gehe zu Joshua und Micha zurück. Das war eine Niederlage, ich muss ihr nicht noch mehr auf den Keks gehen. Ihr Job ist sicher schon stressig genug hier ohne Kerle wie mich.

„Tja, dann nehm ich mal, denke ich, den teuren Whisky von der Karte“, sagt Micha. „Du auch was, Joshi?“

„Vielleicht noch ein Alster“, sagt er und klopft mir auf die Schulter. „Mach dir nichts draus. Ist auch kein gutes Umfeld für einen Erstkontakt.“

„Hmm“, brumme ich. Natürlich hat er recht, das Ganze war dämlich. Aber ich bin schon eine Weile allein, da haben die beiden recht. Dennoch bin ich zufrieden, wie es ist. Ich sehe hinüber zum anderen Tisch, an dem Isabella sich gerade mit Johanna, einer Freundin von Kathi, unterhält. Sie studiert mit Kathi Archäologie.

Es ist nicht so, dass ich nicht vielleicht dabei bin, mich zu verlieben. Aber ist das wirklich klug?

„Das Alster, das du bestellt hast“, sagt die rothaarige Bedienung und beugt sich zu mir, um es abzustellen.

Ich sehe sie verwirrt an, sie zwinkert.

„Mir einen Whisky“, sagt Micha, „und für den Mann noch ein Alster.“

„Sofort.“

Schon ist sie weg. Ich sehe mir das Radler an und muss grinsen.

„Hoffe, du kannst dir dein Getränk selber leisten“, sage ich zu Micha. Ich reiche ihm den Bierdeckel, der unter meinem Radler stand. Eine Handynummer steht darauf.

„Alter, du verarschst mich. Die hast du draufgeschrieben“, sagt Micha.

„Sieht das wie meine Handschrift aus?“

„Wenn du eine sehr feminine Schrift faken kannst, ja.“

„Ich würde sagen, das zählt“, ergreift Joshua Partei für mich.

„Von mir aus“, sagt Micha und hebt die Hände.

Mein Blick trifft den von Isabella. Sie sieht sofort weg.

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