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Einen Monat nach der Beerdigung hat Kathi endlich ihr letztes Grabungspraktikum in Osnabrück. Wir begleiten sie, denn auf einer Baustelle, die eigentlich nicht stillstehen soll, wurden überraschend die Reste von Pfahlbauten gefunden. Das ist eine kleine Sensation, denn die Besiedlung dort sollte nicht in dieser frühen Epoche schon existieren. Allerdings gibt es immensen Druck, die Baustelle weiterlaufen zu lassen. Da ich schon mal mit auf einer anderen Grabung, auf der sie war, etwas dazuverdient habe, begleite ich sie. Am dritten Tag der Grabung kommt Isabella ebenfalls dazu. Jede Hand ist nötig, als wir in dem gewaltigen Loch arbeiten, das einmal eine Tiefgarage werden soll.

Inmitten des Lochs erhebt sich ein Plateau, in dem die Grabung stattfindet. Nur ein schmaler Bereich führt dorthin. Alles andere wurde inzwischen weiter abgetieft, um Vorbereitungen für die Fundamentlegung zu treffen. Isabella und ich helfen Johanna, einer Kommilitonin von Kathi dabei, das Planum an einer Stelle zu putzen. Das heißt nichts anderes, als vorsichtig die Erde in einem Bereich so abzutragen, dass man die Verfärbungen im Boden gut erkennen kann, um sie anschließend zu fotografieren und Skizzen anzufertigen. Die Verfärbungen hier zum Beispiel zeigen auch nach Jahrhunderten noch deutlich, wo die Pfähle des einstigen Hauses in den Boden gerammt wurden und wo einst ein Keller war, der später verfüllt wurde.

All das ist an der Verfärbung der Erde zu erkennen.

Dennoch ist es eine langwierige Aufgabe und die Sonne steht mittags heiß über uns.

„Ich hab über diese Anime-Serie nachgedacht“, sagt Isabella unvermittelt.

„Und?“

„Wieso gesteht die personaje principal, der ... main character ... nicht einfach, dass er was für sie empfindet?“

Ich zucke die Schultern. „Weil sie nicht der Typ Frau ist. Er bewundert sie, aber glaubst du, er sieht sie als eine Frau, die zu ihm passt? Er traut sich vielleicht nicht.“

„Vielleicht nicht, nein“, stimmt sie nachdenklich zu.

Ich bin mir gerade nicht mehr sicher, worüber wir eigentlich reden.

Neben uns beginnt ein Bagger, Teile der Rampe abzutragen, über die wir auf den Erdrest kommen, der noch nicht die Tiefe des übrigen Lochs hat.

Ich springe auf und winke dem Baggerfahrer. „Hey, Finger weg! Die Rampe brauchen wir noch!“

Die Baggerschaufel hält mitten in der Rampe inne und der Mann öffnet die Tür des Führerhäuschens.

„Was?“, ruft er über den Motor hinweg.

„Wir brauchen die Rampe noch!“, erwidere ich.

„Nein, die soll weg.“

„Nein, wir brauchen die noch!“

Er zuckt die Schultern und will weitermachen. Ich warte nicht darauf, dass einer der Archäologie-Studenten reagiert, sondern setze mich einfach auf die Rampe mitten in den Weg.

Der Mann gestikuliert, ruft etwas und stellt wütend den Motor des Baggers ab. In die Stille, die auf den abgeschalteten Motor folgt, tönt sein Ruf: „Ey, spinnst du? Geh da weg! Ich soll die Rampe entfernen, weil ihr bald fertig seid.“

„Sind wir nicht, sollten Sie nicht“, erwidere ich. „Klären Sie das mit Doktor Fritz.“

Das ist der zuständige Archäologe für die Grabung und sowohl für die Externen wie mich als auch für die anderen der letzte Entscheidungsträger.

„Boah ey, ich geh jetzt zum Bauleiter“, ruft der Baggerfahrer und stiefelt davon.

Es klingt eher wie „Ich geh jetzt zum Lehrer“, aber ich kann ihn auch verstehen. Es ist warmes Wetter und für ihn sind wir nur ein Störfaktor, der die Fundamentlegung behindert.

Allerdings ist das Geld für die Tätigkeit als Grabungshelfer gut bezahlt und ich kann Zeit mit Isabella verbringen. Also mache ich mich wieder daran, das Planum zu putzen ...

*

Etwas später ist es endlich so weit. Meine Mittagspause beginnt. Genau genommen war die eigentlich früher, aber Isabella und ich haben freiwillig weitergemacht, als die anderen ihre Pause genommen haben. Denn wir wollten nicht alle von der Baustelle verschwinden, solange die Gefahr besteht, dass die Bauarbeiter das hier alles abreißen.

Nun sind wir dran und wir nutzen die Pause für einen kleinen Spaziergang um den Block. Nach all dem Sitzen und Hocken tut es gut, die Beine zu bewegen.

„Und, wie steht’s um deinen Test?“, frage ich.

„Ach, no es ni fu ni fa. Musste ich nicht viel für Lernen. Gibt’s bei dir was Neues?“

Diese Redewendung kenne ich inzwischen gut von ihr. „Nichts Halbes, nichts Ganzes“ bedeutet sie und ich finde sie fast lautmalerisch.

„Nein“, sage ich. „Wieso?“

„Ach ... na ja. Sag mal, neulich im Jäger?“, fragt Isabella. „Da hast du dir die Nummer von der Bedienung geben lassen.“

„Ja, wieso?“

„Na, hast du sie angerufen?“

„Nein“, sage ich und schüttle den Kopf.

„Wieso nicht? Nicht dein Typ, oder bist du anderweitig ...?“, fragt Isabella.

„Nein“, gebe ich zu. „Ich hatte kein Interesse. Es ging um eine Wette“, erkläre ich und erzähle die ganze Geschichte.

Sie lächelt, als ich fertig bin.

„Machst du sowas öfter?“

„Wildfremde Frauen angraben? Ne“, sage ich ehrlich.

„Ihr seid da generell eher zurückhaltend“, stellt Isabella fest. „Auch mit Komplimenten.“

„Wer, ihr?“

„Ihr deutschen Männer. Keiner pfeift, keiner sagt was, wenn du vorbeigehst. Aber du wirst auch nicht angeflirtet. Ihr seid eher kühl, wie euer Wetter.“

„Ist vielleicht auch so ein Ding bei den Westfalen“, sage ich grinsend. „Nicht kritisiert ist bei uns oft Kompliment genug. Aber ehrlich, kann schon sein. Vielleicht hast du aber auch zu viel mit Menschen aus der Uni zu tun.“

Dann nach einer kurzen Pause frage ich: „Fehlen dir denn die Komplimente?“

„Ein wenig“, sagt sie und zieht einen Schmollmund.

„Na dann, lass dir sagen: Du siehst selbst in dieser Latzhose und den Arbeitsstiefeln umwerfend aus“, erwidere ich. Sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln. Der Kirchturm in unserer Nähe beginnt zu schlagen. Wir müssen zurück, unsere Pause ist rum.

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