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Zeitrechnung

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Zeit und Erinnerung – dieses Begriffspaar ist aufs Engste miteinander verknüpft, wie uns nicht erst vor Augen steht, seit der Ich-Erzähler in Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« ein Stückchen Madeleine in seine Teetasse tunkte. Zeit und Erinnerung stehen in einer so engen Verbindung, dass das eine ohne das andere kaum vorstellbar scheint. Üblicherweise gehen wir davon aus, dass man sich an ›frühere Zeiten‹ zurückerinnert, dass man Erinnerungsstücke aus vergangenen Tagen mit sich trägt und diese zurückliegenden Erlebnisse – gewollt oder ungewollt – wieder aufgerufen werden können.

Ich möchte mich jedoch an dieser Stelle nicht auf eine Diskussion des viel zu weiten Feldes von Zeit und Erinnerung einlassen, sondern diesen Ausgangspunkt nutzen, um auf ein weit weniger offensichtliches Thema hinzuweisen, nämlich den Zusammenhang von Erinnerung und Zeitrechnung. Man kann wohl kaum behaupten, dass die Zeitrechnung im alltäglichen Umgang für uns ein Ort der Erinnerung wäre. Zeitrechnung benutzen wir, aber wir erinnern uns nicht an sie. Wir scheinen in der Zeit gefangen zu sein, sie hält uns in der Gegenwart fest und zwingt uns zugleich, über das Vergangene nachzusinnen und das Zukünftige zu planen. Die Zeitrechnung ist dabei ein praktisches Hilfsmittel, nicht zuletzt für die Erinnerungsarbeit, insofern sie uns mit ihren wichtigsten Medien, der Uhr und dem Kalender, eine Gedächtnisstütze liefert und Erinnertes mit einem Datum oder einer Uhrzeit versieht sowie eine allgemeine temporale Orientierung bietet. Wir erinnern uns an vergangene Ereignisse, nicht jedoch an die Techniken und Medien, mit denen diese Ereignisse chronologisch sortiert werden.

Ein genaueres Hinsehen aber offenbart, dass in die Formen der Zeitrechnung tatsächlich sehr vieles eingelagert ist, das europäisches Selbstverständnis kenntlich macht und als Erinnerungsort dienen kann.

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