Читать книгу Dreimal fachgerecht gemordet: Krimi Großband 3 Romane 10/2021 - Alfred Bekker - Страница 32
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Es war ein eiskalter Morgen.
Leichter Nieselregen ging über Hamburg Mitte nieder, als Jan Dahms den breiten Bürgersteig der Straße entlangrollte. Seine muskulösen Arme griffen entschlossen in die Speichen des Rollstuhls und er bekam ein ziemlich beachtliches Tempo drauf. Ein älterer Herr, der gerade seinen Dackel ausführte, fluchte lauthals vor sich hin, als Jan an ihm vorbeizog.
Zwischen den Lippen hatte Jan einen Brief.
Ganz vorsichtig hielt er ihn dort...
In seinem Schädel hämmerte es wie wild.
Du solltest wirklich weniger trinken!, sagte irgendeine Stimme in seinem Kopf, die sich schon lange nicht mehr gemeldet hatte. Im Grunde war es ihm egal, was mit ihm wurde, wie lange er lebte, was morgen war oder nächstes Jahr. Er lebte von der Hand in den Mund.
Seit damals...
Seit der alten Geschichte...
Magst du in der Hölle schmoren, Maik Sutthoff!, durchzuckte es ihn mit einem Hauch jener unstillbaren Wut, die ihn in all den Jahren nie ganz verlassen hatte.
Ein Augenblick nur...
Sekunden...
Und danach war alles anders gewesen.
Mit einem heftigen Ruck trieb er den Rollstuhl voran. Sein Ziel war der der kleine Laden an der Ecke. Kaum hundert Meter waren es von seiner Haustür bis dorthin.
Die Stufe am Eingang machte ihm mittlerweile keine Probleme mehr. Er hatte es nahezu perfekt raus, wie er so etwas überwinden konnte.
Eine Klingel läutete, als er in den Laden kam.
Hinter dem Tresen stand Anna Polzin, 25, rothaarig und hübsch. Richtig sexy war sie in Jan Dahms' Augen. Aber wenn er ihr begegnete, war das immer eine zweischneidige Sache. Er mochte ihren Anblick. Die kurvenreiche Silhouette ihres Körpers und ihr Lachen.
Aber das alles erinnerte ihn auch immer wieder daran, dass er ein Krüppel war.
Ein wertloser Krüppel.
Seit damals...
Da schloss sich der Kreis.
»Hallo, Jan. Wie geht's?«
Jan konnte nicht sofort antworten, weil er den Brief im Mund hatte.
Er rollte zum Tresen.
Der Brief glitt ihm aus den Lippen.
Er fiel auf seinen Schoß und blieb dort liegen.
»Hallo, Anna«, meinte er.
»Das Übliche?«, fragte Anna.
Er nickte. »Ja.«
»Habe ich mir gedacht. Ich habe es schon eingepackt!« Anna deutete auf eine braune Papiertüte und zeigte beim Lachen ihre strahlend weißen Zähne.
Er lächelte nicht zurück.
Da war etwa an seinen Zügen, das Anna unwillkürlich zusammenzucken ließ.
Ihr Gesicht veränderte sich. Sie runzelte die Stirn.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie.
»Nichts, was dich kümmern müsste.«
Sie reichte ihm die braune Papiertüte. Er sah nicht hinein.
Ein paar Flaschen klapperten gegeneinander.
»Willst du einen Kaffee?«
»Ja. Schreib alles an, Anna. Ich habe im Moment kein Geld dabei.«
Anna nickte.
»Ich weiß, in der anderen Jacke.«
Er sah sie böse an. Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Er presste die zitternden Lippen aufeinander. Die Nasenflügel begannen zu beben.
»Es geht dir nicht gut, was?«, meinte Anna dann. In ihrer Stimme schwang echte Besorgnis mit. Sie atmete tief durch und schien einen Moment lang zu überlegen, was sie sagen sollte.
Schließlich brachte sie heraus: »Soll ich einen Arzt holen?«
»Kümmer dich um deinen eigenen Kram!«
»War ja nur eine Frage!«
»Und ich habe sie beantwortet!« Er seufzte. Dann schaute er sie an. Sein Gesicht entspannte sich leicht. »Tust mir einen Gefallen, Anna?«
»Worum geht's?«
»Um einen Brief. Bringst du ihn nachher für mich zur Post?«
»Du kannst ihn hier...«
»Nein! Ich will, dass du ihn beim Hauptpostamt aufgibst!«
»Also...«
»Ja oder nein?«
»Na, gut. Ich muss sowieso Briefmarken holen...«
»Danke.«
Er reichte ihr den Brief.
Sie sah auf die Adresse.
Sie tut es aus Mitleid!, ging es Jan durch den Kopf. Aus keinem anderen Grund...
Aber das war ihm gleichgültig. Er nutzte es in diesem Fall einfach aus.
Hauptsache, dieser Brief erreichte sein Ziel... Alles andere war im Moment zweitrangig...