Читать книгу Völkerrecht - Andreas von Arnauld - Страница 115

3. Wirkung völkerrechtlicher Verträge

Оглавление

208

Mit Inkrafttreten eines Abkommens für einen Vertragsstaat trifft diesen die Pflicht, sich an den Vertrag zu halten. Im Grundsatz pacta sunt servanda („Verträge sind einzuhalten“, Art. 26 WVK) hat Hans Kelsen eine Grundnorm des Völkerrechts überhaupt erblickt (Rn. 8).[13] Eine Vertragsverletzung ist ein völkerrechtliches Delikt, für das der Staat nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit Wiedergutmachung schuldet. Seine Rückkehr zur Vertragstreue dürfen die betroffenen Staaten erforderlichenfalls durch Gegenmaßnahmen erzwingen (Rn. 421). Bei schwerwiegender Vertragsverletzung steht ihnen außerdem ein Recht zur Kündigung des Vertrages zu (Art. 60 WVK, Rn. 245).

209

Einen Verstoß gegen seine Vertragspflichten kann ein Staat nicht mit abweichenden Verpflichtungen durch sein innerstaatliches Recht rechtfertigen, Art. 27 WVK. Eine Ausnahme regelt Art. 46 WVK: Danach kann ein Staat einen Vertrag anfechten, wenn dieser von einer Person abgeschlossen wurde, die nach seinem innerstaatlichen Recht auch für andere Staaten erkennbar offenkundig unzuständig war (Rn. 239).

210

Fall: Unbefugt

Die Außenminister von Albinien und Brunarien vereinbaren eine Kooperation in der Diplomatenausbildung. Der Vertrag soll im beiderseitigen Einvernehmen mit Unterschrift wirksam werden. Der Premierminister von Brunarien sieht seinen Staat durch diese Vereinbarung nicht verpflichtet. Zum einen sei der Außenminister von Verfassung wegen nicht befugt, solche Verträge zu schließen; zum anderen verbiete die brunarische Verfassung eine solche Kooperation auch der Sache nach. Wie ist die Rechtslage nach der WVK?

Lösungsskizze:

Sollte der Vertrag wirksam geschlossen worden sein, wäre das Argument, die Kooperation verstoße der Sache nach gegen die brunarische Verfassung, völkerrechtlich wegen Art. 27 WVK irrelevant. Möglicherweise ist der Vertrag aber gar nicht wirksam geschlossen, weil der Außenminister unzuständig war. Nach Art. 46 Abs. 2 WVK kommt es darauf an, ob der brunarische Außenminister aus einer objektivierten Perspektive nach Treu und Glauben für jeden Staat erkennbar unzuständig war: Außenminister gehören zu dem Kreis von Staatsorganen, die ohne besondere Ermächtigung als vertretungsbefugt angesehen werden (Art. 7 Abs. 2 lit. a WVK). Von der allgemeinen Vertretungsbefugnis darf zwar nicht gleich auf ein Recht geschlossen werden, den Staat auch eigenmächtig völkerrechtlich zu binden; gleichwohl macht die Regelung deutlich, dass der Außenminister eine herausgehobene Stellung besitzt. Im vorliegenden Fall geht es zudem um einen Vertragsgegenstand aus seinem eigenen Ressort (Diplomatenausbildung). Dass Abkommen bereits mit Unterschrift wirksam werden können, sieht Art. 12 WVK ausdrücklich vor. Üblicherweise werden auf diesem Wege eher Abkommen mit administrativer Bedeutung geschlossen. Ob eine Kooperation bei der Diplomatenausbildung eher administrativen oder politischen Charakter besitzt, mag unterschiedlich beurteilt werden; keineswegs jedoch ist die Unzuständigkeit des Außenministers offensichtlich. Der Vertrag ist somit wirksam geschlossen und für beide Staaten verbindlich.

211

Die Rechtsbindungen treten für den Vertragsstaat regelmäßig für sein gesamtes Hoheitsgebiet ein (Art. 28 WVK). Nach dem sog. Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen gilt dies auch bei einer späteren Vergrößerung des Staatsgebietes. Abweichende Regelungen bleiben aber möglich (vgl. z. B. Art. 56 EMRK).

Verdeutlichen lässt sich dieser Grundsatz an der deutschen Wiedervereinigung 1990: Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde der räumliche Geltungsbereich von Verträgen, deren Partei die Bundesrepublik war, grundsätzlich auch auf das Territorium der früheren DDR erweitert. Für die Verträge der DDR hingegen stellten sich Fragen hinsichtlich der Staatennachfolge (Rn. 108–112). Ein anderes Beispiel ist die Mitgliedschaft Grönlands in der EWG: Als Teil Dänemarks war Grönland 1973 automatisch Mitglied geworden; der Austritt erfolgte 1985 auf der Grundlage eines 1982 abgehaltenen Referendums.

212

Aus der konsensualen Grundlage folgt zwingend, dass völkerrechtliche Verträge unbeteiligte („dritte“) Staaten ohne deren Einwilligung weder verpflichten noch berechtigen können (pacta tertiis nec nocent nec prosunt, sog. Pacta-tertiis-Regel, Art. 34 WVK).[14] Hierin spiegelt sich die Vertragsschlussfreiheit als Ausdruck der staatlichen Souveränität. Allerdings können multilaterale völkerrechtliche Verträge über den Kreis der Vertragsparteien hinaus Standards vorgeben, die als Gewohnheitsrecht auch für Nichtvertragsparteien verbindlich werden können (Rn. 260). Nicht ausgeschlossen ist außerdem, dass Verträge für dritte Staaten faktische Wirkungen besitzen: Ein Handelsabkommen zwischen Staat A und Staat B verbessert den Zugang für Unternehmen aus A zum Binnenmarkt von B auch im Vergleich zu Unternehmen aus Staat C, mit dem kein solches Abkommen existiert. C ist hier aber nur faktisch betroffen und wird nicht rechtlich verpflichtet.

213

Von der Pacta-tertiis-Regel scheinen sog. Ordnungsverträge abzuweichen.[15] Diese schaffen Rechtstatsachen, die auch für außenstehende Staaten beachtlich sind. Zu ihnen zählen Verfügungs- und Statusverträge. Beispiel für einen Verfügungsvertrag ist z. B. die vertragliche Zession (= Abtretung) eines Territoriums; der Übergang der Gebietshoheit vom Zedenten auf den Zessionar ist von allen anderen Staaten zu beachten. Hier werden dem „Dritten“ indes keine neuen Pflichten auferlegt; seine weiterbestehende allgemeine Pflicht, die Gebietshoheit fremder Staaten zu achten, erhält in Bezug auf das fragliche Territorium nur einen anderen Adressaten. Ebenso wenig bricht z. B. die vertragliche Internationalisierung eines Kanals (als Beispiel eines Statusvertrags) mit der Pacta-tertiis-Regel. Die Öffnung des Kanals für die Passage auch durch Schiffe unter der Flagge unbeteiligter Staaten ist lediglich eine Offerte, die explizit oder implizit (durch Nutzung) angenommen werden kann. Problematischer sind Statusverträge, die unbeteiligte Staaten von einem „internationalisierten“ Gebiet ausschließen, wie z. B. der Antarktis-Vertrag (Rn. 854–856). Hier dürfte die Erstreckung des Okkupationsverbotes auch auf Nichtvertragsparteien weniger an der Natur des Vertrages liegen als an der mittlerweile gewohnheitsrechtlichen Geltung seiner normbildenden Gehalte. Wenn teilweise auch Gründungsabkommen Internationaler Organisationen als institutionellen Verträgen „objektiver“ Charakter zugesprochen wird,[16] so trifft dies nur zu, sofern man – wie hier – von einer objektiven Völkerrechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen ausgeht; nach wohl noch h. M. freilich bedürfen außer der UNO Internationale Organisationen der Anerkennung, um im Verhältnis zum anerkennenden Staat als Völkerrechtssubjekt gelten zu können (Rn. 118).

Problem: USA und IStGH

Der IStGH kann nach seinem Statut völkerrechtliche Verbrechen u. a. dann ahnden, wenn der Tatortstaat Vertragspartei des Statuts ist oder dem Verfahren ad hoc zugestimmt hat (Art. 12 Abs. 2 und 3). Nach Auffassung der USA soll dies gegen den Pacta-tertiis-Grundsatz verstoßen, da US-Staatsbürger sich gegebenenfalls vor dem IStGH verantworten müssten, ohne dass die USA Partei des Statuts sind. Die Gegenauffassung sieht hierin nur eine faktische Auswirkung und verweist auf das im internationalen Strafrecht anerkannte Tatortprinzip. Außerdem gestatte Art. 17 IStGH-Statut jedem zur Strafverfolgung berechtigten Staat, durch Eröffnung eines eigenen Verfahrens die Jurisdiktion des IStGH auszuschließen (Rn. 1364–1365).[17] Die USA haben aus Sorge vor einem Fall der third party jurisdiction eine Reihe bilateraler Abkommen geschlossen, in denen sich die Vertragspartner verpflichten, US-Soldaten nicht an den IStGH zu überstellen.

Völkerrecht

Подняться наверх