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3. Beendigung und Suspendierung von Verträgen
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Die Vertragsbindungen enden (hierzu Art. 54-64 WVK) durch eine Lösung des Vertrages im Einvernehmen aller Vertragsparteien, durch einseitige Lösung einer Partei vom Vertrag oder aber unabhängig vom Willen der Parteien dann, wenn der Vertrag gegen zwischenzeitlich entstandenes zwingendes Völkerrecht verstößt. Im Unterschied zu den Ungültigkeitsgründen sind die Beendigungsgründe von erheblicher praktischer Relevanz.
Übersicht: Beendigung von Verträgen
Konsensuale Auflösung:
– | im Vertrag vorgesehen (Art. 54 lit. a WVK): Erfüllung, Zeitablauf, Bedingungseintritt |
– | einvernehmliche Aufhebung: explizit (Art. 54 lit. b WVK), implizit (Art. 59 WVK) |
Einseitige Lösung:
– | bei vertraglich vereinbartem Kündigungsrecht (Art. 54 lit. a, 56 WVK) |
– | erhebliche Vertragsverletzung (Art. 60 WVK) |
– | Unmöglichkeit der Erfüllung (Art. 61 WVK) |
– | grundlegende Änderung wesentlicher Umstände (clausula rebus sic stantibus) (Art. 62 WVK) |
Unabhängig vom Willen der Parteien:
– | Verstoß gegen zwischenzeitlich entstandenes ius cogens (Art. 64 WVK) |
– | Untergang eines Vertragspartners (nicht in der WVK geregelt) |
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Eine konsensuale Beendigung kann sich zunächst aus dem Vertrag selbst ergeben (Art. 54 lit. a): durch Erbringung der im Vertrag geschuldeten Leistung (Erfüllung), durch Zeitablauf (bei befristeten Verträgen), durch Eintritt einer Bedingung. Daneben ist stets eine einvernehmliche Aufhebung möglich (Art. 54 lit. b), auch implizit durch einen späteren Vertrag (Novation). Voraussetzungen hierfür sind die Identität der Vertragsparteien und des Vertragsgegenstandes, die Unvereinbarkeit des neuen Vertrags mit dem früheren Vertrag sowie eine Ersetzungsabsicht der Parteien (Beispiel: implizite Ersetzung der Seerechtskonventionen von 1958 durch das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982, allerdings nur für die und im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten des SRÜ). Unter besonderen Umständen kommt auch ohne Novation eine stillschweigende Vertragsbeendigung in Betracht. Da die Regeln der WVK keinen abschließenden Charakter besitzen, ist dies z. B. durch Hinnahme der Vertragsaufsage einer Partei durch die andere(n) Partei(en) nach den Grundsätzen der sog. acquiescence möglich (Rn. 274).[42]
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Ein einseitiges Recht zur Kündigung bzw. Suspendierung kann sich ebenso explizit (Art. 54 lit. a WVK, vgl. z. B. Art. XVI Abs. 2 Chemiewaffen-Übereinkommen von 1993 oder Art. 50 EUV) oder implizit (vgl. Art. 56 WVK) aus dem Vertrag ergeben. Im letztgenannten Fall muss feststehen, dass die Parteien das Lösungsrecht zulassen wollten oder es muss sich ein solches Recht aus der Natur des Vertrages ergeben. Ansonsten nennt die WVK drei auch gewohnheitsrechtlich anerkannte Fälle der Beendigung von Verträgen: die erhebliche Vertragsverletzung durch den anderen Vertragsteil (Art. 60 WVK), die Unmöglichkeit der Erfüllung (Art. 61 WVK) und die grundlegende Änderung von Umständen (Art. 62 WVK).
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Bei einer erheblichen Vertragsverletzung kann es für die vertragstreue Partei unzumutbar sein, an dem Abkommen festzuhalten. Sie erhält daher ein Recht, den Vertrag zu kündigen oder zu suspendieren. Art. 60 Abs. 3 WVK definiert als erhebliche Verletzung („material breach“) eine nach der WVK unzulässige Ablehnung des Vertrags (lit. a) oder die Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentlichen Bestimmung.
Welche Bestimmungen für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentlich sind, muss durch Auslegung ermittelt werden. Bisweilen treffen Verträge aber auch selbst eine Aussage. Die EU z. B. nimmt in ihre entwicklungspolitischen Abkommen (Cotonou-Abkommen) eine Klausel auf, in der die Achtung und der Schutz von Menschenrechten zu einer wesentlichen Vertragsbestimmung erklärt werden, um für den Fall von Menschenrechtsverletzungen ein Druckmittel in der Hand zu haben (Rn. 921).
Bei multilateralen Abkommen formuliert Art. 60 Abs. 2 WVK Sonderregeln: Danach können die vertragstreuen Parteien einvernehmlich die vertragsbrüchige Partei aus dem Vertrag vorübergehend oder endgültig ausschließen oder aber den Vertrag insgesamt beenden oder suspendieren (lit. a); eine besonders betroffene Partei kann den Vertrag im bilateralen Verhältnis zum vertragsbrüchigen Staat suspendieren (nicht beenden, lit. b). Art. 60 Abs. 2 lit. c WVK hat v. a. Abrüstungsverträge im Blick: Hier darf jede der vertragstreuen Parteien die erhebliche Verletzung einer anderen Partei zum Anlass nehmen, den Vertrag von sich aus zu suspendieren, weil hier die Gegenseitigkeit Wesenskern des Abkommens ist. Gänzlich ausgeschlossen ist die Beendigung oder Suspendierung von „Bestimmungen über den Schutz der menschlichen Person in Verträgen humanitärer Art“, Art. 60 Abs. 5 WVK. Hierin kommt einmal mehr der Charakter von Menschenrechtsabkommen als normbildende Verträge zum Ausdruck (Rn. 195).
Von den vertragsinternen Reaktionen auf einen Vertragsbruch nach Art. 60 WVK sind Gegenmaßnahmen (Rn. 421–424) zu unterscheiden, die den allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit folgen (vgl. Art. 73 WVK zum insoweit nicht abschließenden Charakter der WVK). Solche Gegenmaßnahmen setzen vertragsextern an, d. h. sie rechtfertigen es, in Reaktion auf die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht (hier: eine Vertragsverletzung) mit der Verletzung einer anderen Pflicht (z. B. aus einem anderen Abkommen) zu reagieren, um den Rechtsbrecher zum Einlenken zu bewegen.[43]
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Auch eine nachträgliche „unverschuldete“ Unmöglichkeit der Erfüllung kann zum Anlass für die einseitige Beendigung des Vertrages genommen werden, etwa wenn ein Gewässer austrocknet, über dessen Nutzung sich zwei Nachbarstaaten vertraglich geeinigt hatten, oder wenn eine Insel untergeht, auf der ein Staat einem anderen bestimmte Nutzungsrechte eingeräumt hatte. Bei nur vorübergehender Unmöglichkeit kommt eine Suspendierung in Betracht.
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Ebenso traditionsreich wie umstritten ist die sog. clausula rebus sic stantibus (etwa „Klausel von den gleichbleibenden Umständen“). Danach darf ein Vertrag auch beendet oder suspendiert werden, wenn eine grundlegende, unvorhersehbare Änderung von Umständen, die für den Vertragsschluss wesentlich waren, eintritt, welche die weiteren Vertragsbeziehungen tiefgreifend umgestalten würde. In etwas unübersichtlicher Regelungstechnik normiert Art. 62 WVK die folgenden Voraussetzungen:
– | grundlegende Änderung von Umständen; |
– | von den Parteien nicht vorhergesehen; |
– | Umstände waren (aus objektiver Sicht) wesentliche Grundlage für die Zustimmung aller Parteien; |
– | Änderung führt zu tiefgreifender Umgestaltung der noch zu erfüllenden Pflichten; |
– | kein Grenzvertrag; |
– | keine Herbeiführung durch die Partei, die sich vom Vertrag lösen will. |
Die clausula rebus sic stantibus hat für kontroverse Diskussionen gesorgt, weil sie durch Verknüpfung mit den Motiven und dem Entstehungskontext ein Element der Rechtsunsicherheit in den Vertrag trägt. Über die gewohnheitsrechtliche Geltung der Regel besteht heute kein Streit mehr,[44] wohl aber über ihren Anwendungsbereich. Umstritten ist insbesondere, ob politische Systemwechsel in einem Vertragsstaat die Lösung von politischen Verträgen des vorigen Systems gestatten (z. B. schrittweise Auflösung des Warschauer Pakts 1990 vor der Auflösung 1991). Anders sieht es bei Fällen der Staatennachfolge aus: Hier ist – anders als beim Systemwechsel als innenpolitischem Vorgang – die völkerrechtliche Ebene von vornherein affiziert. Daher kommt über die clausula rebus sic stantibus eine Lösung von Verträgen des Vorgängerstaates in Frage, sofern diese auf den Nachfolgestaat übergegangen sind und nicht der Regelung der Staatsgrenzen dienen. Auch der Kriegszustand zwischen den Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages kann dessen Suspendierung rechtfertigen. Voraussetzung ist, dass es sich nicht um einen Vertrag handelt, der gerade für den Fall eines bewaffneten Konflikts geschlossen ist wie z. B. Verträge aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts.[45]
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Auch unabhängig vom Willen der Parteien kann ein Vertrag untergehen, nämlich dann, wenn ein (älterer) Vertrag gegen eine in der Zwischenzeit entstandene (also neuere) Norm des zwingenden Völkerrechts verstößt. In diesem Fall wird der Vertrag automatisch nichtig und erlischt (sog. ius cogens superveniens). Art. 64 WVK rundet hier Art. 53 WVK ab, der dem zwingenden Völkerrecht mit Blick auf künftige vertragliche Pflichten zur Durchsetzung verhilft. Seine Bedeutung dürfte eher konzeptionell denn praktisch sein. Nicht in der WVK geregelt ist schließlich der Fall, dass einer der Vertragspartner aufhört zu existieren. Allerdings kann es sein, dass der Vertrag nach den Regeln der Staatennachfolge in Verträge auf einen Nachfolgestaat übergeht (Rn. 108–112).
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Fall: Ein atomares Joint-Venture
Bergien möchte seine Energieversorgung durch Kernkraft sichern. Weil das eigene, von steilen Felsketten durchzogene Staatsgebiet sich nicht für die Errichtung eines Atomkraftwerks (AKW) eignet, verabredet es mit dem angrenzenden Pagonien den Bau und Betrieb eines AKW auf pagonischem Boden gegen Zahlung eines jährlichen Betrags von 500.000 bergischen Escudos. Die benachbarten Staaten Trulien und Miranien schließen sich dem Projekt an und beteiligen sich mit Beiträgen von jeweils 250.000 bergischen Escudos im Jahr. Der Vertrag zwischen den vier Staaten wird 1995 geschlossen. Ein gemeinsames Planfeststellungsverfahren wird 2003 abgeschlossen. In einer mündlichen Zusatzabrede hatten die Parteien kurz zuvor vereinbart, dass Pagonien spätestens fünf Jahre nach Abschluss des Verfahrens mit dem Bau beginnen sollte; von diesem Zeitpunkt an sollten die übrigen Vertragspartner ihre Beiträge entrichten. Bergien, Trulien und Miranien beginnen 2008 mit der Beitragszahlung; der Baubeginn verzögert sich jedoch. 2011 soll mit dem Bau tatsächlich begonnen werden. Inzwischen gibt es in der pagonischen Bevölkerung immer stärkeren Widerstand gegen das Projekt. Die mittlerweile von der Grünen Partei dominierte Regierung Pagoniens verweigert die Ausführung der Bauarbeiten und bringt folgende rechtliche Argumente vor:
(1) Das pagonische Verfassungsgericht habe einer Verfassungsbeschwerde von Anwohnern stattgegeben, wonach die mit dem Bau eines AKW verbundenen Risiken die Menschenwürde der Anwohner verletzen. Das Völkerrecht könne einen Staat nicht zwingen, die Grundrechte seiner Bürger zu verletzen.
(2) Die pagonische Bevölkerung habe inzwischen eine neue Haltung zur Atomkraft gewonnen, die auch im Regierungswechsel zum Ausdruck komme. Außerdem habe sich jüngst in Juranien ein schwerer Atomunfall ereignet. Dies habe zu einer völlig veränderten Situation geführt. Der Vertrag sei deshalb hinfällig.
(3) Die mündliche Zusatzabrede sei unwirksam, da nur schriftliche Verträge verbindlich seien.
(4) Selbst wenn die Zusatzabrede wirksam sei, sei der Vertrag stillschweigend aufgehoben worden, weil unwidersprochen nach 2008 nicht mit dem Bau begonnen worden sei.
(5) Bergien, Trulien und Miranien hätten wegen einer Finanzkrise ihre Beträge für 2009 mit sechsmonatiger Verspätung an Pagonien überwiesen. Pagonien sei daher berechtigt, den Vertrag zu suspendieren.
(6) Der Vertrag sah die Verwendung der KX-7 Reihe, der seinerzeit sichersten Technik, vor. Nach Auffassung Pagoniens müsse, wenn der Vertrag gültig sei, auf jeden Fall die neueste Technik aus heutiger Sicht angewendet werden, da sie deutlich besseren Schutz gegen Atomunfälle bietet. Diese ist teurer und erhöht die Baukosten um 10%, weshalb die anderen Vertragsparteien weiterhin die KX-7 Technik verwenden wollen.
Beurteilen Sie die Einwände Pagoniens gegen die Erfüllung des Vertrages!
Lösungshinweise:
(1) Nach Art. 27 WVK darf sich ein Staat nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen, um die Erfüllung einer Pflicht aus einem völkerrechtlichen Vertrag zu verweigern. Unberührt hiervon bleibt nur Art. 46; hier geht es jedoch nicht um eine Frage der innerstaatlichen Vertragsschlusskompetenzen. Da ein Verstoß gegen die Menschenwürde gerügt wird, ist zu erwägen, ob der Vertrag u. U. wegen Verstoßes gegen ius cogens gemäß Art. 53 WVK nichtig ist. Zwar gehört die Unantastbarkeit der menschlichen Würde als Quelle der Menschenrechte (vgl. z. B. Präambel und Art. 1 AEMR) dem zwingenden Völkerrecht (und nicht nur dem pagonischen Verfassungsrecht) an; damit ist aber nicht sogleich jede Ableitung aus der Menschenwürde dem ius cogens zuzurechnen. Die Interpretation des pagonischen Verfassungsgerichts, dass Atomkraft menschenwürdewidrig sei, erscheint angesichts der weltweit verbreiteten friedlichen Nutzung von Kernenergie kaum als universell anerkannte Überzeugung. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist völkerrechtlich irrelevant.
(2) Pagonien beruft sich der Sache nach auf Art. 62 WVK (clausula rebus sic stantibus). Gewandelt hat sich mit dem öffentlichen Bewusstsein in Pagonien eine innere Haltung, kein äußerer Umstand. Dieser hat sich zwar in einem Regierungswechsel niedergeschlagen; doch selbst wenn die Parteien einen solchen Politikwechsel seinerzeit nicht vorhergesehen haben sollten, ist die politische Zusammensetzung der pagonischen Regierung kein Umstand, der wesentliche Grundlage der Zustimmung aller Vertragspartner war. Auch der Atomunfall in Juranien hat nur die ohnehin bekannten Risiken der Kernenergie deutlicher vor Augen geführt, aber keine veränderte Situation geschaffen. Pagonien kann sich nicht über Art. 62 WVK vom Vertrag lösen.
(3) Auch mündliche Verträge sind völkerrechtlich wirksam. Zwar findet die WVK keine Anwendung auf sie (Art. 2 Abs. 1 lit. a WVK); wie mündliche Verträge zu behandeln sind, ergibt sich aber aus dem Gewohnheitsrecht. Da viele der Regeln der WVK Gewohnheitsrecht kodifizieren, können sie der Sache nach auch für mündliche Verträge herangezogen werden (vgl. auch Art. 3 WVK).
(4) Zwar ist nach Art. 54 lit. b WVK auch die stillschweigende Aufhebung von Verträgen möglich; Bergien, Trulien und Miranien haben jedoch durch Beitragszahlung ab 2008 ihren Willen bekundet, am Vertrag festhalten zu wollen. Einvernehmlich aufgehoben dürfte indes die Zusatzabrede sein, da der Bau abredewidrig nicht begonnen wurde, ohne dass einer der beteiligten Staaten hiergegen Widerspruch erhoben hätte.
(5) Nach Art. 60 Abs. 2 lit. b WVK ist bei einem mehrseitigen Vertrag eine besonders betroffene Vertragspartei berechtigt, nach einer erheblichen Verletzung des Vertrags durch einen oder mehrere Partner den Vertrag zu suspendieren. „Besonders betroffen“ ist eine Partei, die mehr als andere unter der Vertragsverletzung zu leiden hat. Da die Zahlungspflicht allein gegenüber Pagonien besteht, ist dies der Fall. Allerdings müsste die Verletzung „erheblich“ sein, d. h. sie müsste nach Art. 60 Abs. 3 lit. b WVK eine „für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentliche[n] Bestimmung“ betreffen. Die Zahlungspflicht gegenüber Pagonien mag man als Gegenleistung für den (noch nicht erfolgten!) Bau und Betrieb des AKW als wesentliche Bestimmung betrachten. Sinn und Zweck der Regelung ist es aber, die Schwelle für die Suspendierung hoch zu setzen und hierzu nur zu berechtigen, wenn infolge der Verletzung ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Dies verdeutlicht der Begriff der „Erheblichkeit“. Daher ist die geringfügige Verletzung selbst einer an sich wesentlichen Vertragspflicht nicht in der Lage, Pagonien ein Recht zur Suspendierung zu verschaffen. – Zudem könnte Pagonien mit seinem Einwand nach Art. 45 lit. b WVK ausgeschlossen sein. Der Zahlungsverzug trat schon 2009 ein; erst 2011 beruft sich Pagonien hierauf. Zumindest wenn Pagonien die Zahlungen für das Jahr 2010 entgegengenommen haben sollte, hat es stillschweigend zu erkennen gegeben, dass der Vertrag weiterhin in Kraft bleiben soll.
(6) Hier muss der Vertrag ausgelegt werden. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass im Vertrag explizit die KX-7-Technik vereinbart wurde und den Parteien stets die Möglichkeit zu Nachverhandlungen und Vertragsänderung bleibe (vgl. Art. 40 WVK für mehrseitige Verträge). Ein Vertrag ist aber nach Art. 31 Abs. 1 WVK „nach Treu und Glauben“ und „im Lichte seines Zieles und Zweckes“ auszulegen. Da es sich bei der KX-7-Technik um die bei Vertragsschluss modernste (nicht die kostengünstigste!) Technik handelte, ist anzunehmen, dass es den Parteien um hohe Sicherheitsstandards ging. Dass der Bau, der nun erst 16 Jahre nach Vertragsschluss beginnen wird, mit einer veralteten Technik ausgerüstet werden sollte, entspricht kaum einer Auslegung nach Treu und Glauben. Soweit die Kostensteigerungen sich im Rahmen des Zumutbaren halten, wird man die Klausel so interpretieren dürfen, dass neue technische Erkenntnisse zum Schutz von Mensch und Umwelt bei Vertragsdurchführung zu berücksichtigen sind. Die Kostensteigerungen sind mit 10% nicht übermäßig hoch. Pagonien kann die Verwendung der neuesten Sicherheitstechnik verlangen. [Eine a. A. ist gut vertretbar; dann wäre zu prüfen, ob sich Pagonien über Art. 62 WVK vom Vertrag lösen kann. Die unvorhergesehene Änderung der Umstände wäre hier die sehr lange Verzögerung (die Pagonien nur z. T. zu vertreten hat) mit der Folge, dass Pagonien auf seinem Gebiet ein AKW mit veralteter Sicherheitstechnik errichten müsste.]
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