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d) Einvernehmliche Beendigung des Vertrages

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In Betracht könnte aber eine einvernehmliche Vertragsbeendigung kommen (vgl. den Grundsatz in Art. 54 lit. b WVK). Zwar liegt keine Erklärung Beloas vor, wonach es den Vertrag als beendet betrachte. Ein Vertrag kann jedoch auch stillschweigend beendet werden.[11] Bisweilen wird gerade dieser Fall als desuetudo bezeichnet bzw. die desuetudo als Fall der stillschweigenden einvernehmlichen Vertragsbeendigung verstanden.[12] Die Möglichkeit, dass auch ein qualifiziertes Schweigen Rechtswirkungen haben kann, bringt es mit sich, dass ein Staat unter Umständen verpflichtet sein kann, das Fortbestehen des Vertrags zu betonen, um dessen Rechtsgültigkeit zu bewahren. Hierin kommt der allgemeine Rechtsgrundsatz qui tacet consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset („wer schweigt, scheint zuzustimmen, wenn er hätte reden müssen und können“) zum Ausdruck. Der IGH hat diesen Grundsatz in seiner spezifischen völkerrechtlichen Ausprägung der acquiescence im britisch-norwegischen Fischerei-Fall dahingehend präzisiert, dass ein Protest zur Rechtswahrung nötig ist, wenn die Haltung des anderen Staates bekannt ist und wenn auf Grund der eigenen Interessen vom betroffenen Staat eine Reaktion erwartet werden durfte.[13] Auch wenn es dort um die Behauptung gewohnheitsrechtlicher Rechte gegen einen Wandel des Gewohnheitsrechts ging, betreffen diese Voraussetzungen doch den allgemeinen Grundsatz des qui tacet und sind damit auch auf die stillschweigende Beendigung von Verträgen übertragbar. So ist z. B. anerkannt, dass durch stillschweigende Hinnahme der Erklärung von 1990, in der Österreich zum Ausdruck brachte, dass es die Rüstungsbeschränkungsklauseln des österreichischen Staatsvertrags von 1955 als obsolet betrachte, die Klauseln auch mit Wirkung gegenüber den Vertragsparteien als erloschen anzusehen sind.[14]

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Aloa beanspruchte in seiner Erklärung von 1990 „unbeschränkte souveräne Rechte“ in seinen Küstengewässern. Dies konnte nur so verstanden werden, dass Aloa der Auffassung war, in der Ausübung seiner souveränen Rechte nicht, d. h. auch nicht durch völkerrechtliche Verträge beschränkt zu sein. Auch Celoa, von dem nicht mitgeteilt ist, ob es Beloa vergleichbare Fischereirechte einmal besessen hat, hat die Erklärung in diesem Sinne gedeutet und sich durch Nachfrage bei Aloa vergewissert, ob dies tatsächlich die Position sei. Zwar dürfte der Notenwechsel zwischen Aloa und Celoa Beloa nicht bekannt geworden sein; die Erklärung als solche aber ließ allenfalls eine Vergewisserung, nicht aber Zweifel darüber zu, dass Aloa sich in seinen Nutzungsrechten „unbeschränkt“ sah. Hierdurch wurde ein deutliches Zeichen gesetzt, dass Aloa sich nicht länger an den Vertrag gebunden sah. Wie die Nachfrage von Celoa zeigt, ist die Erklärung auch öffentlich bekannt geworden. Angesichts der besonderen Interessen von Beloa ist zu unterstellen, dass es von der Proklamation Kenntnis erlangt hat. Es kommt nun darauf an, ob von Beloa unter den konkreten Umständen eine Reaktion erwartet werden durfte. Im vorliegenden Fall existieren „historische“ Vertragsrechte, die 90 Jahre lang ungenutzt geblieben waren. Auch wenn diese fehlende Nutzung nicht als Verhalten Beloas angesehen werden kann (s. o.), so konnte doch von Beloa erwartet werden, dass es seinen Willen, an dem Vertrag festzuhalten, zum Ausdruck bringt, wenn Aloa diesen Vertrag durch öffentliche Erklärung als nicht mehr gültig behandelt. Die 22 Jahre später erfolgende Einforderung der historischen Rechte kam zu spät. Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag erloschen ist (a. A. gut vertretbar).

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Hinweis:

Die Schwierigkeit besteht hier darin, das Stillhalten Beloas einzuordnen. Für die rechtliche Deutung wurde hier ein deduktives Vorgehen gewählt: Zunächst einmal ist anerkannt, dass man auch stillschweigend einen Vertrag einvernehmlich beenden kann. Hieraus folgt, dass es qualifiziertes Schweigen gibt. Das qualifizierte Schweigen öffnet die Möglichkeit, auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz des qui tacet und hierüber auf den Grundsatz der acquiescence zuzugreifen. Hier kann mit der IGH-Entscheidung im britisch-norwegischen Fischereistreit sichereres Terrain gewonnen werden. Der auf diese Weise herauspräparierte Rechtssatz muss dann nur noch auf den Fall angewendet werden. Der Verweis auf die Erklärung Österreichs von 1990 dient in der Argumentation dazu, das durch Deduktion erzielte Zwischenergebnis durch Bezugnahme auf entsprechende Staatenpraxis abzusichern.

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