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ОглавлениеUnser erster Aufenthalt in einer Ortschaft
Vor dem Einchecken lässt es sich Richard nicht nehmen, eine Rundfahrt durchs Dorf zu unternehmen und uns alles Lebensnotwendige zu zeigen. Für uns Hiker sind das der Supermarkt, die Post, die Bibliothek, der Waschsalon und das Restaurant mit All you can eat-Buffet. Hiawassee, am Lake Chatuge gelegen, zählt keine 1000 Einwohner, überrascht aber mit einer ausgezeichneten Infrastruktur. Die Ortschaft dient als Verwaltungssitz von Towns County und da sie in einer der schönsten Gegenden von Georgia liegt, ist sie auch bei Touristen sehr beliebt. Den nahegelegenen Hiawassee River nennt man zum Beispiel auch «The hidden jewel of trout fishing» also «Das versteckte Juwel der Forellenfischerei». Mit Fischen haben wir nichts am Hut, ein anderes Programm wartet auf uns. Wir verabschieden uns ein letztes Mal von Richard, denn sein Aktionsradius endet hier.
Aufenthalte in Ortschaften sind immer mit Zusatzmeilen verbunden. Nach der wohlverdienten Dusche marschieren wir mit der schmutzigen Wäsche zum Waschsalon. Während die Maschine ihre Arbeit erledigt, nutzen wir die Zeit zum Einkaufen. Unsere Vorräte müssen erneuert werden. Danach gehts zurück zum Waschsalon. Die Wäsche wandert in den Trockner und wir wandern zur Bibliothek, um unsere E-Mails zu checken. Nach zehn Tagen auf dem Trail ist es an der Zeit, erstmals ein Lebenszeichen nach Hause zu schicken. Wäsche und Lebensmittel werden danach rasch im Motel deponiert. Unser nächstes Ziel ist Daniel’s Steakhouse mit seinem, von Richard empfohlenen, All you can eat-Buffet.
Unser täglicher Menüplan
• Frühstück
Eine grosse Portion heisses Müsli (Mischung aus Haferflocken und Granola), je ein Bagel (rundes Brötchen mit Loch) oder Fladenbrot mit Käse, Salami und Mayonnaise, eine heisse Schokolade der Marke Swiss Miss (Kaffee liefert leider keine Kalorien!)
• Lunch
Je zwei Schokoladeriegel (Mars, Snickers usw.), je zwei Müsliriegel, bei Kälte je eine Nudelsuppe, Trailmix (selbst gemachte Mischung aus Nüssen, Trockenfrüchten und Smarties), ab und zu Bagels mit Käse und Salami, Isotonische Getränke (mit Pulver angerührt).
• Nachtessen
Je eine Nudelsuppe, welche wir mit Kartoffelflocken eindicken und mit viel Flüssigmargarine kalorienmässig aufmotzen. Dazu eine Dose Wiener Würstchen oder Thunfisch (in Öl) und je einen Bagel oder Fladenbrot mit Käse, Salami und Mayonnaise. Zum Dessert eine feine Crème (Jello lässt sich kalt anrühren mit Wasser und Milchpulver), Swiss Miss als Schlummertrunk.
… und dies sechs Monate lang. Jeden Tag dasselbe! Wenn möglich verfeinern wir unser Essen mit frischen Beeren und Pilzen. Das einzige Lebensmittel ohne Kalorien, das wir mit uns führen, ist ein Fläschchen Tabasco.
Nach der leckeren und reichlichen Verpflegung bei Daniel’s nehmen wir uns bei einem kühlen Bierchen die Zeit, ein erstes Mal Bilanz zu ziehen. Das Bier musste allerdings mit einem zweimaligen Marsch zur Tankstelle hart verdient werden. Ursula hatte leider keinen Ausweis mitgenommen. Kein Ausweis – kein Alkohol! In den USA ist das Gesetz – It’s the law! Auch ein 80-jähriger müsste sich ausweisen. Da gibt es keine Diskussionen. Früher habe ich mich immer gefreut, wenn ich nach dem Ausweis gefragt wurde, in der Annahme, ich würde jünger als 21 geschätzt.
Die heutige Lagebesprechung fällt ziemlich kurz aus. Zwei Dinge sehen wir glasklar vor Augen: Unsere Rucksäcke sind viel zu schwer und unsere Tagesrationen an Kalorien sind viel zu gering.
Während diesen ersten zehn Tagen schienen unsere Fettreserven zu schmelzen wie Schnee an der Sonne. Wenn wir nicht gerade durch Trail Magic verwöhnt wurden, fühlten wir uns oft müde und kraftlos. Jeder Schritt wurde zur Qual, jeder Berg zur Tortur. All unsere Gedanken drehten sich nur um eines: ESSEN! Wenn wir wirklich einen Thru-Hike schaffen wollen, müssen wir handeln und zwar jetzt! Ein erstes Paket mit überflüssigen Kleidern und Ausrüstungsgegenständen, inklusive Stativ, geht zurück in die Schweiz. Aus den Informationen von Trail Angels und anderen Hikern wissen wir, dass Mitfahrgelegenheiten zum Einkaufen problemlos zu erhalten sind. So beschliessen wir, nur noch für drei bis maximal vier Tage Lebensmittel mitzuführen, dafür aber grössere Rationen. Und in Einem sind wir uns sicher: Die nächste Langdistanzwanderung werden wir im Ultraleichtmodus umsetzen!
Ultraleicht-Trekking
Das Thema Ultraleicht-Wandern steckte im Jahr 2000 noch in den Kinderschuhen. So haben wir uns auch keine Gedanken darüber gemacht und unsere Ausrüstung nach konventionellen Kriterien zusammengestellt, was sich spürbar im resultierenden Gesamtgewicht niedergeschlagen hat.
Ich will hier keinen Ratgeber zu diesem Thema abliefern, dazu gibt es unterdessen sehr umfangreiche Fachliteratur.
Vor dem Kauf der Ausrüstung sollte man sich aber erst einmal folgende grundsätzliche Frage stellen:
Was will ich? Komfort auf dem Trail oder Komfort im Camp?
Komfort im Camp bedeutet natürlich einiges an Mehrgewicht am Rücken. Mit Komfort auf dem Trail habe ich deutlich weniger zu tragen und kann längere Etappen bewältigen. Ich muss dadurch auch weniger Proviant mitschleppen, weil ich in kürzeren Intervallen in einer Ortschaft einkaufen kann. Ich kann mir auch öfters eine Mahlzeit im Restaurant gönnen, in einem Hotel übernachten und den einen oder anderen Zero-Day zusätzlich einlegen.
Der schwedische Trekking-Guru Jörgen Johansson propagiert seit vielen Jahren die 343-Philosophie (three for three). Die drei grössten Posten, Rucksack, Zelt und Schlafsack / Matratze, sollten zusammen nicht mehr als drei Kilogramm wiegen. Das ist ein Wert, worauf man gut aufbauen kann. Mit den heute verfügbaren Materialien lässt sich aber problemlos einiges mehr einsparen.
Hier noch ein Tipp zum Schuhwerk: 100 Gramm eingespart an den Füssen entspricht einem Kilogramm am Rücken!
Die meisten Wanderer auf dem AT planen sechs Monate für einen Thru-Hike ein. Das bedeutet, dass man immer wieder diejenigen Menschen antrifft, die ein ähnliches Marschtempo angeschlagen haben. Das ist dann während sechs Monaten die eigene kleine Familie. Mit einer leichteren Ausrüstung wäre ich in der Lage, den Trail in vier oder fünf Monaten zu bewältigen. Allerdings ergäbe dies wahrscheinlich einen sehr einsamen Weg.
Ja, das Thema Ultraleicht-Trekking verfolgt uns in letzter Zeit ständig. Vor drei Tagen haben wir in der Nähe unseres Übernachtungsplatzes die Trail Angels Ed und Marie Ann Williams kennengelernt. Sie stammen eigentlich aus Virginia, betätigen sich jedoch hier als fleissige Helfer. Gerade am Anfang der Wanderung sind die meisten für gute Ratschläge dankbar. Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, die Hiker beim Ausmisten ihrer Ausrüstung zu unterstützen, denn alle, ja wirklich alle sind mit zu viel Gewicht unterwegs.
Kaum eine Meile weiter, bei der nächsten Strassenüberquerung, sehen wir einen grossen Pickup stehen. Er gehört Ron Fallingwater Moak, einem ehemaligen Thru-Hiker. 1977 waren er und seine Frau Linda eines der ersten Paare, die gemeinsam einen Thru-Hike geschafft haben. Damals gab es noch kaum bezahlbare leichte Ausrüstung. So hat er aus der Not eine Tugend gemacht und Rucksack, Schlafsack, Zelt, Jacken und vieles mehr einfach nach eigenen Vorstellungen selber genäht. Auf der Ladefläche seines Wagens liegen eine ganze Reihe Rucksäcke zum Verkauf. «Hey Leute, das ist die letzte Gelegenheit, einen ultraleichten Rucksack zu erstehen», ruft er, «Morgen schon bin ich unterwegs Richtung Westen, ich will nämlich den PCT (Pacific Crest Trail) in Angriff nehmen». Was bringt uns ein ultraleichter Rucksack, wenn wir damit unsere restliche ultraschwere Ausrüstung tragen müssen? Wohl nicht sehr viel! Das passt einfach ganz und gar nicht zusammen. Wir müssten absolut alles ersetzen. Das wäre dann zwar ultraleicht, aber wohl auch ultrateuer.
Six Moon Designs
Bereits im Jahr 2002 brachte Ron Fallingwater Moak seine ersten Produkte offiziell unter dem Label «Six Moon Designs» auf den Markt.
Unterdessen bin ich selber im Besitz eines Rucksacks und eines Zeltes aus seiner Produktion und beides hat sich auf vielen weiteren Trekkings bestens bewährt.
Six Moon Designs: www.sixmoondesigns.com