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3.2 Die „Traurigkeit des Endlichen“

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Methodisches Nachdenken konnte nicht umhin, die Folgen der Endlichkeit und ihre negative Macht zu erwägen. Bereits im 13. und 14. Jahrhundert hatte Meister Eckhart darauf beharrt, dass im Unterschied zu Gott – der „Negation der Negation“ ist – „alle Geschöpfe eine Negation in sich tragen; denn das eine negiert ein anderes zu sein. Ein Engel negiert ein anderer zu sein“24. Und etwas später betonte Nikolaus von Kues gleichfalls, dass, so wie Gott das non-aliud ist, aus sich allen Widerspruch ausschließt und alle Gegensätze in sich fasst, alles Übrige mangelhaft sei, weil es anders, weil es unterschieden ist: „Denn weil es von etwas unterschieden ist, fehlt dem Unterschiedenen all das, wovon es unterschieden ist.“25 Spinoza, der schon mit einem Fuß in der neuen Ära steht, kann diese Feststellung in den Rang eines metaphysischen Axioms erheben: Omnis determinatio est negatio – „Jede Bestimmung ist eine Negation“26. (In Anbetracht der Epoche, in der diese Autoren schreiben, führen sie natürlich den „Faktor“ Gott in ihr Räsonnement ein. Doch geht es hier um einen Vergleich, der für die hier interessierenden Zwecke rein illustrativ ist: Wo sie von „Geschöpfen“ reden, können wir schon „weltliche Gegebenheiten“ setzen.)

Dies ist es, was Paul Ricœur – und man kann nicht umhin, hier auch Schelling zu nennen27 – recht schön als „la tristesse du fini“ bezeichnet hat28. Denn einerseits bedingt die Endlichkeit nach innen hin die Grenzen dessen, was sie „nicht ist“, sowie andererseits den Ausschluss gegensätzlicher Eigenschaften: Mann-Sein bedeutet Nicht-Frau-Sein, und Kreisförmig-Sein bedingt Nicht-Quadrat-Sein. Es impliziert zudem auch Begrenzung in dem selbst, was sie „ist“; denn sie könnte stets mehr umfassen. Endlich sein bedeutet das unumgängliche und vielfache Kennzeichen des Mangels, des „Nicht-Seins“ und eröffnet die Möglichkeit innerlichen Ungenügens, sowie der äußerlichen Unverträglichkeit, Widersprüche oder auch Konfliktträchtigkeit im Nebeneinander mit den übrigen endlichen Erscheinungen.

Lässt man nun die Möglichkeit zu, dass bei derartigen Gegebenheiten der vollkommene Einklang mit den übrigen Dingen eintritt, die ganze Fülle in ihnen selbst, die bruchlose Sicherheit in der Existenz – all das und noch viel mehr würde nämlich das Fehlen des Schlechten in einer Welt implizieren –, dann führt dies zu dem Schluss, es bedeute Unmögliches zu denken, einen Widerspruch zu formulieren, geistig einen Quadrat-Kreis zu beschreiben. Ein solcher Quadrat-Kreis wäre natürlich die vollendete Lösung; doch eben darum ist er auch der vollkommene Widerspruch.

Beim Quadrat-Kreis wird das auch mit absoluter Deutlichkeit erkennbar; denn die Rückführung auf die bloße Durchschaubarkeit des abstrakten Schemas macht die Unvereinbarkeit der Termini offenkundig. In anderen Fällen erscheint das schon schwieriger. Zunächst weil das Denken gern dem Zauber der Worte erliegt, den Fallen und Schwächen der Sprache: Ein gut formulierter Satz will auch logisch scheinen29. Dann in zweiter Linie und vor allem, weil bei einer Komplizierung der Dimensionen auch das Erkennen der Inkohärenzen schwerer fällt: Denken wir etwa an die gewohnte euklidische Geometrie, so werden nur wenige die Unmöglichkeit eines rechtwinkligen und gleichseitigen Dreiecks gleich erkennen.

Man begreift daher, dass die Schwierigkeit, wenn man die Welt insgesamt betrachten möchte, ins Unermessliche wächst. Eigentlich jedoch bleibt die Struktur stets die gleiche, zumal dieser Gedankengang einzig die Endlichkeit zur Grundlage hat; denn letztlich ist eine übelfreie Welt ebenso widersprüchlich wie eine endlich-unendliche Wirklichkeit oder ein Quadrat-Kreis. In seiner innersten und einfachsten Struktur betrachtet, ist es nicht unmöglich zu erkennen, dass der Widerspruch auch in diesen Fällen metaphysischen Rang erhält.

Nicht immer fällt es allerdings leicht; doch wenn er sich, selbst von weitem, andeutet, dann lässt sich begreifen, wie man bei einem grundlegenden Aspekt der Problemstellung auf Grund stößt. Die Möglichkeit des Übels – so an sich, zunächst ohne weitere Unterscheidungen – ergibt sich als unvermeidlich aus Begrenzung, Unvereinbarkeit, Zusammenprall und Widerspruch im Endlichen. Eine Welt ohne Möglichkeit des Übels zu verlangen, das heißt, eine streng genommen unendliche Welt zu postulieren; zumal allein die Unendlichkeit – wenn sie denn existierte, was wir hier nicht zu bestimmen haben –, da sie jeder Grenze und auch jeglichen möglichen Widerspruchs entbehrte und absolute Fülle, omnitudo realitatis, wäre, Wirklichkeit und Möglichkeit des Übels aus sich ausschließen könnte.

Das Neubedenken allen Übels

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