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5.2. Das Übel in den nicht-menschlichen Dingen

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Es gibt einen weiteren Aspekt, der einer Betrachtung würdig wäre, zumal er viele Diskussionen mit besonderer Bedeutung in der Gegenwart betrifft, wie etwa die um das Leiden der Tiere. Dies ist eine bedeutsame Auseinandersetzung; denn wenn die Unterscheidungen nicht deutlich eingehalten oder die Ebenen vermengt werden, reichen die Meinungen von der Annahme der Bedeutungslosigkeit, ja sogar der Leugnung, dass hier ein „Übel“ vorliegt, bis zu der Ansicht, dies sei das hauptsächliche und schwierigste Problem (für die Theodizee).

Xavier Zubiri etwa, der mit Recht vor der Substantivierung des Schlechten warnt – denn „es gibt keine Dinge, die in ihrer bloßen Wirklichkeit schon gut oder schlecht wären“ –, sagt dazu:

„Gute und schlechte Dinge sind in der uns gegebenen Welt konstitutiv auf den Menschen bezüglich; denn allein im Bezug auf den Menschen besteht eine Bedingtheit (das, was bei gewissen Dingen das Schlechte ermöglicht). Für das Tier gibt es nichts, was gut oder schlecht wäre; es mag zwar lästige oder schädliche Stimuli geben, doch keine formal guten und schlechten Regungen.“116

Es geht jetzt nicht darum, seine Aussage in genau dem Sinn zu negieren, den er ihr beilegt, da es, in aller eigentlichen Strenge gesprochen, „für das Tier“ kein striktes Werturteil geben kann117. Doch ist ein weiteres Verständnis angebracht, um mögliche Implikationen zu vermeiden, die nicht notwendig sind und sich verhängnisvoll auswirken können. Ohne bis zu Descartes’ „mechanischen Wesen“ zu gehen, lassen sich daraus z.B. ernsthafte Folgerungen für den Umgang mit den Tieren ziehen – die Zubiri aber, wohlgemerkt, keineswegs zieht118.

Die Analogie zu den Urteilen „in dritter Person“ im Hinblick auf fremdes Leiden wirkt hier besonders aufschlussreich. Denn als Menschen können wir bestimmte Dinge als wirklich schlecht für die Tiere ansehen – und darum auch versuchen, sie ihnen nach Möglichkeit zu ersparen oder sie gar nicht erst zu verursachen –, also Dinge, die wir als für sie schädlich einstufen. Dies wird zwar kein menschliches Übel sein, doch, wenn auch von anderer Art, sicherlich schlecht: „tierisches Übel“. Zubiri selbst gibt zu, dass ein Tier „Schäden kennt“ und Schädliches erleidet; der Unterschied liegt darin, dass er schließt, es erfahre kein Leid an sich, sondern erst aus der Sicht des Menschen119. Bei Wahrung aller Unterschiede gilt aber das Gesagte über die an anderen Personen erkennbaren Leiden, selbst wenn diese es nicht wahrnehmen oder es nicht als solches einordnen, auf seine Weise auch für die Tiere. Obwohl sie es nicht wissen oder im Verstand bewerten, so spüren und erleiden sie es doch fühlbar. Deshalb wissen wir – aus der Analogie zu unserem eigenen Dasein –, dass dies für sie selbst wirklich schlecht ist120; und wir sind bestrebt, es ihnen nach Möglichkeit zu ersparen… oder sollten es sein.

Ohne dass man bis zu den Übertreibungen eines Peter Singer121 u.a. geht, scheint doch eindeutig, dass hier ein Problem mit enormen Rückwirkungen angesprochen wird, zumal es mit dem ganz großen Thema der Achtung vor dem Leben, vor jedem Leben, verbunden ist. Aus gutem Grund hat diese Achtung stets ein starkes Anliegen in vielen Kulturen und Religionen gebildet, das in einigen Fällen, etwa im Jainismus und im Manichäismus122, an eine äußerste Grenze stoßen mochte, wie das Tragen eines Mundtuchs, um so keine Mücken zu verschlucken und dadurch zu töten, oder das Fegen der Wegstrecke vor den eigenen Füßen, um keine Insekten zu zertreten. Und in unserer Zeit mag es kaum verwundern, wenn sich das Leben zu einem Grundkriterium für wichtige ethisch motivierte Vorhaben gewandelt hat, von Albert Schweitzer bis zu Hans Jonas.

Mehr noch, und ohne auf eine Wertung des menschlichen Leidens als analogatum princeps zum Verständnis des Übels zu verzichten, zeigt das gegenwärtige ökologische Bewusstsein an, dass – obgleich die Analogie immer subtiler und ferner gerät – sich dieses Anliegen sogar auf die gesamte Natur erstrecken muss, nicht allein auf die organische. Man braucht nämlich nicht erst auf wohlfeile Romantik zu verfallen, um zu begreifen, dass auch die Naturkatastrophen in irgendeiner Weise ein Übel sein können, selbst dann, wenn das Leben der Menschen nicht unmittelbar betroffen ist. Und Schelling sprach daher nicht nur von der „allem endlichen Leben anklebenden Traurigkeit“, sondern auch von einem „Schein der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist“123.

Das Neubedenken allen Übels

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