Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 28
XVIII
ОглавлениеAbgeschlagene Köpfe machen zwar keine Geräusche, Fische aber schon. In einem Abschnitt über Tierlaute sagt Aristoteles, dass der kokkis und der lyra (beides Knurrhähne) eine Art Grunzen von sich geben, während der chalkeus (Petersfisch) ein pfeifendes Geräusch macht. Er erklärt weiter, da Fische keine Lungen haben, seien diese Geräusche keine »Stimme« von der Art, wie Vögel oder Säugetiere sie haben; vielmehr werde das Geräusch durch die Bewegung innerer Teile verursacht, die »Luft oder Wind enthalten«.[∗]
Historia animalium steckt voller Fischfakten, einige davon recht unergründlich. Athenaios aus Naukratis, der um 300 n. Chr. einen Ratgeber für höfliche Tischkonversation verfasste, die zu einem überraschend großen Teil offenbar um Fische kreiste, bemerkt dazu sarkastisch:
Doch ehrlich gesagt, erstaunt mich Aristoteles. Wann hatte er das alles nur gelernt? Und von wem? Einem Proteus oder Nereus, der aus der Tiefe emporgestiegen war? Was Fische tun, wie sie schlafen, wie sie ihre Zeit verbringen – das sind die Themen, über die er schrieb. Und nur, um die Idioten zu verblüffen, wie der komische Dichter sagte!
chalkeus – Petersfisch – Zeus faber
Dabei gab es da gar nichts zu staunen: Aristoteles’ Nereus war ganz einfach irgendein Fischer. Aristoteles selbst verachtet die Weisheit des Volkes nicht. Er sagt oft, dass wir bei unseren Untersuchungen bei dem beginnen sollten, was die meisten Menschen glauben, da sie häufig recht hätten. Das Problem sei nur, dass die Menschen dazu neigen, Geschichten zu erzählen. Manche Fischer sagen, dass Fische ihre Eier befruchten, indem sie den Samen fressen. Das kann nicht stimmen, meint Aristoteles, da es nicht mit ihrer Anatomie übereinstimmt (alle Spermien, die sie fraßen, würden einfach verdaut werden); sie beschrieben nur ein Balzverhalten. Er verrät nicht, welche Fische das tun, aber mein Freund David Koutsogiannopoulos, der alles über griechische Fische weiß, sagte mir, es müsse sich um einen Lippfisch handeln, wahrscheinlich um Symphodus ocellatus, und schickte mir zum Beweis ein Foto.
Apropos Seemannsgarn: Folgende drei Geschichten hörte ich von jemandem, der mich beeindrucken wollte. Erstens, dass die Mönchsrobbe, die am Eingang der Lagune lebt, die örtlichen Fischer verfolgt und dann ihre Netze plündert. Zweitens, dass die Möwen der Insel Vrachonisida Kalloni ihre Küken mit Oliven statt mit Fischen füttern. Drittens, dass die Krähen von Apothika Walnüsse vor herankommende Autos fallen lassen in der Hoffnung, dass diese unter den Rädern zermalmt werden. Sollte das Auto sie nicht erwischen, holten die Krähen ihre Nüsse zurück und versuchten es noch einmal.
Angemessen verblüfft war ich und sagte das auch. Aber wie Aristoteles sagt: Das Problem ist, dass die Fischer die Natur nicht wirklich sorgfältig beobachten, da sie kein Wissen um des Wissens willen anstreben. Überlieferungen können ein guter Anfang sein, aber die Untersuchung der natürlichen Welt erfordert Expertenwissen, und nicht nur eine allgemeine Art von Wissen, die es uns ermöglicht, rationale Argumente zu bewerten, sondern auch Spezialwissen zu einem gegebenen Thema. Experten, sagt er, erkennen Dinge, die von anderen leicht übersehen werden – zum Beispiel die verschrumpelten Samenleiter von Dornhaien außerhalb der Saison. Und ungeachtet der Berichte über den Gebrauch von Werkzeugen durch Krähen in Neukaledonien würde ich es gerne von einem Verhaltensökologen mit praktischer Erfahrung auf dem Gebiet hören, bevor ich glaube, dass die Krähen von Apothika wirklich so schlau sind. Aristoteles’ Skeptizismus ist das erste Erwachen wissenschaftlicher Autorität – der Autorität, die heutzutage kein Maß mehr kennt. Er würde sicherlich darüber staunen, dass es heute kein noch so obskures Gebiet gibt, das nicht seine eigene Expertenkaste hätte, ermächtigt durch Doktorgrade und Universitätsposten und mit Statistiken gerüstet, um die öffentliche Meinung zu übertrumpfen. Es würde ihm gefallen.