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XXIX

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Schiller sagte, die Griechen sähen die Natur ohne Rührseligkeit, Humboldt postulierte, sie porträtierten sie nicht um ihrer selbst willen. Meiner Meinung nach liegen beide falsch.

Es singt aus den Blättern die süße Zikade, und von den Flügeln

träufelt heller Gesang dicht an dicht hernieder,

die Distel blüht; jetzt sind die Weiber am verruchtesten,

schwächlich die Männer, da ja Kopf und Knie der Sirius ausdörrt.

Vielleicht geht es in Alkaios’ reizendem Fragment um Lesbos, denn daher stammte er. Er schrieb es im 6. Jahrhundert v. Chr. und war möglicherweise Sapphos Geliebter. Auch Sappho, die es fertigbrachte, das Gesicht eines Geliebten mit einem Kavalleriegeschwader oder den aufgereihten Rudern einer Kriegsflotte zu vergleichen, schrieb vom goldgelben Ginster am Meeresufer, dem Tau auf Wildrosen und Thymian und wie das Licht sich auf das Meer ergießt. Und liest man weiter in der Griechischen Anthologie, dieser Sammlung gebrochener Oden und bittersüßer Epigraphen, wird deutlich, dass in den gut tausend Jahren, die die Sammlung umspannt, die Natur den Griechen immer nahe und voller Bedeutung war.

Und doch hatte Schiller auf eine eingeschränkte Art recht. Die Griechen mögen auch die Rückkehr der Schwalben im Frühling gefeiert haben, aber ihre »Natur« ist nicht die Natur der Romantiker, ein Sammelbegriff für alles Wilde und Nichtmenschliche. Für die physiologoi stand sie manchmal für »Schöpfung«; jedenfalls schrieben Xenophanes, Heraklit, Empedokles, Gorgias von Leontinoi, Demokrit und später Epikur allesamt Werke mit dem Titel peri physeos – Über die Natur –, die Kosmologien enthalten. Auch Aristoteles verfasste einen Text mit diesem Titel (die ersten vier Bücher seiner Physik), aber es handelt sich ganz und gar nicht um eine Kosmologie. Vielmehr ist es eine Analyse der Veränderungen.

Steine fallen, heiße Luft steigt nach oben, Tiere bewegen sich, wachsen, kopulieren und sterben, die Himmel rotieren – alles ist in Bewegung. Wir sehen es als gegeben an, dass es zahlreiche Ursachen für Veränderungen gibt. Dampf steigt aus einem Kochtopf zum Himmel, ebenso wie eine Pflanze im Garten, doch diese Phänomene sind offensichtlich dermaßen unterschiedlich, dass sie verschiedene Ursachen haben müssen. Aristoteles sieht das auch – wenn auch nicht ganz auf dieselbe Weise wie wir –, aber er sieht auch, dass die Veränderung selbst das ist, was erklärt werden muss, und so setzt er sie mit physis – »Natur« – gleich. Er schreibt, es wäre absurd, den Beweis zu versuchen, dass die Natur in diesem Sinne existiert. Viele Dinge haben eine Natur – das ist einfach offensichtlich. Die Aufgabe des Wissenschaftlers besteht darin zu erkennen, wie die Natur funktioniert und was sie ist.

Dieses Konzept der physis ist nicht seine Erfindung, denn es lässt sich vielleicht schon bei Homer finden: »Mit diesen Worten zog Hermes das Kraut aus dem Boden, reichte es mir und zeigte mir seine Natur.« Auf jeden Fall steht es Demokrit sehr nahe: »Natur und Lehre sind ähnlich, denn die Lehre gestaltet den Menschen um und die Natur verändert die Gestalt.« Auch unser Gebrauch von »Natur« zur Beschreibung immanenter Ursachen stammt von diesem Konzept ab, wie in diesem Knittelvers von Isaac Watts (1674–1748): »Lasst Hunden doch den Spaß, zu bellen und zu beißen, / denn so erschuf sie Gott; / lasst Bären und Löwen ihr Knurren und Reißen, / denn auch dies die Natur gebot« oder Hobbes’ »Natur (die Kunst, durch die Gott die Welt geschaffen hat und lenkt)«.

Aber Aristoteles ist kein Gottgläubiger des 18. Jahrhunderts und Gott in die Kausalkette zu zerren, birgt das Risiko zu verschleiern, was er meint. Seine Natur ist ein inneres Prinzip von Veränderung und Ruhe. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen natürlichen Objekten und Artefakten: Erstere bewegen sich von selbst und hören von selbst wieder auf, Letztere tun und können das nicht. Und obwohl er glaubt, dass unbelebte natürliche Dinge wie die Elemente sich ebenfalls aus eigenem Antrieb bewegen, ist es klar, dass diese Definition von »Natur« in Wirklichkeit für Biologen ersonnen wurde. Ihr Zweck besteht darin, die geheimnisvolle Art genau zu bestimmen, auf die Lebewesen alles tun, was sie tun – und es selbst tun. Niemand zieht das Uhrwerk auf, niemand weist der kleinen Maschine die richtige Richtung – die Natur tut das.

Die Lagune

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