Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 38
XXVII
ОглавлениеDas Große Papierboot, Argonauta argo, ähnelt einem Oktopus. Das Tier selbst ist wenig beeindruckend, aber sein Gehäuse ist wunderschön: so dünn und weiß wie eine Eierschale und von perfekter planispiraler Geometrie. Und obwohl das Große Papierboot pelagisch weit draußen im Meer lebt, wird es häufig angespült. Nach Stürmen findet man sie zu Hunderten sterbend am Strand.
Delle Chiaje entdeckte 1828, ein ansonsten unbekannter italienischer Anatom, der Papierboote im Golf von Neapel erforschte, dass sie mit einem parasitischen Wurm infiziert zu sein schienen. Er nannte seinen Wurm Trichocephalus acetabularis oder »haarköpfiger Sauger«. Ein Jahr später fand Cuvier einen ähnlichen Wurm an einem Oktopus in Nizza. Er nannte seinen Wurm Hectocotylus octopodis oder »Becher an einem Oktopus«.
An der Entdeckung eines neuen parasitischen Wurms war nichts besonders Bemerkenswertes. Viele Meerestiere sind von ihnen befallen. Hectocotylus war jedoch ein seltsamer Parasit, da er seinem Wirt auf merkwürdige Weise ähnelte: Seine Saugnäpfe sahen sehr kopffüßerartig aus. Es keimte der Verdacht auf, dass es sich gar nicht um einen Wurm handelte. Heinrich Müller und Jean Baptiste Vérany zeigten 1851 unabhängig voneinander, dass Hectocotylus nicht etwa ein Parasit war, sondern der Gatte des Papierbootes, oder genauer gesagt, der Penis des Gatten. Alle Papierboote weltweit, die jemals gesichtet wurden, waren offenbar Weibchen; das Männchen ist ein unbekanntes, zwergenhaftes Wesen, das gar kein Gehäuse produziert. Eine seiner Tentakeln ist ein stark modifiziertes Begattungsorgan, das während der Kopulation in der Mantelhöhle des Weibchens abbricht; das Männchen hat nach dem Akt also keinen Penis mehr bzw. eine Tentakel weniger, auf jeden Fall ein Anhängsel weniger als vorher.
Der Ein-Weg-Tentakelpenis des Papierboot-Männchens war ein anatomisches Wunder des 19. Jahrhunderts – von dem Aristoteles bemerkenswerterweise schon wusste. So jedenfalls behauptete 1853 der begeisterte von Siebold: »[…] werden Vérany und Müller, welche die Geschichte des Hectocotylus in eine neue Phase eingeführt haben, mit Erstaunen entnehmen, dass ihnen durch Aristoteles die Priorität in der Entdeckung in Bezug auf den männlichen Oktopus mit Hectocotylus-Arm vielleicht streitig gemacht werden dürfte.«
Konnte er es gewusst haben? Mit Sicherheit kannte Aristoteles Argonauta argo. Er nennt ihn nautilos polypus oder »Segler«, beschreibt ihn eindeutig und glaubt (»obwohl das Wissen durch Beobachtung noch nicht zufriedenstellend ist«), dass er nicht so fest mit seinem Gehäuse verbunden ist, wie es bei anderen Gehäusetieren, etwa Schnecken und Muscheln, der Fall ist. Das ist richtig, aber andererseits wiederholt er eine Geschichte, nach der er die Fläche zwischen seinen Tentakeln als eine Art Segel verwendet, was wiederum nicht stimmt. Über seine Amouren schweigt sich Aristoteles jedoch ebenso aus wie die Kreatur selbst.
polypodon megiston genos – Gewöhnlicher Krake – Octopus vulgaris. Begattungsarm oder Hectocotylus
Doch etwas hat Aristoteles gesehen. In seiner Beschreibung der Paarungsgewohnheiten des Oktopus sagt er, dass eine der Tentakeln des Männchens sich von den anderen unterscheide, dass sie heller und spitzer sei, mit größeren Saugnäpfen am Ansatz und einer Falte an der Spitze. Während der Balz, fährt er fort, schiebt das Männchen seine Tentakel in die Atemöffnung des Weibchens. Steenstrup bestätigte 1857, dass Octopus vulgaris ebenfalls eine Penistentakel besitzt. Es ist eine weniger extravagante Version des Organs von Argonauta, denn das Oktopusmännchen zieht sie nach dem Akt unversehrt wieder aus den Öffnungen seiner Gefährtin heraus – aber sie sieht genauso aus, wie Aristoteles sie beschreibt.
Von Siebold übertrieb, was Aristoteles’ anatomisches Können angeht. Aristoteles erkannte wohl die subtile Spezialisierung der Penistentakel des Oktopus, doch er war sich nicht sicher, wozu sie diente. In einigen Abschnitten behauptet er, dass es sich bei den Tentakelbohrungen um den Koitus selbst handelt, in anderen tut er dies als Seemannsgarn ab und postuliert, die Oktopusse bereiten sich nur auf den Sex vor. Er versteht nicht, wie Samen über eine Tentakel übertragen werden kann, und bezweifelt das Ganze aus Vernunftgründen. Dieser Ansatz, der vernünftig genug ist, wenn es um die Einschätzung fellationierender Fische geht, führte ihn beim amorphen Oktopus in die Irre. Aber beide Passagen verraten uns etwas über seine Denkweise. Und vielleicht auch, dass er nicht geneigt war, sich die Füße nass zu machen und sie selbst zu beobachten.